Münchner Defensive:Der FC Bayern sucht die Ochsen

Borussia Mönchengladbach - FC Bayern München

Derzeit nicht in Top-Form: Benjamin Pavard (l.) und Niklas Süle.

(Foto: dpa)

Zu viele Gegentore, zu viele Fehler: Beim Pokalspiel in Kiel steht die Abwehr der Münchner unter besonderer Beobachtung. Trainer Flick wehrt sich gegen die Kritik an einzelnen Spielern.

Von Sebastian Fischer

Man kennt seinen genauen Anteil an der Idee nicht, aber Hansi Flick hat damals in Santo André als Assistent von Joachim Löw zumindest den Entschluss bekannt gegeben. Nein, sagte er im Sommer vor sechseinhalb Jahren, Philipp Lahm werde nicht in die Abwehrkette der Nationalmannschaft zurückkehren, sondern im Mittelfeld spielen. Damit verkündete Flick, dass Deutschland die Vorrunde der WM 2014 mit einer Verteidigung bestreiten würde, die als "Ochsenabwehr" in die Fußballgeschichte einging: eine Reihe aus vier Innenverteidigern, um einer offensivstarken Mannschaft defensive Stabilität zu garantieren.

Zugegeben, der Vergleich ist ein wenig strapaziert, der FC Bayern spielt an diesem Mittwoch schließlich nicht gegen Ghana um den Einzug ins WM-Achtelfinale, sondern gegen den Zweitligisten Holstein Kiel ums Weiterkommen in der zweiten Runde des DFB-Pokals. Die Parallele ist lediglich die, dass Flick als Cheftrainer des Rekordmeisters gerade mit möglichst unbegrenztem Erfindungsreichtum eine Abwehr zusammenstellen muss, die Stabilität benötigt. Zwar führen die Münchner immer noch die Bundesliga an, sie haben aber schon 24 Gegentore kassiert, so viele wie nach 15 Spielen zuletzt 1981.

Die Einführung einer Ochsenabwehr oder ähnlich gravierende Änderungen hat Flick allerdings vorerst nicht angekündigt. Er beschränkte sich in der Pressekonferenz am Dienstag vielmehr darauf, jene Details anzusprechen, die er auch nach dem jüngsten 2:3 gegen Borussia Mönchengladbach bereits erwähnt hatte: "Wir müssen mehr Druck auf den Ball bekommen", sagte er, "und wenn kein Druck auf dem Ball ist, müssen wir die Tiefe sichern." Daran wurde dem Vernehmen nach im Training gearbeitet. Doch viel mehr sei nicht geschehen, sagte Flick: "Abhaken. Es ist nichts passiert."

Das Spiel am vergangenen Freitag hatte die Defensivschwächen allerdings ziemlich anschaulich gezeigt. Wie so oft hatten Konter mit Pässen in die Tiefe die Gegentore vorbereitet, das 1:2 und das 2:2. Beide Male gingen Pässe der Außenverteidiger den Ballverlusten vor dem gegnerischen Konter voraus. Außerdem rückten Flicks Analyse zufolge die Innenverteidiger zu früh nach vorn - explizit nannte er David Alaba. Und Niklas Süle, der andere Innenverteidiger, spielte den verunglückten Pass vor dem 2:3. "Drei individuelle Fehler", sagte Flick.

"Wenn's Spieler angeht, werde ich richtig sauer, wenn es unfair ist", sagt Flick

Nun ergibt die Suche nach Erklärungen für solche Fehler schon seit Wochen eine ganze Reihe an Gründen: Die hohe Belastung dieser Saison ist einer, wenig Zeit für Taktik-Einheiten ein anderer. Ein dritter ist Flicks so anspruchsvolles wie kraftraubendes Erfolgssystem aus der Triple-Saison, das auf Pressing weit in der gegnerischen Hälfte und weit vorrückenden Verteidigern beruht - aber neben dem Vorteil einer spektakulären Offensive die entsprechenden Risiken birgt. Der vierte Grund, obwohl im Fußball natürlich im Kollektiv verteidigt wird, ist die Zusammensetzung der Münchner Abwehrreihe.

Besonders oft wurde zuletzt über die Formschwäche von Rechtsverteidiger Benjamin Pavard gesprochen, ferner über die ebenfalls nicht beste Verfassung von Alaba, Süle und dem in Gladbach nicht zum Einsatz gekommenen Jérôme Boateng. Auf der Bank saß zuletzt auch Lucas Hernández, der sich selbst als Innenverteidiger sieht, im Herbst meist statt Alphonso Davies Linksverteidiger spielte - und 2021 bislang gar nicht. "Trotzdem ist Lucas Hernández ein sehr wichtiger Spieler für uns", betonte Flick am Dienstag.

Der Trainer nutzte die Gelegenheit, als in der Pressekonferenz nach einzelnen Spielern gefragt wurde, auch für den entschiedenen Hinweis, dass er sich mit Hasan Salihamidzic bespreche - und mit ihm gemeinsam entscheide. Der Sportvorstand hatte im Oktober ja unter anderem als Ergänzung für die Abwehr den seit Wochen nicht mehr eingesetzten Rechtsverteidiger Bouna Sarr verpflichtet. Und so wurde zuletzt hier und da aus naheliegenden Gründen über unterschiedliche Vorstellungen zwischen Trainer und Manager spekuliert. Besonders störten Flick offenbar Berichte, wonach es Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des von Benfica Lissabon ausgeliehenen Mittelfeldspielers Tiago Dantas, 20, gebe: "Wenn's Spieler angeht, werde ich richtig sauer, wenn es unfair ist", sagte er.

Und wie es mit der Verteidigung weitergeht? Gegen Kiel fallen nur die Angreifer Eric Maxim Choupo-Moting und Kingsley Coman mit leichten Blessuren aus, in der Defensive stehen also alle erwähnten Kandidaten zur Verfügung. Flick steht vor dem Dilemma, dass er den Schlüsselspielern in der Viererkette entweder eine Pause gönnen könnte - oder eine weitere Gelegenheit zum Einspielen und Korrigieren der jüngsten Eindrücke. Eine auffällige Änderung an seinem System hat er in dieser Saison übrigens bislang nur einmal vollzogen. Das war Ende Dezember, als Innenverteidiger Süle anstelle von Pavard und Sarr rechts hinten spielte. Es war so etwas wie die Münchner Variante einer Ochsenabwehr. Aber es war offenbar nur eine Variante für zwei Spiele.

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