Süddeutsche Zeitung

Pavard beim FC Bayern:Er ist mehrere Spieler

  • Mit Benjamin Pavard, 23, hat der FC Bayern einen flexibel einsetzbaren Defensivspieler verpflichtet.
  • Mit Spielern wie dem Franzosen versucht sich der FC Bayern an einer Art Zaubertrick. Die Bayern wollen einen Kader, der in Wahrheit nur aus 17 oder 18 Profis besteht, so aussehen lassen, als bestehe er aus 22.
  • Diese Strategie beinhaltet aber auch ein Risiko: Verletzt der Spieler sich, dann sind alle Pavards verletzt, der Rechtsverteidiger, der Innenverteidiger, der Sechser.

Von Christof Kneer

Der Abstieg mit dem VfB Stuttgart setze ihm immer noch zu, sagte Benjamin Pavard am Freitag im Presseraum der Münchner Arena. Aber immerhin, meinte Pavard, lerne man ja dazu, wenn man Schwierigkeiten durchlebe. Dann sagte er, es sei eine Ehre, dass die Fans der französischen Nationalelf extra ein Lied für ihn gedichtet hätten, und nach München sei er gekommen, um Titel zu holen. Aus der Nationalelf sei er ja gewohnt zu gewinnen.

Einen ziemlich eigenartigen Spieler haben die FC Bayern da verpflichtet, oder? Dieser Spieler, für den die Münchner 35 Millionen Euro bezahlt und den sie mit der heiligen Beckenbauer-Nummer 5 ausgestattet haben, ist offenbar beides gleichzeitig: ein Gewinner und ein Verlierer.

Weltmeister mit Frankreich, Absteiger mit Stuttgart. Ein Traumtor im WM-Achtelfinale gegen Argentinien, eine Relegations-Niederlage gegen Union Berlin.

Darf der FC Bayern jetzt also stolz sein, der Konkurrenz einen Weltmeister weggeschnappt zu haben, oder ist es andersrum? Muss dieser Pavard froh sein, trotz Abstieg so einen Riesenklub erwischt zu haben?

Wer sich am Freitag, bei der offiziellen Präsentation des neuen bayerischen Abwehrspielers, bei all diesen Fragen ertappte, hat im Grunde das Entscheidende verstanden. Denn genau darum geht's bei diesem Transfer: In Person von Benjamin Pavard, 23, hat der FC Bayern mehrere Spieler auf einmal verpflichtet. "Es ist die Idee unserer Kaderplanung, flexible Spieler zu haben", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic, "Spieler, die vielseitig sind und auf mehreren Positionen spielen können."

Kommt Sané? Und was ist eigentlich mit Werner?

Das war immerhin mal eine prima Aussage, es war vor allem ein Supersatz für alle Bayern-Anhänger, die zuletzt nicht so genau wussten, ob überhaupt eine Idee hinter der bayerischen Kaderplanung steckt - außer jener, viel anzukündigen ("Wenn Sie wüssten, was wir schon alles sicher haben...") und dann wenig zu vorzuzeigen.

Kommt Leroy Sané, hat man mit ihm schon gesprochen? Was ist mit Timo Werner eigentlich, hat man den vergessen, oder kommt der nur, wenn Sané nicht kommt? Ist Ousmane Dembélé nur ein Gerücht oder ein ernsthafter Plan B? Und dieser Flügelspieler aus Eindhoven, Steven Bergwijn, gibt's den wirklich, und falls ja, ist der dann echt eine Art Plan C?

"Wir versuchen, einige Sachen umzusetzen", sagte Salihamidzic am Freitag drei-, nein, fünf- oder vielleicht auch siebenmal. Keine Wasserstandsmeldungen, auch weiterhin nicht, er bitte um Verständnis.

Welche Idee der FC Bayern für die Spitze seines Kaders hat, welche(r) Topspieler noch kommen soll, das weiß immer noch niemand, wobei Wohlmeinende davon ausgehen, dass zumindest die Bayern selbst eine Art Ahnung davon haben. Sehr klar und übrigens auch sehr einleuchtend ist dagegen die Idee, die der FC Bayern für die Breite seines Kaders entwickelt hat. Diese Idee personifiziert niemand besser als Pavard, 23 - ein junger Spieler, über den Salihamidzic sagt, dass er "in der Abwehr auf allen Positionen spielen" könne. Im Mittelfeld könne er auch spielen, ergänzte Pavard, in Stuttgart haben sie ihn ein paarmal auf die Sechserposition gestellt.

Mit Spielern wie Pavard versucht sich der FC Bayern an einer Art Zaubertrick. Die Bayern wollen einen Kader, der in Wahrheit nur aus 17 oder 18 Profis besteht, so aussehen lassen, als bestehe er aus 22. Das Bekenntnis zu einem schmalen Kader hat Salihamidzic am Freitag noch mal erneuert, man wolle "gute Stimmung in der Mannschaft haben und nicht nur Theater", sagte er. Einer wie Pavard ist des Murrens & Motzens tatsächlich unverdächtig; er ist ein Spieler, der Weltmeister und damit groß genug ist, um spielen zu dürfen, und gleichzeitig ein Absteiger und damit klein genug, um auf der Bank zu sitzen. Pavard kann wie in der französischen Nationalelf ein seriöser rechter Verteidiger sein, falls Joshua Kimmich geschont wird oder ins zentrale Mittelfeld umzieht; Pavard kann neben Niklas Süle oder Lucas Hernandez einen zweiten Innenverteidiger geben (seine stärkste Position), aber auch gemeinsam mit den beiden in einer Dreierkette eine anständige Figur machen.

Benjamin Pavard ist mehrere Spieler in einem, und dafür sind 35 Millionen dann irgendwie sogar ganz okay.

Selbstverständlich mache sich der Trainer "Gedanken über die Kadergröße", hat Salihamidzic am Freitag eingeräumt, erst kürzlich hatte Niko Kovac ja gemahnt, dass er aus Gründen der Betriebssicherheit am liebsten noch vier weitere Spieler im Kader hätte. Einer wie Pavard gilt zwar als Trainerliebling, Trainer mögen solche Spieler, die zwar in keinem Fach eine Eins haben, dafür in allen eine Zwei mit Stern. Zwar ist Pavard in keiner relevanten Innenverteidiger-Disziplin weltweit führend, aber Zweikampfgeschick, Härte, Tempo, Kopfball- und Aufbauspiel reichen durchweg aus, um auf großer Bühne konkurrenzfähig zu sein. Allerdings durchschaut natürlich auch der Trainer Kovac dieses kleine, aber halt schon gemeine Risiko, das in diesem Münchner Zahlenzaubertrick steckt: Pavard mag mehrere Spieler auf einmal sein, dennoch dürfte sich beim Medizincheck herausgestellt haben, dass er nur über eine normale Anzahl von Kreuzbändern verfügt. Verletzt er sich, dann sind alle Pavards verletzt, der Rechtsverteidiger, der Innenverteidiger, der Sechser.

Es wird am Ende wohl doch nicht reichen, wenn die Bayern nur noch einen Spitzenspieler kaufen. Sie werden schon auch in der Breite versuchen müssen, noch einige Sachen umzusetzen, wie Hasan Salihamidzic möglicherweise sagen würde.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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