Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Klingt fast nach Taktik-Seminar

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Von Sebastian Fischer, Stuttgart

Wer Belege für den Gemütszustand des deutschen Fußballs im Allgemeinen und des Münchner Fußballs im Speziellen sucht, der findet sie zuverlässig im Gesicht von Thomas Müller. Vor zwei Monaten, nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in Russland, verließ er das Stadion in Kasan mit gesenktem Kopf, zusammengezogenen Augenbrauen, weinend. Am Samstag, nach dem 3:0 des FC Bayern, fünf Tage vor dem ersten Länderspiel nach der WM, verließ er das Stadion des VfB Stuttgart mit erhobenem Kopf, entspannten Augenbrauen, singend.

Es sind erst zwei Spieltage dieser Bundesligasaison vorbei, aber es klang bereits nach endgültigen Erkenntnissen, wie so mancher Beteiligter vom zweiten Sieg des Meisters schwärmte. Der gebürtige Frechener Michael Reschke zum Beispiel, Stuttgarts Sportdirektor mit Vergangenheit als Münchner Kaderplaner, sprach über den bayerischen Fußball wie über einen etwas schwer verdaulichen, aber vorzüglichen rheinischen Sauerbraten; er nannte die schallende Niederlage seines Klubs "mächtig", wobei er "ch" und "g" jeweils wie "sch" aussprach. Er sagte: "Es ist völlig klar, dass Bayern München deutscher Meister wird. Und zwar nicht dieses Jahr, sondern dieses Jahr, nächstes Jahr und übernächstes Jahr."

Das Lied auf Müllers Lippen

Arjen Robben, der niemals zufriedene, immer ehrgeizige 34 Jahre alte Münchner Flügelstürmer, zählte die Vorzüge der Leistung seiner Mannschaft auf: "Sehr souverän, konzentriert, engagiert." Die Stuttgarter, sagte er, "haben keinen Torschuss gehabt, wie ich gehört habe". So als würde er seiner Defensive derart vertrauen, dass er sich über ihre einwandfreie Arbeit erst nach dem Spiel im Radio erkundigen müsse. Und hinter Robben schlenderte Müller Richtung Parkplatz. Das leise Lied auf seinen Lippen sah aus wie Schalala.

In den vergangenen Wochen und Monaten ist der FC Bayern viel kritisiert worden, angefangen bei der etwas letschert wirkenden Suche nach einem neuen Trainer, über die nicht mehr ganz so knusprige Leistung im verlorenen DFB-Pokalfinale gegen Frankfurt bis hin zum Einfluss der Münchner Nationalspielerfraktion auf das Debakel der Nationalelf und, schließlich, dem Theater um die wechselwilligen Robert Lewandowski und Jérôme Boateng. Der Samstag in Stuttgart war eine Demonstration, wie ziellos die ganze Kritik wirken kann, wenn es beim FC Bayern läuft.

Niko Kovac zum Beispiel arbeitet selbstbewusst dem Affront entgegen, er könne womöglich nicht die erstbeste Lösung als Bayern-Trainer gewesen sein. Wer den Spielern beim Erklären zuhört, kann sich neuerdings in einem erstklassigen Taktik-Seminar wähnen. Torwart Manuel Neuer lobte die "Schemen für tiefe Gegner", die Kovac lehre. Müller lobte die Detailarbeit. Leon Goretzka lobte, dass die sogenannte "Restverteidigung der letzten Reihe", also das Raumdecken zur prophylaktischen Vermeidung von Kontern, der "Schlüssel zur Dominanz" gewesen sei.

Durch Goretzkas Startelfdebüt für die Münchner standen sechs Nationalspieler in der Mannschaft. Es waren vor allem der Zugang aus Schalke und Müller, die Bayerns Spielfreude zum Ziel führten. "Auf den beiden Achterpositionen die Zwischenräume zu bespielen", so erklärte Goretzka seine Aufgabe. In der 37. Minute traf er nach Vorlage von Müller mit einem Schuss aus dem Stand zum 1:0, das 2:0 durch Robert Lewandowski bereitete er nach Pass von Müller mit einer Berührung mit dem Außenrist vor.

Das 3:0 erzielte Müller selbst, nach Vorlage von Lewandowski mit der Hacke. Goretzka sagte voller Demut: "Speziell das dritte Tor kann man noch mal rausheben. Ich durfte den ersten Pass spielen und mir das von hinten angucken." Bayern zog die Stuttgarter Defensive auseinander und fand Lücke um Lücke, dafür stand das aus der eigenen Hälfte heraus kombinierte Tor zum Endstand exemplarisch. Es war gleichzeitig ein Argument gegen die These, dass Tore im Jahr 2018 nur noch aus provozierten Ballverlusten des Gegners entstehen können. "Das sah nach Fußball aus", lautete der Satz, mit dem Uli Hoeneß das Stadion verließ.

Kovac hatte wie schon vor dem ersten Spiel gegen Hoffenheim rotiert, diesmal spielte Mats Hummels neben Boateng in der Innenverteidigung, Thiago anstelle von Javier Martinez vor der Abwehr, Robben im Angriff anstelle des verletzten Kingsley Coman. Der Niederländer sagte lächelnd: "Als Spieler denkst du nur für dich. Fußball ist eine egoistische Welt. Der Trainer muss an die Mannschaft denken." Kovac scheint das bislang gut zu gelingen, der Konkurrenzkampf wirkt produktiv. Auch Stürmer Lewandowski, der bislang in jedem Pflichtspiel traf, ist in einer Form, die seinen bisweilen offen vorgetragenen Egoismus tolerabel macht.

Die größten Profiteure sind gerade die harmonierenden Müller und Goretzka, womöglich zu einem besonders günstigen Zeitpunkt. Der eine, 28, ist in einer Nationalelf ohne Mario Gomez und Sami Khedira mehr denn je als Führungskraft gefragt. Der andere, 23, galt schon vor der WM als einer der hoffnungsvollsten Vertreter der jungen Generation. Als Müller Richtung Parkplatz noch mal stehen blieb, um über die Nationalmannschaft zu sprechen, sagte er: "Wir müssen jetzt einfach mal nach vorne schauen." Er klang sehr motiviert.

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SZ vom 03.09.2018
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