Oliver Kahn beim FC Bayern:Seine erste, kleine Regierungserklärung

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Erstmals als Vorstandsvorsitzender am Rednerpult bei der Jahreshauptversammlung: Oliver Kahn. (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

Es ist die große Geschichte beim FC Bayern: Oliver Kahn übernimmt den Vorstandsvorsitz - und viel wird davon abhängen, wie schnell er in der komplizierten Pandemiezeit seine endgültige Parkposition findet.

Von Christof Kneer, München

To make a long story short! Ja, es war wohl tatsächlich ein historischer Tag beim FC Bayern, dieser Montag, an dem das bayerische Fußballunternehmen endgültig die Geschäftssprache gewechselt hat. Oliver Kahn ist erstmals in seiner neuen Funktion aufgetreten, er hat eine kleine, noch etwas abstrakte Regierungserklärung abgegeben, er hat ein bisschen Wahlplakatdeutsch mit etwas Stratego-Englisch vermischt und damit einen ungewollten Effekt erzielt.

Der Effekt ist, dass der deutsche Fußball für ein paar Momente innehält und vielleicht sogar nostalgisch wird, weil er begreift, wen er in dieser ersten Juliwoche verloren hat. Es wird nie mehr einen Bundestrainer geben, der "scho au" sagt und nie mehr einen FC-Bayern-Vorstandsvorsitzenden, der sich lateinische Manierismen ("conditio sine qua non") gönnt. Okay: Nostalgie Ende.

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Seit dem 1. Juli ist Kahn nun der offizielle Amtsnachfolger von Karl-Heinz Rummenigge, aber weil "Vorstandsvorsitzender" so deutsch klingt, steht "CEO" auf dem Bildschirm, als Kahn am Montag per Zoom vor die Leute tritt. Vermutlich sitzt der analoge Uli Hoeneß gerade zu Hause an seinem analogen Tegernsee, als der digitale Kahn "a long story short" sagt und von "Strukturen" des sicherheitshalber groß geschriebenen Strategieprojekts "FC Bayern AHEAD" berichtet, mit dem er sich jetzt anderthalb Jahre beschäftigt hat.

Im Idealfall stehen Kahn und Hainer am Anfang einer neuen Ära

Auf den ersten Blick könnten das ein paar unauffällige Wochen werden bis zum bayerischen Bundesliga-Auftakt in Mönchengladbach. Sie werden keinen großen Spielertransfer mehr machen, wahrscheinlich machen sie nicht mal mehr einen kleinen, und das neue Führungspersonal hat man jetzt auch schon ein paarmal gesehen, Oli Kahn, 52, Ex-Titan und neuer CEO, und Herbert Hainer, 67, Ex-Sportartikler, jetzt Bayern-Präsident. Auch der neue Cheftrainer Julian Nagelsmann, 33, ist trotz weiterhin nachgewiesener Jugend ein alter Bekannter. Aber auf den zweiten Blick sind die kommenden Monate der Anfang von etwas. Von was genau, kann allerdings noch niemand sagen.

Im Idealfall stehen Kahn und Hainer am Anfang einer neuen Ära, die es nicht leicht haben wird, weil man sie immer an der hundertjährigen Regentschaft von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge messen wird. Aber vor allem beginnt diese Ära in einer Zeit, für die es keinerlei Erfahrungswerte gibt. Dass der FC Bayern gerade behauptet, kein Geld für Transfers mehr zu haben, dass er nicht weiß, ob er Spielerverträge verlängern kann, dass er - wie Präsident Hainer am Montag bekanntgab - wegen der Pandemie einen Umsatzverlust von 150 Millionen Euro erwartet: Das alles ist neu und eine ziemliche Herausforderung bzw. eine Challenge, wie man neuerdings wohl sagen müsste. Und in dieser komplizierten Lage muss sich nun ein neues Organigramm bewähren, das auf dem Papier längst fertiggestellt ist, aber erst noch von Menschen gefüllt werden muss. Was beim FC Bayern nicht selten ein Problem ist.

Natürlich seien das "große Fußstapfen, klar", erklärte Kahn am Montag, "aber man muss ja nicht unbedingt in diesen Fußstapfen weiterlaufen, wenn sie so groß sind". Man könne auch "andere Wege gehen", sagte Kahn und meinte offenbar seinen Führungsstil. "Ich bin jemand, der sehr, sehr stark auf das Team setzt und Menschen mitnimmt." Ja, es ist viel Zeit vergangen, seit da ein Einzelkämpfer im Tor stand und Menschen nicht mitnahm, sondern schüttelte.

Über Kahns Sein oder Nicht-Sein in den vergangenen anderthalb Jahren kursieren die unterschiedlichsten Versionen auf den berüchtigten Bayern-Fluren. Manche unterstellen Karl-Heinz Rummenigge, er habe den Nachfolger bewusst kurz gehalten, statt ihn einzuarbeiten, andere berichten von einem unausgesprochenen Deal, wonach Kahn sich zurücknimmt, solange Rummenigge noch amtiert. Manche, die es wissen müssten, weil sie sehr, sehr nah dran sind, sagen, Kahn habe im Konflikt zwischen Ex-Trainer Hansi Flick und Sportchef Hasan Salihamidzic kaum eine Hand für Flick gerührt. Andere, die es auch wissen müssten, weil sie mindestens genauso nah dran sind, sagen, Kahn habe Flick unglaublich geschätzt und unbedingt im Verein halten wollen.

Kahn sagt, er befinde sich "in sehr, sehr guten Gesprächen" mit Goretzka und Coman

Welche Version der Wahrheit am nächsten kommt, ist in dieser Sachfrage inzwischen zwar fast egal, aber allein die Kakofonie der Flüstereien zeigt, welches gerade die große Geschichte beim FC Bayern ist. Es geht um Oliver Kahn und darum, dass er nach anderthalb Jahren im Hintergrund seine endgültige Parkposition finden muss. Kahn muss künftig nicht nur auf sportpolitischem Parkett trittsicher sein, er muss den Verein auch durch die postpandemischen Zeiten führen. "In sehr, sehr guten Gesprächen" befinde man sich mit Leon Goretzka (Vertrag bis 2022) und Kingsley Coman (2023), sagte Kahn am Montag, erinnerte aber auch an den Fall David Alaba, den man ablösefrei zu Real Madrid ziehen ließ, weil man seine Gehaltsforderungen nicht erfüllen wollte.

Unter Kahns Federführung wird der Klub nun entscheiden müssen, ob er sich das alte Bonmot, wonach der FC Bayern ein "Käufer-, aber kein Verkäufer-Verein" sei, noch leisten mag. "Ich wäre vorsichtig, ob Maximen, die möglicherweise in der Vergangenheit mal gegolten haben, ewig Bestand haben", sagte Kahn dazu.

Aber keine Sorge, man bleibe dennoch "sehr gefräßig, was Titel anbelangt", sagte Oliver Kahn dann noch, to make a long story short.

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