FC Bayern:Ribéry, der Weltklasse-Straßenkicker

FC Bayern: Seit 2007 spielt Franck Ribéry für den FC Bayern, sein Vertrag läuft noch bis 2018.

Seit 2007 spielt Franck Ribéry für den FC Bayern, sein Vertrag läuft noch bis 2018.

(Foto: AFP)

"Ich darf nie vergessen, wie ich als Junge auf der Straße war": Ein Treffen mit Franck Ribéry, den die Fans lieben. Den beim FC Bayern aber nicht alle Trainer verstanden haben.

Von Benedikt Warmbrunn

An dem Tag, an dem er endgültig nicht mehr weiter wusste, dachte Cédric Vanoukia an einen, der schon oft die Aussichtslosigkeit überwunden hatte. Vanoukia hatte Probleme mit dem Herzen, eine komplizierte Geschichte, und er, ein Fußballer in der vierten französischen Liga, hatte kein Geld. Es zu leihen, dazu war er zu stolz, aber ein paar lustige Stunden, das konnte nicht schaden. Also rief er den Bekannten an. Reiste nach München. Verbrachte Stunden mit ihm. Lustig waren sie nicht. "Frérot", fragte irgendwann Franck Ribéry, der im Leben nie die Hoffnung verloren hatte, "warum bist du nicht lustig?"

Vanoukia erzählte - vom Schmerz, vom fehlenden Geld, von der Verzweiflung. Danach telefonierte Ribéry. Organisierte, dass Vanoukia behandelt wurde. Organisierte, dass der Viertligaspieler mit ihm, dem Nationalspieler, beim FC Bayern trainieren durfte. Zahlte alles. Eine Woche später kehrte Vanoukia zurück zu seinem Klub US Quevilly. Er und Ribéry, sein Frérot, sein Brüderchen, sprachen nie darüber, dass er als Kranker gekommen und als Gesunder gegangen war.

Dies ist eine Geschichte über einen Kämpfer. Eine Geschichte darüber, wie oft einer gekämpft haben muss, bevor er selbst entscheidet, was ein gerechter Kampf ist, und was nicht.

Ein Vormittag kurz vor Weihnachten, das Vereinsgelände des FC Bayern. Franck Ribéry schlurft in den Raum, grelloranges T-Shirt, blaue Jogginghose, weiße Socken in Badelatschen. Er, der auf dem Rasen so dynamisch ist, wirkt an diesem Vormittag zierlich. Als er sich in den Sessel fallen lässt, sieht es kurz so aus, als würde ihn dieser gleich verschlucken. Ribéry drückt sich hoch, Ellbogen auf die Knie. Er sagt: "Ich vergesse nie, wer ich bin und wo ich herkomme. Jetzt bin ich sehr glücklich, aber dafür musste ich viel kämpfen, jahrelang. Ich will immer mehr, mehr, mehr. Aber ich darf nie vergessen, wie ich als Junge auf der Straße war."

Am kommenden Dienstag reist Ribéry nach Katar, er bereitet sich dort mit den Bayern zum zehnten Mal auf eine Rückrunde vor, es könnte seine vorletzte sein, 2018 endet sein Vertrag. 33 Jahre ist er alt, aber es stimmt: Eigentlich ist er noch ein Junge. Für die Fans des FC Bayern ist er deshalb einer der beliebtesten Spieler der Vereinsgeschichte, einer, der nur an Tricks und Streiche denkt. Für viele andere ist er ein begabter Flügeldribbler, aber auch einer, der aufbrausend ist, unreif. In Frankreich, seiner Heimat, zählt er zu den unbeliebtesten Sportlern. "Schon früher war zu spüren, dass er beides braucht: geliebt zu werden und falsch eingeschätzt zu werden", sagt sein Freund Cédric Vanoukia.

Nach der WM 2010 liebten ihn die Franzosen nicht mehr - also liebte er kaum noch Franzosen

Der Verteidiger lernte Ribéry kennen, als beide für Brest spielten, in der dritten Liga. Ribéry war 20 Jahre alt, Vanoukia ein Jahr älter. "Schon damals war er ein unangenehmer Gegenspieler, du wusstest nie, was er im nächsten Moment machen würde", erinnert sich Vanoukia, mittlerweile Jugendtrainer in Rennes. "Und da war dieser wahnsinnige Ehrgeiz, in jedem Spiel, in jeder Minute, in jedem Dribbling. Er wollte jede noch so kleine Szene gewinnen." Damals war es Ribéry, der vom Schmerz erzählte, vom fehlenden Geld, von der Verzweiflung. Von dem Autounfall, der ihn als Zweijährigen im Gesicht entstellt hatte; die anderen Kinder nannten ihn "Frankenstein". Dass er vom Internat geflogen war. Dass er mit seinem Vater als Straßenarbeiter geschuftet hatte.

"Er hatte so viele schmerzhafte Erfahrungen", sagt Vanoukia, "das habe ich an ihm immer bewundert: All der Schmerz hat es nicht geschafft, ihn kaputtzumachen." Am Ende der Saison hatte Ribéry seinen Traum erfüllt: Er wechselte in die erste Liga, nach Metz.

