Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Deutscher Box-Meister

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Der 5:1-Sieg der Bayern gegen Leverkusen ist ein eindrucksvoller Beleg für den Fußball, den Trainer Julian Nagelsmann von seiner Mannschaft sehen will.

Von Sebastian Fischer

Von Julian Nagelsmann weiß man seit der vergangenen Woche, dass er früher "Johnny" gerufen wurde, nach dem ehemaligen englischen Verteidiger John Terry. Nagelsmann, 34, war in seiner Jugend Abwehrspieler, "da gab es gewisse Ähnlichkeiten, er war eine Art Vorbild", erzählte der Trainer des FC Bayern der britischen Zeitung Times.

Vergleiche mit dem Angreifer Cristiano Ronaldo, einem regelmäßigen Gegenspieler Terrys zu dessen aktiver Zeit, wären dagegen bis zum vergangenen Wochenende verwegen gewesen. Am Sonntag allerdings, als seine Mannschaft kurz vor der Halbzeitpause das 5:0 beim 5:1-Sieg gegen Leverkusen geschossen hatte, sprang Nagelsmann so euphorisiert durch seine Coaching-Zone, dass es an das breitbeinige Ritual des Portugiesen nach seinen Toren erinnerte. "Ich habe keine Jubel-Vorbilder", sagte er zwar. "Ich glaube nicht, dass es aussieht wie Cristiano Ronaldo, soll's zumindest nicht. Aber wenn's das tut, ist es auch nicht schlimm. Ist jetzt auch kein ganz Schlechter."

Es ging also unter anderem um den Torjubel in der Nachbetrachtung der Partie, die ein Bundesliga-Spitzenspiel hätte sein sollen, aber mit vier Münchner Treffern zwischen der 30. und 37. Minute vielmehr eine für die Liga schmerzhafte Demonstration der Offensivstärke des FC Bayern wurde. Ausgiebig jubelnde Bayern, das ist spätestens seit Sonntag mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bild, das sich die Liga auch in dieser Saison nicht wird abgewöhnen können. Und mit dem Jubel ließ sich außerdem nicht nur die emotionale Komponente des Sieges erklären, die Nagelsmann als besondere Freude nach den "langen Nachwehen" der ersten Saisonniederlage gegen Eintracht Frankfurt vor zwei Wochen beschrieb. Der Torjubel des FC Bayern ist gerade auch ein Indiz für die spielerische Stärke der Mannschaft.

52 Treffer hat der Rekordmeister in dieser Saison in allen Pflichtspielen zusammengerechnet schon erzielt, 29 sind es in der Bundesliga nach acht Spielen, alles selbstverständlich von der Konkurrenz unerreicht. Und es gibt zwar keine Statistik, die auflistet, wie schnell die Gratulanten nach den Toren jeweils zum Feiern bei den Torschützen waren, doch die Vermutung liegt sehr nahe, dass der FC Bayern auch in dieser Wertung führend wäre. Wenn einer trifft, sind die anderen meist auch ganz in der Nähe. So wie sich Nagelsmann das vorstellt.

So sehr die fünf Tore am Sonntag auch jeweils mit den viel zu passiv verteidigenden Leverkusenern zu erklären waren und mit rund sieben Münchner Minuten wie im Rausch vor der Pause, sie hatten auch etwas anderes gemeinsam: Sie fielen alle aus kürzester Distanz. Und ob es bei den zwei Toren von Robert Lewandowski war, den beiden Treffern von Serge Gnabry oder dem von Thomas Müller: Immer war der Strafraum voller Münchner. Am eindrucksvollsten war das beim 2:0, vorbereitet von Linksverteidiger Alphonso Davies, erzielt durch Lewandowski, zu sehen: Sechs Bayern waren dafür in den Sechzehner gesprintet, vier in vorderster Linie und zwei dahinter. Von Bayer Leverkusen waren nur fünf Spieler da. Und der Treffer war nicht etwa aus einem Konter entstanden, sondern hatte mit dem Spielaufbau bei Torwart Manuel Neuer begonnen.

Die Bayern-Spieler scheinen überall zu sein

Die "Boxbesetzung" zählt zu den ungelenken Fachbegriffen, die zwar in keinem Duden stehen, die Nagelsmann aber trotzdem oft erwähnt, wenn er über den Fußball spricht, den seine Mannschaft nach drei Monaten mit ihm als Coach spielen soll. Und so simpel es klingt, dass es zur Torerzielung hilfreich ist, möglichst viele Fußballer vors Tor rennen zu lassen - in den Strafraum, die Box -, so sehr ist es ein Teil der Erklärung, warum dem deutschen Meister mit seinem neuen Trainer gerade so viele Tore gelingen. Die Spiele muten dabei trotzdem nicht wild an, es gibt kaum Kontermöglichkeiten für den Gegner, wie es auf hohem Niveau selbst unter Nagelsmanns Vorgänger und Sieben-Titel-Trainer Hansi Flick manchmal bemängelt wurde, als die Partien auch mal 4:3 ausgingen.

"Wir haben eine sensationelle Struktur gehabt mit Ball", sagte Nagelsmann am Sonntag. "Wir hatten viele Spieler zwischen den Ketten, gerade hinter den Sechsern des Gegners, somit haben wir Tempo, Tiefe und Torgefährlichkeit bekommen", sagte Joshua Kimmich. Besonders Leroy Sané und Müller liefen oft im richtigen Moment in die gefährlichen Zonen zwischen den Leverkusener Abwehrreihen in der Spielfeldmitte, Gnabry auf der rechten und Davies auf der linken Seite kamen im Sprint über die Flügel, entweder Kimmich oder Leon Goretzka liefen auch mit in die Spitze, in den Rückraum des Strafraums. Die Münchner schienen überall zu sein. Und so waren nicht nur die Optionen im Angriff zahlreich, die Formation nahm den Leverkusenern gleichzeitig schon in deren eigener Abwehr Raum und Zeit zur Entstehung von Gegenangriffen.

Im eigenen Ballbesitz schon den möglichen Ballverlust mitzudenken und sich besser fürs Gegenpressing zu positionieren, das hatte Nagelsmann nach der 1:2-Niederlage gegen Frankfurt angesprochen und vor den Leverkusener Kontern gewarnt. "In den Punkten, die wir gegen Frankfurt nicht super gemacht haben, haben wir extreme Schritte gemacht", sagte er nun.

Am Mittwoch geht es für die Bayern in der Champions League in Lissabon weiter, wo sie berühmtermaßen 2020 jubelten, als sie im Estadio da Luz den Titel gewannen. Nur Alphonso Davies, der damals schon sprintend die Strafräume eroberte, droht angeschlagen auszufallen.

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