FC Bayern:Polterabend nach dem 3:0

Im Anschluss an den Auftakt-Sieg tritt Uli Hoeneß als Anwalt von Manuel Neuer auf. Der Vereinspräsident kritisiert Bundestrainer Joachim Löw und den DFB auf scharfe Weise.

Von Benedikt Warmbrunn

"Grundsätzlich", sagt Manuel Neuer, "bin ich ein Mensch, der keine Debatten führen will." Er führt das dann aus mit wenigen Sätzen, mit denen er wirklich in keinem Debattierklub bestehen würde, so gewollt nichtssagend sind sie. Er sagt, übrigens zur gesamtdeutschen Presse, was später noch wichtig werden wird: "Für mich reicht's jetzt." Dann spricht er mit Vertretern der mutmaßlich gesamtserbischen Presse auf Englisch über Marko Marin.

Grundsätzlich war das ein interessanter Ansatz, den Neuer am Mittwochabend geäußert hat, gerade für einen, der Kapitän ist in den zwei wichtigsten deutschen Fußballmannschaften, dem FC Bayern und der Nationalauswahl. So mancher Debatte ist Neuer in den vergangenen Monaten auch geschickt ausgewichen, zum Beispiel jener über Integration, die im Sommer 2018 auf den Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalelf gefolgt war. Oder jener im Frühjahr, in der es darum ging, ob Bundestrainer Joachim Löw zu Recht und vor allem mit Stil Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng aus der DFB-Elf verabschiedet habe, alle drei langjährige Mitspieler von Neuer in beiden Teams. Am Mittwoch, kurz vor Mitternacht, aber entkommt Neuer der Debatte nicht. Einmal hat er sich in einer Frage klar positioniert, und nun steckt er in dieser Debatte wie ein Kieselstein in einem Schneeball, der einen steilen Hang hinabrollt und dabei größer und größer wird.

Wäre dieser Schneeball, der sich um das Thema dreht, wer einen Anspruch auf den Stammplatz im deutschen Tor hat, an diesem Mittwoch stecken geblieben, es wäre kein Verlust für die Debattenkultur im deutschen Fußball gewesen. Eine knappe halbe Stunde, bevor am Mittwoch Manuel Neuer spricht, kommt aber Uli Hoeneß, drückt ordentlich Schnee auf den Schneeball, und dann schubst er ihn den Hang hinunter, sodass der Ball in einer zuvor unmöglich erscheinenden Geschwindigkeit davonrollt. Vor allem rollt er auch Neuer davon, dem Torwart, der jede Schwingung so genau wahrnimmt und der nun ganz gerne wieder seine Ruhe gehabt hätte.

Bayern Muenchen v Crvena Zvezda: Group B - UEFA Champions League

Der dritte Streich: Thomas Müller vollendet den von Thiago per Strafraum-Lupfer inszenierten Freistoßtrick.

(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Vor knapp einer Woche hatte Marc-André ter Stegen, Torwart des FC Barcelona, gesagt, dass es für ihn "ein harter Schlag" gewesen sei, dass Neuer in den Tagen zuvor gegen die Niederlande und Nordirland spielen durfte, und nicht zumindest einmal er, ter Stegen. Am Samstag sagte Neuer, der in beiden Länderspielen stark gespielt hatte, dass er die Anmerkungen seines Ersatzmannes als "nicht hilfreich" empfunden habe. Für einen Menschen, der keine Debatten führen will, war das eine bemerkenswert scharfe Aussage.

Ter Stegen fand das am Montag wiederum "unpassend", allerdings klang er dabei schon versöhnlicher. Am Dienstag wollte dann Neuer nur noch sagen: "Wir reden immer persönlich." Und damit war im Grunde alles gesagt.

Ter Stegen parierte am Dienstag beim 0:0 in Dortmund einen Elfmeter, 24 Stunden später traf gegen Neuer nicht einmal der Kapitän von Roter Stern Belgrad, der frühere deutsche Nationalspieler Marin. Der FC Bayern gewann 3:0, und es erinnerte sich auch kaum noch einer daran, dass Neuer einmal den Ball ins eigene Toraus getreten hatte (allerdings nach einem optimistischen Rückpass von Joshua Kimmich). Es lief also wieder alles seinen Lauf. Aber noch hatten die Bayern-Bosse ja nichts gesagt zu dieser Debatte.

Rummenigge fordert "ein Stück Dankbarkeit einem Mann gegenüber, der 90 Mal für Deutschland gespielt und alles gewonnen hat"

Am Mittwoch traten sie auf in einer Rolle, die sie besonders gerne spielen: als Beschützer der eigenen Spieler, aber weil ihnen das noch nie gereicht hat, auch gleich noch als Beschützer des Anstandes.

Vor dem Spiel gegen Belgrad sagt Rummenigge: "Was mir nicht gefällt in der Geschichte, ist das Verhalten des DFB. Da wird nie so richtig Klartext gesprochen. In der Öffentlichkeit lässt man das wabern, und es wird zum Teil auf dem Rücken von Manuel ausgetragen. Das finde ich nicht fair." Der Vorstandsboss des FC Bayern fordert daher "ein Stück Dankbarkeit einem Mann gegenüber, der 90 Mal für Deutschland gespielt und alles gewonnen hat".