Schwieriges Verhältnis zu Frankreich

Vanoukia schaffte es nie nach ganz oben, er spielte sechsmal für Guadeloupe, und aus der Ferne beobachtete er, wie sein Freund berühmt wurde. "Wenn wir uns gesehen haben, war ich immer erst schüchtern. Ich wusste nie, ob ich noch frech sein durfte. Aber Franck hat immer gesagt: ,Frérot, was ist los? Ich bin es!' Er hat sich mir gegenüber nie verändert." Besonders hoch rechnete Vanoukia es seinem Freund an, dass ihm dieser 2012, als er die Probleme am Herzen hatte, ohne große Geste half. "Alles, was ich seitdem habe, habe ich dank Franck." Ribéry sagt: "Egal, wer du bist, du bist nichts, wenn du nicht für deine Freunde und deine Familie da bist."

Dass sich Ribéry nicht verändert hat, sehen nicht alle so positiv wie Vanoukia. Manche Wegbegleiter reden nur, wenn sie nicht zitiert werden. Sie berichten von einem Ribéry, der stur ist, kindisch, eingeschnappt, wenn ihn jemand nicht so behandelt, wie er behandelt werden will. Nach der WM 2010, bei der er einer der Anführer in der Revolution gegen Nationaltrainer Raymond Domenech war, brach er auch zu engen Bekannten den Kontakt ab, allein aus dem Grund, dass sie Franzosen waren. Die Franzosen mochten ihn nicht mehr, also mochte Ribéry in seinem Leben nur noch wenige Franzosen.

Als er dagegen 2007 nach Deutschland gekommen war, war er überrascht, wie freundlich alle waren. Die Franzosen sahen in ihm den Nachfolger von Zinédine Zidane, dennoch machten sie Witze über seine Aussprache, über seine Grammatik.

In München finden sie gerade die kleinen Fehler drollig, zum Beispiel, wie Ribéry nach dem verlorenen Champions-League-Finale 2010 auf dem Rathausbalkon den Fans zurief: "Isch abe gemacht funf Jahre mehr." In München flog ihm zum ersten Mal die Anerkennung zu. Zum ersten Mal spürte er, dass das Leben nicht immer ein Kampf sein muss.

Ribérys erster Trainer in Deutschland war Ottmar Hitzfeld, einer, der ähnlich wie der aktuelle Bayern-Coach Carlo Ancelotti taktisch nicht so viel vorgibt, der stattdessen darauf achtet, dass alle eines spüren: Anerkennung. In der ersten Woche damals bat Hitzfeld Ribéry zum Gespräch, sie redeten über alles, nur über Fußball nicht. "Er war ziemlich überrascht, dass ich ihn als Menschen kennenlernen wollte", erinnert sich Hitzfeld, "ich habe bald gemerkt, dass Franck Nestwärme braucht, dass er besser spielt, wenn er sich wohlfühlt."

Wie er es aus dem Ghetto bis nach Grünwald geschafft hat? "Ich war stark im Kopf!"

Ein Jahr lang hat Hitzfeld mit Ribéry zusammengearbeitet, in 46 Partien erzielte er 19 Tore, 20 weitere bereitete er vor; unter keinem anderen Trainer war er effektiver. "Es gibt Spieler, die wollen auf der menschlichen Seite angesprochen werden. Sie wollen nicht nur eine Figur sein, die vom Trainer auf dem Schachbrett herumgeschoben wird", sagt Hitzfeld. "Wenn das auf einen Spieler besonders zutrifft, dann ist das für mich Franck. Wer seine Geschichte kennt, weiß, dass er sich seine Freiheit erkämpft hat. Wenn man ihm diese Freiheit lässt, ist er zu ungeahnten Dingen fähig. Er gibt dann alles für dich, alles für die Mannschaft. Und das nur, weil du ihn respektierst."

Kämpfe, die Ribéry als Profi führte, führte er meist mit Trainern, die ihn nicht so anerkannten, wie er sich selbst sieht. Mit Louis van Gaal, der so viel Achtung vor sich selbst hat, dass für die Spieler nicht viel übrig bleibt. Mit Domenech, dem Intellektuellenkopf, mit dem Ribéry keine gemeinsame Sprache fand; er fühlte sich als Junge der Straße nicht ernst genommen. Und mit Pep Guardiola, der das Spielfeld als ein Schachbrett sieht, der Ribéry als Zehner aufstellen wollte.

Das Einzige, was Ribéry von dieser Idee verstand, war, dass er weniger Freiheit haben sollte.

"Franck Ribéry ist ein Wohlfühlspieler"

"Franck Ribéry ist ein Wohlfühlspieler", sagt auch Jupp Heynckes, "wenn er das passende Umfeld hat, ist er absolute Weltklasse." In den zwei Jahren unter dem Bayern-Trainer Heynckes hat Ribéry die größten Erfolge seiner Karriere gefeiert, er gewann 2013 die Champions League, wurde Europas Fußballer des Jahres und ein halbes Jahr später Dritter bei der Wahl zum Weltfußballer - der größte individuelle Erfolg für einen Spieler, der nicht Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo heißt.

