FC Bayern: Neue Nummer eins:Stammplatz für Protz

Das Gespräch zwischen Trainer und Chefetage des FC Bayern bestätigt: Thomas Kraft hütet ab sofort das Tor der Münchner. Van Gaal hält ihn für stärker als Butt - der Vorstand nimmt die Entscheidung hin.

Andreas Burkert und Moritz Kielbassa

Die Freude von Felix Magath über den überraschenden Münchner Torwartwechsel ist doppelbödig. Der Trainer von Schalke 04, damals in Diensten des FC Bayern, hatte Thomas Kraft einst zu den Profis geholt und ihn mit zarten 16 Jahren mitgenommen ins Trainingslager nach Dubai. "Er ist ein sehr guter Junge mit der richtigen Einstellung", lobt Magath seinen einstigen Azubi, der ab sofort die begehrteste Planstelle für Bundesliga-Torhüter besetzt: Kraft, jetzt 22, ist die neue "Nummer Eins" der Bayern, als Erbe von Vorgängern wie Maier, Pfaff oder Kahn.

Wintertrainingslager FC Bayern Muenchen

Nur noch zweiter Mann: Obwohl Jörg Butt (links) bisher sehr ordentliche Leistungen gezeigt hat, muss der bisherige Bayern-Keeper seinem jüngeren Kollegen Thomas Kraft Platz machen.

(Foto: dapd)

Felix Magath, der ewig Listige, gratuliert dem Kollegen Louis van Gaal aber nicht nur deshalb zu der Wahl, weil Kraft seine Entdeckung war. Magath spekuliert darauf, dass Kraft in der Rückrunde überzeugt - und sich ein Ankauf von Schalkes Manuel Neuer erübrigt.

Entsprechende hauspolitische Brisanz hat die Rochade bei den Bayern. Die sportliche Leitung war, milde formuliert, befremdet über van Gaals mutigen Entschluss, dem soliden Jörg Butt, 36, den jungen Herausforderer vorzuziehen. Doch natürlich ließ sich der meinungsstarke Trainer nicht abbringen von seinem Plan beim Treffen mit dem Vorstand am Montag, nach der Rückkehr aus dem Trainingscamp in Katar.

Van Gaals exklusive Entscheidung

"Wenn der Trainer Thomas Kraft am Samstag aufstellen sollte, ist das seine exklusive Entscheidung und damit Ende," sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummeingge am Dienstag. "Wir sind überhaupt nicht irritiert oder verärgert." Damit steht fest: Kraft rein, Butt raus - mit noch unabsehbaren Folgen für das feste Vorhaben, Nationaltorwart Neuer zu holen.

Ob Kraft vergleichbares Potential wie der deutsche WM-Held habe? "Dafür muss man ihn ausprobieren und ein bisschen ausbilden", sagt van Gaal mit süffisanter Note. So umstritten die Maßnahme ist, fachlich gibt es laut einhelliger Expertenmeinung keinen Grund, an Krafts Fähigkeiten zu zweifeln und zu befürchten, dass nach Michael Rensing ein zweiter junger Bayern-Torwart verheizt werde. Van Gaal hält Kraft für besser als Butt, so sagte er es dem Vorstand.

Eine hohe Messlatte ist das, an Butts Vorrunden-Leistung war wenig zu beanstanden. Kraft war selbst überrascht, als ihm van Gaal am Persischen Golf die frohe Kunde überbrachte: "Ich rechnete nicht damit, dass die Sache offen ist." Kraft, aufgewachsen im Westerwald, gilt als nett und bodenständig - als geradezu spektakulär normal. Er ist mit 22 verheiratet, zwei wichtige Bezugspersonen, sein Vater und ein Onkel, verstarben früh. Eine kritisch-schüchterne Miene ist Krafts natürlicher Gesichtsausdruck. Seine Spitznamen: "Krafti" und "Protz"; als Hobbys gibt er an: Hunde (Rottweiler), Billard, Musik.

Entdeckt hatte ihn Peter Gänßler, früher im Scouting-Netzwerk der Bayern tätig, bei einer Jugendauswahl in Rheinland-Pfalz. Doch als Gänßler Kraft im Verein sichten wollte, bei der SG 06 Betzdorf, tauchte ein Problem auf: "Ich sah den Spielberichtsbogen - und es stand ein anderer im Tor. Weil sie zu wenig Leute hatten, lief Thomas als Mittelstürmer auf."

Bonuspunkte bei van Gaal

Die dort gezeigten Qualitäten - "Draufgängertum, Laufstärke und gute Ballbehandlung" - sind gewiss auch in van Gaals Bewertung Bonuspunkte, in der Fußballschule des Holländers muss der Torwart zum elften Feldspieler taugen, als Anspielstation und Ausputzer hinter Vorderleuten, die in seinem Spielverständnis offensiv aufrücken.

Es gibt sicher leichtere Konstellationen für einen jungen Keeper vor dem Sprung ins Kaltwasser als die aktuellen bei Bayern: mit dem Druck, in der Rückrunde das Mindestziel der Champions-League-Qualifikation zu gewährleisten. Und das im Verbund mit einer Innenverteidigung, die wohl ebenso umgebaut und mit jungen Arbeitskräften besetzt wird: Breno und Badstuber, jeweils 21.

Viele junge Arbeitskräfte

Doch viele glauben, Kraft kann das. Magath lobte ihn früh, der Trainer Jürgen Klinsmann erwog bereits 2008, Kraft statt Rensing ins Tor zu stellen - damals intervenierten die Bosse forscher. Krafts Reaktionsvermögen auf der Linie ist herausragend, Schwachstellen sind bisher unbekannt, obwohl er in dem nach ihm benannten Raum seltener die Hanteln stemmt als zum Beispiel Rensing, der gescheiterte erste junge Anwärter auf die Oliver-Kahn-Nachfolge.

In 104 Einsätzen für Bayerns Drittliga-Reserve hat Kraft sein Talent angedeutet, doch er betonte immer: "Ich spiele nicht Fußball, um irgendwo nur zweiter oder dritter Torwart zu sein. Und ich will auch nicht in der zweiten oder dritten Liga versanden." Nun darf er sich auf der großen Bühne zeigen, auch den Stehplatz-Fans in der Südkurve, die bereits im Dezember Spruchbänder hochhielten, in denen sie für das Eigengewächs als Nummer eins votierten. Und nicht für Neuer.

Dass er als Jugendlicher an der Säbener Straße trotz Widerständen für geeignet befunden wurde, hat Kraft einem ehemaligen Torwarttrainer des Klubs zu verdanken: "Bernd Dreher hat sich sehr für Kraft eingesetzt", erinnert sich Peter Gänßler. Dreher ist jetzt übrigens Trainer in Schalke und übt mit Manuel Neuer.

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