Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:17 Freunde müsst ihr sein

Das 2:3 im Hinspiel gegen Paris Saint-Germain macht ein Viertelfinal-Aus des FC Bayern in der Champions League wahrscheinlich. In der Not versucht sich Trainer Hansi Flick an einem bewährten Mittel.

Von Sebastian Fischer

Vielleicht hat Hansi Flick noch mal an Lissabon gedacht, bevor er über seine erste Niederlage in der Champions League als Trainer des FC Bayern sprechen musste. Vielleicht dachte er an die hervorragende Stimmung in der Mannschaft beim Finalturnier im August, an den Sitzkreis nach dem Finalsieg gegen Paris auf dem Rasen zum Beispiel: David Alaba, Joshua Kimmich mit einer Trommel, Serge Gnabry mit Sonnenhütchen und Sektflasche. Vielleicht dachte Flick an dieses Gefühl des Zusammenhalts, das die Mannschaft zum Titel begleitete. Jedenfalls wirkte es, als wolle der Trainer dieses Gefühl nun wieder beschwören. Bevor es das letzte Mal in der Champions League gewesen sein könnte.

Flick, 56, hätte nach dem 2:3 im Viertelfinal-Hinspiel gegen Paris am Mittwochabend durchaus ein paar Gründe gehabt, Kritik zu üben. Während des Spiels hatte er sich jedenfalls hinreichend geärgert. "Mann, Scheiße!", hatte er sogar gerufen und auf den Rasen gestampft, so verärgert, wie man es von ihm selten gesehen hat, nach einer vergebenen Chance. 31:6 lautete am Ende eines kuriosen Fußballspiels das Torschussverhältnis zugunsten der Bayern.

Flick hätte auch die Fehler in der Defensive kritisieren können, die der zweimalige Torschütze Kylian Mbappé und der zweimalige Vorbereiter Neymar exzellent und eiskalt ausnutzten. Nur so viel sagte er: "Alle drei Tore waren zu verhindern." Ansonsten fand er mit entschlossener Miene fast nur lobende Worte für die "Art und Weise", wie seine Mannschaft gespielt hatte.

Nun hatte Flick natürlich auch gute Gründe für sein Lob: hochklassige Angriffe bis zum Schluss, keinerlei Anzeichen von Resignation, und das an einem Abend, den das Schneegestöber über München zu einem ausgesprochen ungemütlichen hatte werden lassen. Man könnte aber auch sagen: Flick hatte gar keine andere Wahl, als seine Spieler zu loben. Andere wird er auch im Rückspiel kaum aufstellen können.

Womöglich kommen weitere Ausfälle hinzu, Goretzka und Süle leiden unter Muskelbeschwerden

Wenn die Bayern am kommenden Dienstag in Paris antreten, zu einem Spiel, das für die Bewertung dieser Saison noch wichtiger sein könnte als die absehbare neunte Meisterschaft in Serie oder das frühe DFB-Pokal-Aus in der zweiten Runde, dann wird Stürmer und Weltfußballer Robert Lewandowski weiterhin fehlen. Genauso dürfte wohl der positiv auf das Coronavirus getestete Flügelspieler Gnabry erneut nicht dabei sein. Der zuletzt nur leicht angeschlagene Marc Roca könnte zurückkehren, womöglich kommen aber noch zwei Ausfälle hinzu, Niklas Süle und Leon Goretzka wurden mit Muskelbeschwerden ausgewechselt, was den Kader für Paris auf 17 Profis reduzieren könnte. Es spricht also wenig dafür, dass sich im Rückspiel ein gänzlich anderes Fußballspiel ergibt als jenes am Mittwoch, das alle Stärken und alle Schwächen des FC Bayern im Frühjahr 2021 zeigte. Mit der Besonderheit, dass diesmal die Schwächen gravierender waren als die Stärken.

