FC Bayern:Niko und die alten Männer

Beim 0:0 an der Anfield Road kann sich Trainer Kovac auf die Abgebrühtheit seiner großen Jungs verlassen. Warum klappt in der Champions League, was in der Liga oft nicht klappt?

Von Christof Kneer, Liverpool

Vor Weihnachten ist Mats Hummels 30 geworden, das gilt als prägendes Alter für einen Mann. Mit 29 kann man sich immer noch einreden, dass man ja fast noch 21 ist, weil 50 Prozent der Zahlen - immerhin! - noch identisch sind. Besonders prägend dürfte dieses Alter aber für jene Sorten von Mann sein, die zufällig auch noch Fußballprofi sind. An einem guten Tag kann man sich zwar einreden, dass man immer noch zehn Jahre jünger ist als Claudio Pizarro, aber diese Erkenntnis bringt einem nichts, weil der weltweit einzigartige Pizarro wahrscheinlich noch mit 67 am langen Pfosten steht und die Dinger reindrückt. Für alle Fußballer, die nicht Pizarro sind, bedeutet der 30. Geburtstag, dass man bald den sog. letzten großen Vertrag unterschreibt - und im aktuellen Profifußball ist dreißig sowieso das neue siebzig. Immer schneller, immer athletischer, immer fordernder wird dieses Spiel, weshalb mitunter schon Siebenundzwanzigeinhalbjährige in Gefahr geraten, eine gewisse Altersdiskriminierung zu erleiden.

In Liverpool kam Torwart Neuer auf 70 Ballkontakte - Stürmer Lewandowski auf die Hälfte

Mats Hummels, der mit 30 selbstverständlich mindestens so blendend aussieht wie mit siebenundzwanzigeinhalb, stand da also nach dem 0:0 im Achtelfinal-Hinspiel beim FC Liverpool in der engen Mixed Zone an der Anfield Road und sagte mit nicht zu überhörender Süffisanz: "Dass bei uns ständig 30-Jährige irgendwohin geschrieben werden, hat ein paar von uns schon ein bisschen verwundert." Gerne wird Hummels unterstellt, er verfolge in erster Linie eine Hummels-Agenda, aber hier sprach er ausdrücklich als Stellvertreter für eine ganze Generation - jene großen Jungs, die 2014 mit Deutschland Weltmeister in Brasilien wurden oder 2013 mit dem FC Bayern das Triple gewannen. Klar, mit der missratenen WM 2018 habe sich diese Generation "etwas angreifbar gemacht", räumte Hummels ein, aber danach sei "auch nicht mehr ganz so objektiv geurteilt worden über viele Dinge. Ich hoffe jetzt natürlich, dass wir heute zeigen konnten, was noch in uns drin steckt".

Dann lief Javi Martínez hinter ihm vorbei, ein alter Mann mit einem modernen Mobiltelefon am Ohr, in das er auf Spanisch hineinsprach. Martínez ist im vorigen Herbst ebenfalls 30 (also 70) geworden und hat 2013 das Triple gewonnen - im Gegensatz zum früheren Dortmunder Hummels übrigens, der aber immerhin auf Seiten des Verlierers das Finale bestritt.

Ob er den herausragenden Martínez auch in die Startelf genommen hätte, wenn Leon Goretzka nicht verletzt ausgefallen wäre, wurde Trainer Niko Kovac später gefragt. Goretzka gilt als führender Vertreter der aufstrebenden Generation, obwohl er (gerade 24 Jahre geworden!) auch bald ins gefährliche Alter kommt. Kovac hat die Frage mit vielen Worten, aber irgendwie nicht ganz klar beantwortet, natürlich sei ihm Goretzkas kleine Blessur "sozusagen zugutegekommen", meinte er einerseits, bevor er Goretzka andererseits sehr lobte.

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Erster Kandidat für den "Hans-Peter Briegel"-Preis 2019: Javier Martínez pflügte 90 Minuten lang über den nassen Rasen von Liverpool.

