Süddeutsche Zeitung

Torhüter beim FC Bayern:Eine gefährliche Situation für Nübel

Die Motive des FC Bayern beim Nübel-Transfer sind nachvollziehbar. Weniger klar sind jene der Partei des Torwarts - denn es hätte andere Wechselmodelle gegeben.

Kommentar von Christof Kneer

Der Torwart Oliver Kahn saß in seinem Leben schon auf viel zu vielen Podien in viel zu vielen Autohäusern, im Hintergrund jeweils eine beeindruckend hässliche Wand mit bunt aufgedruckten Werbepartnern und dem Logo des Deutschen Fußball-Bundes. Einmal, Anfang 2006, stand plötzlich Paule neben ihm, das neue DFB-Maskottchen, laut Selbstauskunft ein junger Adler, der allerdings wie ein beschwipster Pinguin aussah und irre gut gelaunt war. Damit unterschied Paule sich deutlich von Kahn, der bei der Pressekonferenz im Autohaus zum tausendsten Mal dieselben Fragen beantworten musste.

Ob er glaube, dass er bei der WM 2006 die Nummer eins sein werde? Wie sein Verhältnis zu Jens Lehmann sei, dem Herausforderer?

Wenn man über Kahn etwas mit Sicherheit behaupten kann, dann das: Er weiß, wie sich ein Torwartduell anfühlt. Und er weiß, dass ein Torwart mit fast allem klarkommen kann, mit einer schlechten Abwehr, einem flatternden Ball, vielleicht sogar mit einem Faserriss im Finger. Nur halt nicht mit einem Torwartduell.

Das Torwartspiel hat sich verändert, seit Kahn es nicht mehr spielt, der Torwart hat sich zum Torspieler entwickelt, der seine Kampfzone bis tief hinein in die eigene Hälfte ausgeweitet hat. Aber das ist nur die technische Seite des Spiels. Die psychologische Seite wird dagegen unverändert bleiben, solange das Reglement nur einen Torwart pro Team erlaubt. Ein Torwart bleibt ein Torwart und immer alleinverantwortlich, und um dieser Rolle gerecht zu werden, braucht es Vertrauen und Spielpraxis. Was es nicht braucht: Kameras, die jede Flanke vergleichend ausschlachten. Hätte er da nicht rauskommen müssen? Hat er nicht überhaupt unsicher gewirkt? Hätte der Rivale auf der Bank die Flanke vielleicht gefangen?

Kahn hat Nübel erst gelobt und dann unmissverständlich auf die Bank geredet

Der FC Bayern muss sehr, sehr viel in Alexander Nübel sehen, dass er sich ohne Not so eine Debatte ins Haus holt. Und es hat eine gewisse Ironie, dass der Funktionär Kahn dazu nun Funktionärsworte sprechen musste, die der Torwart Kahn gewiss anders formuliert hätte. Wohlwissend aber hat Kahn den Torwart in sich nicht ganz gebändigt, er hat das Duell beendet, bevor er es richtig begonnen hat. Er hat Nübel erst gelobt und dann unmissverständlich auf die Bank geredet.

Für einen Klub ist es nicht einfach, so eine delikate Konstellation auszuhalten, dennoch sind Bayerns Motive für den Transfer nachvollziehbar. Sie haben aus der jüngeren Vergangenheit Schlüsse gezogen, sie haben damals Spieler wie De Bruyne oder Sané nicht geholt, weil die zu ungünstigen Zeitpunkten auf dem Markt waren, und so haben sie nun beschlossen, sich den potenziellen Neuer-Nachfolger schon mal vorab (und ablösefrei) zu sichern. Weniger klar sind die Motive von Nübels Partei: Es hätte - siehe das Modell Serge Gnabry - gewiss Möglichkeiten gegeben, den Spieler an Bayern zu binden, ohne ihn direkt dorthin zu transferieren, und so muss Nübel nun mit dieser Gefahr leben: Dass ein junger Torwart ohne Spielpraxis ganz schnell zu einem nicht mehr so jungen Torwart ohne Spielpraxis wird.

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SZ vom 08.01.2020/chge
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