Dass der FC Bayern hervorragend angreift und dabei auch für Konter anfällig ist, das ist ein Thema seit Beginn dieser Saison. Um drei Gegentore zu bekommen, mussten die Münchner nicht erst auf den Pariser Weltklasse-Sturm treffen - das passierte ihnen schon am dritten Bundesliga-Spieltag gegen Hertha BSC. Damals war allerdings Lewandowski da, um auf der anderen Seite vier Tore zu schießen. Am Mittwoch fehlte er zum zweiten Mal hintereinander wegen einer Bänderverletzung.

"Wenn wir den Killerinstinkt an den Tag gelegt hätten, der uns so oft auszeichnet, hätten wir ein ganz anderes Spiel gesehen", sagte Thomas Müller, der gerannt war und gekämpft hatte wie immer, der zum 2:2 traf, aber auch mindestens zwei Großchancen vergab. Ähnlich erging es Eric Maxim Choupo-Moting, dem Lewandowski-Vertreter in der Sturmspitze, der das 1:2 kurz vor der Pause erzielte. Im Rückspiel müssen die Bayern nun einen Zwei-Tore-Vorsprung herausschießen oder mit vier eigenen Toren gewinnen. Dass sie in Paris ohne Gegentor bleiben, ist nach den Eindrücken vom Mittwoch nur mit Fantasie vorstellbar.

Zu den Abwehrfehlern kam diesmal zu allem Überfluss ein Patzer von Manuel Neuer hinzu, dem Mbappés Schuss aus spitzem Winkel in der dritten Minute durch die Beine glitt, nachdem zuvor von allen Verteidigern Niklas Süle am unglücklichsten ausgesehen hatte, weil er weder mit Mbappé mitlief noch Vorbereiter Neymar angriff, sondern irgendetwas dazwischen unternahm. Das 0:2 ließ sich als Ausnahmeerscheinung bewerten, so perfekt war die Flanke von Neymar zum Torschützen Marquinhos. Beim 2:3 war es dann der für Süle eingewechselte Boateng, von seinen Kollegen in der Verteidigung alleingelassen, der den auf ihn zu rasenden Mbappé nicht am Schuss hinderte.

Bayerns Kader war deutlich kleiner als der des Gegners

Noch am vergangenen Samstag, beim 1:0 gegen RB Leipzig, im ersten Spiel ohne Lewandowski, waren die Münchner für ihre Effizienz gelobt worden. Sie hatten kaum Chancen gebraucht, um durch ein Tor von Goretzka zu gewinnen. Das Spiel gegen PSG war das genaue Gegenteil, es legte die Abhängigkeit vom Weltfußballer im Angriff offen. Und dass es hinten dann Boateng war, dem der spielentscheidende Fehler unterlief, das, spätestens, lenkte den Blick mal wieder auf das große Ganze.

Boateng, das hatte Sportvorstand Hasan Salihamidzic vor dem Spiel bestätigt, werde, wie zuvor vom Kicker berichtet, den FC Bayern im Sommer nach Ablauf seines Vertrages verlassen müssen, nach zehn Jahren im Verein. Flick sagte, darauf angesprochen, er müsse schauspielern, um nicht seine ehrliche Meinung zu sagen.

Und schon war es wieder da, das schier ewige Thema des schwelenden Streits zwischen dem Trainer, der als möglicher neuer Bundestrainer gilt und beim FC Bayern mehr Mitspracherecht in Kaderfragen fordert - und dem Sportchef, der über diesen Kader entscheidet. Einen Kader, der am Mittwoch auch aufgrund vieler Ausfälle tatsächlich um fünf Spieler kleiner war als der des Gegners. Nachdem Flick Boateng und Alphonso Davies für Goretzka und Süle gebracht hatte, wechselte er nicht mehr. Der einzige Offensivakteur unter den vier auf der Bank verbliebenen Feldspielern war der 18 Jahre alte Jamal Musiala.

"Natürlich", sagte Thomas Müller auch mit Blick auf das Bundesligaspiel gegen Union Berlin am Samstag, "dürfen sich nicht noch mal drei, vier Spieler wehtun." Dann, kurz mal nachgezählt, wären sie aktuell noch zu dreizehnt.

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