Und so rollt der Schneeball doch noch nicht aus. Im Gegenteil, denn dann kommt Hoeneß und tritt die Lawine los.

Bayern Muenchen v Crvena Zvezda: Group B - UEFA Champions League

Unterwegs in einem Reizklima: Manuel Neuer bedankt sich beim Münchner Publikum fürs Kommen, Jubeln und jede sonstige Unterstützung.

(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Ende August erst hatte er angekündigt, dass er sich von seinen Ämtern als Präsident sowie Vorsitzender des Aufsichtsrates zurückziehen werde, damit verbunden sagte er aber auch: "Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen: Von mir wird noch was zu hören sein." In den zweieinhalb Wochen danach hat sich diese Sorgen keiner gemacht, vermutlich nicht einmal Hoeneß selbst. Nachdem er am Mittwoch ein paar Minuten lang über das Duell im deutschen Tor gesprochen hat, dürfte auch endgültig klar sein: Diese Sorgen muss sich in den nächsten Jahren auch keiner machen.

"Na", sagt Hoeneß, angesprochen auf ter Stegen, "ich finde das einen Witz." Dann demonstriert er, warum er so gerne Debatten führt: Er verwirrte erst mit abenteuerlichen Ausführungen, um dann bei seiner Botschaft anzukommen. Zuerst das Abenteuerliche: die Rolle der Medien. "Die Münchner Presse finde ich nicht in Ordnung. Die westdeutsche Presse unterstützt den Marc ter Stegen extrem, wie wenn er schon 17 Weltmeisterschaften gewonnen hätte. Von der süddeutschen Presse sehe ich gar nichts, gar keine Unterstützung." Wer Hoeneß in diesem Moment zuhört, der erwartet, dass gleich Rummenigge ums Eck kommt, um das Grundgesetz zu zitieren, so wie auf jener unvergesslichen Pressebeschimpfungskonferenz im vergangenen Herbst, bei der es auch darum gegangen war, eigene Spieler - darunter Neuer - zu schützen. Damals aber hatten Hoeneß und Rummenigge zu sehr das Grundgesetz zitiert und selbst zu sehr gepoltert, sodass nicht ganz klar war, was sie eigentlich hatten sagen wollen. Am Mittwochabend spricht Hoeneß ruhiger und weniger emotional, er überholt daher auch nicht seine Botschaft: seine Kritik am DFB.

Hoeneß sagt: "Ich hätte mir vom DFB auch mehr Unterstützung gewünscht. Wir kriegen ständig vom DFB Theater. Zuerst die unmögliche Ausbootung, die Art und Weise, wie die drei Spieler hier schlecht behandelt wurden. Und jetzt dasselbe wieder mit Manuel Neuer." Hoeneß' Ton wird nun doch schärfer, jedes dritte, vierte Wort peitscht er in die Mikrofone der süddeutschen und westdeutschen, womöglich sogar in die der ostdeutschen und norddeutschen Presse: "Dass man das zulässt, dass ein Mitspieler in die Öffentlichkeit geht für ein Thema, das er nur mit dem Jogi Löw zu besprechen hat, das ist nicht in Ordnung."

Hoeneß pocht auf Entschuldigung. Und dass der DFB ter Stegen "schon mal in die Ecke stellt"

Hoeneß dimmt seinen Ton wieder runter, doch das lässt seinen nächsten Satz noch bedrohlicher klingen: "Wir werden uns das nicht mehr gefallen lassen, dass unsere Spieler hier beschädigt werden - ohne Grund." Und so verlängert er eine Debatte, die bis zu seinem Auftritt am Mittwochabend schon an Schwung verloren hatte, gleich mal in die nächsten Wochen.

Die erste Konsequenz: Dass sich ein Mensch, der gar keine Debatten führen will, zu Hoeneß' Beitrag äußern muss. Neuer sagt: "Unterstützer zu haben, ist immer gut." Er habe aber "einmal was gesagt, weil ich drauf angesprochen worden bin"; nun wolle er "hier nicht großartig eine Debatte führen und darüber reden, was wer wie gut kann". Es soll ein Machtwort des Kapitäns sein.

Wie aber Hoeneß weiter vorgehen will, falls die Debatte nicht enden sollte? "Wir werden den Leuten schon mal bisserl Feuer geben, ja?", sagt der und fügt hinzu, ganz leise: "Das können wir ja." Wie gut oder schlecht, das führte er sogleich am Tag danach vor, bei einem Basketball-Termin in der Münchner Arena. "Er beschädigt hier einen völlig untadeligen Sportsmann wie Manuel Neuer", holte Hoeneß erneut aus, forderte von ter Stegen eine Entschuldigung und nahm "die handelnden Personen beim DFB" in die Pflicht. Er erwarte jetzt, "dass man den Herrn ter Stegen schon mal in die Ecke stellt und ihm klar sagt, dass es so nicht geht". Ob bei dieser Attacke die Verhältnismäßigkeit noch gewahrt ist, wäre wohl in der Ecke nebendran zu besprechen.

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