Glosse "Linksaußen":Echte Liebe auf Zeit

Wenn jedes Pommes auf die Goldwaage gelegt wird, ist es irgendwann Zeit, zu gehen. Das trifft auf Ehen ebenso zu wie auf Verbindungen von Fußballern und ihren Vereinen, wie das Beispiel von Niklas Süle zeigt.

Von Stefan Galler

Man wird den Verdacht nicht los, dass das alte Motto irgendwie ausgedient hat: "Bis dass der Tod euch scheidet", sagen Brautpaare bis heute bei ihrer katholischen Trauung. Und weil nicht nur die Kirche, sondern auch die Institution Ehe angesichts einer 2020 auf 38,5 Prozent gestiegenen Scheidungsrate in Deutschland zuletzt ins Schlingern geraten ist, scheint es an der Zeit, mal über all das nachzudenken. Wie wäre es beispielsweise mit folgendem Modell: Ehen werden künftig immer nur auf Zeit abgeschlossen, man einigt sich je nach Grad der Zuneigung auf Drei-, Fünf- oder auch mal Zehnjahresverträge, was in den Familiennachrichten der Lokalzeitung dann als "langfristiges Engagement" bezeichnet werden könnte.

In Profi-Mannschaftssportarten hat man mit derlei Vereinbarungen gute Erfahrungen gemacht. Denn dort schließen Aktive und Vereine ja auch so etwas wie einen Bund, der allerdings nur selten einer fürs Leben ist. Im Fußball etwa bleiben oft höchstens Menschen ihren Klubs treu, die aus tief katholischen Gegenden kommen wie Rom (Francesco Totti) oder Oberbayern (Thomas Müller).

Aber es ist halt auch für manchen Kicker schwer, trotz ohnehin schon opulenter Zuwendungen vom Partner nicht externen Verlockungen zu erliegen. Erst recht, wenn in der Beziehung ständig genörgelt wird. Da wird dann jede leckere Pommes auf die Goldwaage gelegt mit dem wenig sanften Hinweis von der, nun ja, besseren Hälfte, dass das ja so mit der Diät nichts werde. Oder wenn man andauernd hört, dass man als Partner schon ganz brauchbar sei: "Aber so richtig durchgesetzt hast du dich doch in unserer Beziehung nie."

Süle hat mit seinem angekündigten Abschied aus München das getan, was sich viele Ehemänner und -frauen nicht trauen

Da bleibt einem nur, die Konsequenzen zu ziehen. Insofern hat Niklas Süle mit seinem angekündigten Abschied aus München das getan, was sich viele Ehemänner und -frauen nicht trauen. Sein Scheidungsanwalt ist Berater Volker Struth, das Trennungsjahr geht langsam in die letzte Phase, einen (Ehe-)Vertrag muss keiner mehr kündigen oder anfechten - er läuft im Sommer einfach aus. Und dank eines gewissen Jean-Marc Bosman kann sich Süle gleich in eine neue Beziehung stürzen, ohne dass da noch über finanzielle Belange gestritten werden muss. Er mag es künftig etwas weniger glamourös, zieht sich in eine karge Gegend zurück, wo man immer ein bisschen hadert, aber dafür mit Herz: "Echte Liebe" ist das Vereinsmotto von Borussia Dortmund.

Und der verlassene Ex-Partner? Reagiert weniger mit gekränktem Stolz als vielmehr mit Boshaftigkeit. In den sozialen Medien wird Folgendes geteilt: "Niklas Süle erklärt seinen Wechsel zum BVB: ,Mit Bayern hätte ich mir den Traum vom Vizemeistertitel niemals erfüllen können.'"

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