Wie Hitzfeld oder Ancelotti war Heynckes ein Trainer, der viel auf die Spieler hört; es ist kein Zufall, dass Ribéry die drei nennt, wenn er die wichtigsten Trainer seiner Karriere aufzählen soll. Heynckes sagt: "So wie man Franck gegenübertritt, so reagiert er." Das sei dessen "Herkunft zuzuschreiben - Franck merkt, ob einem einer was vormacht. Straßenfußballer sind Menschen, die du überzeugen musst, dass ihnen etwas langfristig hilft, auch wenn es erst einmal keinen Spaß macht."

Heynckes sagt, er habe zunächst Ribérys Defizite angesprochen, unter ihm habe dieser gelernt, "professionell zu arbeiten". Lebensführung, Schlaf, Ernährung, Regeneration, alles habe er umgestellt. Unter Heynckes spielte Ribéry 97 Mal - 13 Mal häufiger als unter Guardiola, obwohl dieser ihn ein gutes Jahr länger betreut hatte. Nachdem der Franzose 2013 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt worden war, rief er Heynckes an, um sich zu bedanken. Er hatte verstanden, dass der Kampf gegen die eigene Undiszipliniertheit ein gerechtfertigter gewesen war.

Jupp Heynckes über Ribéry

"Sein Gerechtigkeitsbewusstsein ist enorm. Er gibt aber selbst die Kriterien vor, was gerecht ist."

Wenn Vanoukia, Hitzfeld oder Heynckes erklären sollen, warum Ribéry so erfolgreich wurde, dann reden sie nicht über seine Tricks, nicht über seine Dribblings, überhaupt reden sie nicht über sein fußballerisches Talent. Vanoukia sagt: "Dass aus unserer Mannschaft von 2003 Franck am weitesten gekommen ist, liegt wohl auch daran, dass er damals schon von weit unten gekommen war."

Hitzfeld sagt: "Man spürt bei ihm einen unbändigen Willen. Es steckt nach wie vor in ihm drin, sich aus etwas herauskämpfen zu müssen." Heynckes sagt: "Ihn treibt ein enormes Gerechtigkeitsbewusstsein an. Er gibt aber selbst die Kriterien vor, was gerecht ist, und was nicht." Laut Heynckes führt das zum Streben nach dem, was unerreichbar erscheint. Es führt aber auch dazu, dass er sich mitunter provozieren lässt. "Das Wilde, das in ihm steckt, kommt immer dann zum Vorschein, wenn er müde, unwirsch oder unzufrieden ist", sagt Heynckes, "dann erkennt man den Straßenkämpfer, den er eigentlich in seiner Jugend schon bewältigt hat."

Tief in seinem Münchner Sessel erzählt Ribéry von Boulogne-sur-Mer, seiner Heimatstadt. Er erzählt, dass er seinen Eltern ein Haus hat bauen lassen, nicht weit von seinem früheren Zuhause. Ribéry lebt immer noch in einer kleinen Welt, auch als Großgrundbesitzer. Wie er es sich selbst erklärt, dass er es aus dem Ghetto nach Grünwald geschafft hat? "Ich hatte eine gute Erziehung. Ich war stark im Kopf. Wenn ich etwas will, das ich nicht habe, dann versuche ich alles. Dann kämpfe ich. Das ist mein Charakter."

Seit er nicht mehr für die Nationalelf spielt, seit 2014, ist Ribéry selten in Frankreich und wenn, dann in Boulogne. Manchmal zeigt er dann seinen drei Kindern, wo die Eltern das erste Date hatten, wo der Vater Fußball spielte, wo er sich versteckt hat, wenn er mal wieder nicht da war, wo er sein sollte. "Jeder Tag", sagt er dann, "war schwierig." Dass er jetzt noch eineinhalb Jahre als Spieler des FC Bayern vor sich hat, dass er ein siebtes, vielleicht ein achtes Mal deutscher Meister werden könnte, dass er ein zweites Mal die Champions League gewinnen könnte: schön.

Dass er aber seinen Kinder das Leben fern des Ghettos ermöglicht hat, dass sie besser Deutsch sprechen als er, das ist für ihn, den Jungen von der Straße, der in der Aussichtslosigkeit aufwuchs, der größte Erfolg überhaupt. "Ich bin stolz auf das, was ich gemacht habe", sagt er. "Das ist mein Traum, den ich als Junge nie zu träumen gewagt habe."

Schon immer, sagt Ribéry, sei es ihm egal gewesen, was andere denken; auch dass manche behaupten, dass er mit diesem Traumleben nicht zurechtkomme, störe ihn nicht, er könne damit umgehen, selbst mit der Abneigung der Franzosen. Dann spuckt ihn der Sessel aus, Ribéry schlurft aus dem Raum, im Weggehen sagt er: "Schreib: Ribéry ist der Beste."

Er dreht sich noch einmal um. "Ja?"

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