FC Bayern nach der ersten Bundesliga-Niederlage:Abhängig von der Diven-Zange

Franck Ribéry verletzt, Arjen Robben nach langer Pause wirkungslos - beim 1:2 gegen Bayer Leverkusen fehlt dem FC Bayern München der Türöffner-Moment auf den Flügeln. Dabei schwirrt am Ende sogar ein Kolibri herum. Die Münchner tun die Pleite als einmaligen Unfall ab.

Thomas Hummel

Wer jemals daran gezweifelt hat, dass der FC Bayern über einen Führungsspieler verfügt, der wurde am Sonntagabend in der Nachspielzeit eines Besseren belehrt. Da tauchte Torwart Manuel Neuer etwa 30 Meter vor dem gegnerischen Gehäuse auf, behauptete den Ball gegen zwei Leverkusener und passte gekonnt auf den freistehenden Jérôme Boateng am linken Flügel.

Manuel Neuer sah dabei in seinem grellgrünen Trikot und mit seinen fuhrwerkenden Armen wie ein hektischer Kolibri aus, der inmitten all der erschöpften Feldspieler noch einen hyperaktiven, letzten Versuch unternahm. Neuer stemmte sich heldenmutig gegen diese Pleite. Doch Claudio Pizarro verlängerte die Flanke Boatengs eben nur an die Latte, danach war Schluss. Der FC Bayern München hat nach acht Siegen in Serie das erste Spiel in dieser Bundesliga-Saison verloren. 1:2 zu Hause gegen Bayer Leverkusen.

Weder der Kolibri im Tor noch seine rotgewandeten Mitspieler wollten das hinnehmen. Sie sprachen anschließend unisono von einer völlig überflüssigen Niederlage, von einem einmaligen Unglücksfall. "Ich weiß nicht, ob Leverkusen heute Lotto gespielt hat, sie haben heute sehr glücklich gewonnen", befand Verteidiger Boateng. Vor allem die beiden Gegentore hinterließen fassungslose Münchner: "Wir hauen uns die Dinger ja fast selber rein. Da war sehr viel Pech im Spiel", klagte Neuer und sein Kapitän Philipp Lahm assistierte: "Ich habe keine Torchancen der Leverkusener außer den zwei Toren gesehen und das waren nicht mal Torchancen."

Nun entspricht es der ungeschminkten Wahrheit, dass beide Gegentreffer der Münchner unter tatkräftiger Beteiligung dieser fielen. Beim 0:1 klärte Lahm einen Querpass vor dem Tor nicht ins Toraus, sondern an das Schienbein von Stürmer Stefan Kießling, der so den Ball ins Netz lenkte (42.). Beim 1:2 half den Gästen, dass Sidney Sam bei seinem Kopfball völlig die Orientierung verlor und statt auf das Tor in Richtung Eckfahne köpfelte. Auf dem Weg dorthin klatschte die Kugel allerdings mitten ins Gesicht von Boateng, von dort trudelte sie am überraschten Neuer vorbei über die Linie (87.).

Die Leverkusener gaben anschließend fast verschämte Sieger-Interviews. "Die Bayern haben sehr viel investiert, waren hoch überlegen und haben enorm viel Druck ausgeübt", erkannte Mittelfeldspieler Lars Bender. Jeder Leverkusener gab zu, hier nur mittels einer Portion Glück den ersten Sieg des Klubs seit 23 Jahren kommentieren zu dürfen. Allerdings war allein der Faktor Glück nicht die ganze Wahrheit.

Erstens agierten die Gäste nicht ganz so passiv und schwach, wie es die Münchner gerne suggeriert hätten. Die beiden Tore hätten die Bayer-Stürmer auch ohne Umwege schießen können, vor dem 1:0 wurde Stefan Kießling bereits ein Tor abgepfiffen, was zumindest zweifelhaft erschien. Und in der zweiten Halbzeit waren André Schürrle und Kießling noch zu schönen Kontermöglichkeiten gekommen.