(Foto: Bernd Feil/M.i.S./Imago)

Dann sagte Kovac aber doch diesen Satz, der zur Leitthese des Abends wurde: "Als das Los uns Liverpool zugeteilt hat, war es gleich meine Absicht, an der Anfield Road möglichst viel Persönlichkeit auf den Platz zu bringen - Spieler, die alles schon erlebt haben." Auch Franck Ribéry, 35, hätte er sich gut in der ersten Elf vorstellen können, meinte Kovac, aber erstens war der alte Mann länger verletzt, zweitens ist er gerade zum fünften Mal Vater geworden. Er wurde erst spät eingewechselt, für den sehr jungen Kingsley Coman, 22.

Es wäre etwas zugespitzt, aber dennoch nicht falsch zu behaupten, dass es gerade zwei FC Bayerns gibt, die da draußen Fußball spielen: einen FC Bayern, der in der Bundesliga in manchen Spielen plötzlich den Faden verliert, weil er mitten im Umbruch steckt und neue junge Spieler im laufenden Betrieb mit den alten gebrauchten Helden mischen muss; und jenen Champions-League-FCB, der ein letztes Mal auf Wettkampfhärte und Abgebrühtheit der großen Jungs setzt. Martínez etwa, der ansonsten alles wegköpfte und wegräumte, was da geflogen kam, ist kurz vor Schluss sehr eindrucksvoll auf dem Feld rumgelegen, zu befürchten war das Schlimmste, man weiß ja nie in diesem Alter.

Champions League - Round of 16 First Leg - Liverpool v Bayern Munich

Tatsächlicher Krampf? Oder nur zur Schow rum gelegen? Die Dehnung von Thiago Alcántara gab’s für Javi Martinez so oder so.

(Foto: Phil Noble/Reuters)

"Javi hat gute Laufleistungswerte, der kann gar keinen Krampf haben", sagte Kovac später in recht verblüffender Offenheit. Er wollte damit also wohl sagen, dass Martínez nur zur Show so rumgelegen ist, zum Zwecke des Zeitschindens.

Kovac, Martínez und Hummels waren die entscheidenden Leute bei dieser intensiven Veranstaltung, und man darf auch noch Niklas Süle hinzuzählen, der an diesem Abend zum Greis ehrenhalber ernannt wurde. Süle, 23, spielte, als habe er bereits 150 Länderspiele bestritten, mit spektakulärer Ruhe wandelte er samt seinen knapp 100 Kilo Sportlergewicht auf diesem ultraschmalen Seil, das Kovac seine Leute da aufspannen ließ. In taktischer Hinsicht war das eine hoch spannende Versuchsanordnung: Kovac hatte den stolzen Bayern eine massive Außenseiter-Taktik verordnet, anders als die bestimmt sehr modernen Pep Guardiola mit Manchester City oder Julian Nagelsmann mit Hoffenheim, die ihre mutigen Ansätze gegen Liverpool vorige Saison teuer bezahlten.

Bei den Kovac-Bayern kam an diesem Abend ein kurioser Hybrid heraus. Sie standen einerseits so weit hinten, dass Robert Lewandowski in 90 Minuten auf exakt drei Ballkontakte im gegnerischen Strafraum kam (ja, wirklich: drei). "Wir wollten das Tempo von Liverpool rausnehmen und ihre Konter verhindern", erklärte Hummels. Das gelang, weil es hinter Abwehrspielern, die an der eigenen Torlinie stehen, nicht mehr viel Raum zum Kontern gibt.

Andererseits lösten die Münchner ihre Außenseiter-Aufgabe immer wieder mit den Mitteln einer Ballbesitzmannschaft. Sie bolzten die Bälle nicht nach vorne, sie spielten die Bälle hinten hin und her, Hummels zu Süle zu Neuer zu Süle zu Hummels (der Torwart Neuer, übrigens, kam am Ende auf 70 Ballkontakte). Extrem riskant war das, jeder minimale Fehler hätte umgehend ein Gegentor zur Folge gehabt - aber die großen Jungs blieben beeindruckend konzentriert, bis zum Schluss.

Unter völliger Preisgabe ihrer eigenen offensiven Qualitäten schafften es die Bayern am Ende, ohne Gegentor die Anfield Road zu verlassen. Die Champions League werden sie mit diesem Stil eher nicht gewinnen, fürs Weiterkommen könnte es reichen. Und wer weiß, vielleicht ist im Rückspiel in drei Wochen sogar der wirklich uralte Arjen Robben wieder dabei.

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