Süddeutsche Zeitung

Klubboss Oliver Kahn:Der Bayern-Chef, der das Wort "Katar" vermeidet

Was? Die Fans jubeln nicht einfach mehr? Als Vorstandschef lernt Oliver Kahn die Anhängerschaft ganz neu kennen - bei der Jahreshauptversammlung eiert der einstige Torwarttitan merklich herum.

Von Christof Kneer

Oliver Kahn hat das alles sehr schön hergeleitet. Wäre es ein Referat in der Schule gewesen, hätte er gewiss eine gute Zensur bekommen. Das Thema ("Der internationale Investorenfußball als Gefahr für den FC Bayern") traf er einigermaßen präzise, Gliederung und Aufbau waren sehr okay. Auch der Vortrag war zu loben, sicher und souverän stand Kahn da oben auf dem Podium, sein Blick löste sich immer wieder vom Manuskript. Für die Bestnote fehlte am Ende nur der überraschende eigene Gedanke. Andererseits: Wer hat den schon?

Als Oliver Kahn fertig war, bekam er freundlichen Applaus. Das war die gute Nachricht. Die nicht so gute: Man hatte nicht den Eindruck, als hätte dieses Referat irgendeiner hören wollen.

Kahn, 52, weiß jetzt, wo er hingeraten ist. Er hat 14 Jahre für den FC Bayern Fußball gespielt und mehr Titel gewonnen, als auf eine Visitenkarte passen, und es war ja eine schöne Geschichte, als dieser früher so wildwütende Torwart als abgeklärter Staatsmann zum FC Bayern heimkehrte. Fernsehexperte war er zwischendurch gewesen, Unternehmen hatte er gegründet und für Wettanbieter geworben - aber nach der wildwütenden Jahreshauptversammlung am Donnerstagabend dürfte sich Kahn auf einmal die Frage stellen, die auch Uli Hoeneß zuletzt immer wieder formuliert hatte: Ist das noch mein FC Bayern? Kahns erster Auftritt als Vorstandschef war nicht das, was er gemäß Narrativ werden sollte: ein Heimspiel. Es war allerdings auch kein Auswärtsspiel. Es war ... ja, was eigentlich?

Die Fans: geimpft, genesen sowie auf Krawall gebürstet

Oliver Kahn, der große, mächtige, furchterregende Oliver Kahn, der früher Gegen- und Mitspieler gerührt, geschüttelt und angeknabbert hat: Er kam an diesem Abend kaum vor. Handgezählte nullmal erwähnte er "Katar", den Kampfbegriff des Abends.

Knapp 800 geimpfte oder genesene, getestete sowie auf Krawall gebürstete Mitglieder erlebten eine Veranstaltung, die nach Mitternacht in Turbulenzen endete - verkürzt gesagt auch deshalb, weil die Bayern-Bosse unter Verweis auf einen gerichtlichen Beschluss einen Antrag nicht zuließen, wonach der Klub den hoch umstrittenen Sponsorendeal mit Qatar Airways im Jahr 2023 auslaufen lassen solle. Und weil sie auch nicht den Eindruck vermittelten, als hätten sie sich auch nur im Entferntesten überlegt, den Antrag zulassen zu wollen.

Oliver Kahn, immerhin, war kein Feindbild an diesem Abend, aber ob das ein Qualitätsurteil für den neuen Chef ist, muss sich erweisen. Kahn wirkte überrumpelt von der Wucht des Abends. Der Mann, der als Torwart "Wir brauchen Eier!" in die Kameras brüllte, eierte ums Thema herum - was ins etwas unscharfe Bild passt, das er seit seiner Amtsübernahme im Juli vermittelt.

Die Fußballwelt ist nicht mehr die, die er vor mehr als einem Jahrzehnt verlassen hat, junge Fangruppen formulieren Ansprüche und pochen auf Werte, die sie sicherheitshalber selbst definieren - nie wurde der Generationen- und Kulturkonflikt deutlicher als an diesem Abend, an dem die bewährten Hausreflexe des Münchner Traditionsbetriebs nicht mehr funktionierten: die besten Spieler wegkaufen, so kann man mit rivalisierenden Vereinen umgehen. Aber wenn der Gegner aus den eigenen kritischen Fans besteht?

Kahn ist ein intelligenter Mann, und spätestens seit diesem Abend weiß er, dass es in seinem Amt um mehr geht als darum, den FC Bayern im zunehmend irren europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten (was in der Pandemie schwer genug ist). Kahn muss künftig das Gegenteil dessen verkörpern, was er als Einzelkämpfer im Tor verkörpert hat. Er muss die Stimme der Vernunft werden, eine verbindliche und verbindende Autorität, die einen mitunter auseinanderdriftenden Verein im Griff behält. Er muss extern hörbarer und intern sichtbarer werden, und das in einem Klub, der jahrzehntelang auf das Duopol Hoeneß/Rummenigge ausgerichtet war. Das ist schwer. Aber schwere Spiele hat Oliver Kahn immer geliebt.

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