Die Bayern hatten hingegen nach einer guten Anfangsphase zunehmend Probleme, aus ihrer Überlegenheit im Mittelfeld zu Torchancen zu kommen. Nur zwei von geschätzten 120 Flanken fanden den Kopfball-Stürmer Mario Mandzukic, einmal scheiterte dieser am hervorragenden Bernd Leno im Gäste-Tor, einmal verwandelte er zum 1:1 (77.). Der Rest waren zumeist hineingeschaufelte Bälle, die von der sehr aufmerksamen Leverkusener Zentral-Defensive um die starken Innenverteidiger Philipp Wollscheid und Ömer Toprak aus dem Strafraum befördert wurden. Selbst als die Bayern-Angriffe am Ende immer wütender wurden, als Trainer Jupp Heynckes die ganze Offensivkraft dieses Kaders auf das Feld geschickt hatte, kamen die Leverkusener direkt vor dem Tor nur ganz selten in Bedrängnis.

"Bayern ist mit Barcelona das absolute Nonplusultra"

Dabei stand mit Mandzukic, Claudio Pizarro, Toni Kroos, Thomas Müller, Xherdan Shaqiri und Arjen Robben alles an Torgefahr auf dem Platz, was die Münchner Aufstellungsliste hergab. Ja, auch Arjen Robben war wieder da, nachdem er sich nur eine knappe Woche zuvor über seine akuten Rücktrittsgedanken wegen der ewigen Verletzungen ausgelassen hatte. Ein Schmerz im Oberschenkel, der vom Rücken herrührt, hatte ihn nachdrücklich frustriert. Doch nun sollte der Niederländer nach wochenlanger Pause diese Niederlage abwenden. Robben blieb wirkungslos.

Und so mussten sich die Bayern trotz ihres exquisit verbreiterten Kaders die Frage stellen lassen, ob die Niederlage damit zusammenhänge, dass Franck Ribéry wegen Muskelproblemen nur zuschauen konnte. Der Franzose mit seiner Dribbel- und Sprintkraft ist gerade in Partien gegen sehr defensive Gegner häufig für den Türöffner-Moment gut gewesen in den vergangenen Wochen. "Franck war in einer Topform. Dass so ein Spieler schwer zu ersetzen ist, ist klar", antwortete Lahm wahrheitsgemäß. Sind die Münchner also immer noch abhängig von ihrer Diven-Zange auf den Flügeln?

Jedenfalls werden sich die Gegner auch in Zukunft eher freuen, wenn Ribéry und Robben nicht auf der Höhe ihres Schaffens sind. Auch wenn nicht viele Gegner das eigene Tor derart erfolgreich vernageln werden, wie das überraschenderweise Bayer Leverkusen am Sonntag gelang. Sportchef Rudi Völler stellte die Relationen aus seiner Sicht dar: "Bayern ist mit Barcelona das absolute Nonplusultra in Europa. Die beiden werden normalerweise auch die Champions League untereinander ausmachen und wir haben hier gewonnen."

Angesichts von weiterhin vier Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger Schalke 04 und neun auf Titelverteidiger Borussia Dortmund reagierten die Münchner leicht genervt, wenn sie nun nach einer drohenden Krise wie in der Vorsaison befragt wurden. Damals hatte eine lange Serie ohne Gegentor in einen schwierigen Herbst und Winter gemündet. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge immerhin warnte: "Die Mannschaft wird nun Druck kriegen."

Der November 2011 sei kein Monat für den FC Bayern gewesen und er sei gespannt, ob das die Mannschaft 2012 besser mache. Rummenigge wirkte dabei aber weder böse noch sorgenvoll. Sondern eher in der Gewissheit, dass die orientierungslosen Kopfbälle der Konkurrenz nicht jedes Wochenende im Gesicht des eigenen Verteidigers landen. Und Franck Ribéry soll ja auch bald zurückkehren.

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