Süddeutsche Zeitung

FC Bayern nach dem Sieg gegen Hannover 96:Im altmodischen Attacke-Modus

Trotz einer geschwächten Startaufstellung, trotz eines Beinahe-Eigentors von Jérôme Boateng und trotz eines starken Gegners: Der FC Bayern gewinnt sein Heimspiel gegen Hannover 2:1 und setzt den BVB zumindest zwischenzeitlich unter Druck. Die Zufriedenheit nach dem Spiel ist bei den Münchnern so groß, dass Uli Hoeneß in alter Manier gegen den Meister stichelt.

Thomas Hummel, Fröttmaning

Jérôme Boateng hatte bereits sein rotes Trikot ausgezogen. Der Oberkörper des Mannes mit dem Vater aus Ghana und der Mutter aus Berlin ist beeindruckend, die Brust-, Bauch- oder Schultermuskeln sind geformt wie bei einer griechischen Statue. Der Schritt dieser 21-jährigen Gottheit wirkte indes seltsam schwach, der mächtige Oberkörper leicht gebeugt. Boateng hatte kurz nach Schlusspfiff dieses Bundesligaspiels sein Ziel bereits im Blick: Es war der Herr mit dem weißen Hemd.

Auch Manuel Neuer hatte sein grellgrünes Trikot abgelegt, auch der Torwart des FC Bayern München ist groß und stark, doch der Anblick seines Oberkörpers blieb den Besuchern in der Arena verwehrt - Neuer trug ein weißes Unterhemd. Boateng erkannte ihn dennoch von weitem, er umarmte seinen Torwart und trug dabei den Kopf erstaunlich tief. Neuer erzählte später: "Er hat sich einfach bei mir bedankt, aber ich sag: Ist doch kein Problem, ich mach das gerne für dich."

Die Szene aus der 85. Spielminute am Samstagnachmittag gegen Hannover 96 hätte den Verteidiger Jérôme Boateng mit dem beeindruckenden Oberkörper fast in einen Titel-Tollpatsch verwandelt. Was war passiert? Manuel Neuer war am nächsten dran: "Das war ein Ball, womit du normalerweise nicht immer rechnest, dass er aufs Tor kommt, weil Jérôme eigentlich die Bälle auch immer richtig trifft. Ja, jetzt war es so, dass er ihn nicht richtig getroffen hatte, gerade dann musste ich auch hellwach sein und hab trotzdem damit gerechnet, dass er aufs Tor kommen kann und da war ich natürlich froh, dass ich da noch konzentriert war." Da lächelte Manuel Neuer.

Boatengs "Rückwärtspass" (Präsident Uli Hoeneß) wäre sonst das 2:2 gewesen von Hannover 96 und die Bayern hätten zwei Punkte verloren im Kampf um die Deutsche Meisterschaft, vielleicht schon zwei entscheidende. Doch das Tor fiel nicht, Bayern München gewann 2:1 und robbte sich zumindest am Samstag bis auf zwei Punkte an Borussia Dortmund heran.

Die Münchner wirkten froh, dieses unangenehme Spiel siegreich hinter sich gebracht zu haben. Da waren die 120 Minuten am Mittwoch in Mönchengladbach gewesen - im Pokalspiel samt Elfmeterschießen. Trainer Jupp Heynckes rotierte zum ersten Mal seit längerem zwei Stammspieler auf die Bank, Thomas Müller und Mario Gomez wichen Danijel Pranjic und Ivica Olic, was dem Spiel der Münchner merklich an Qualität nahm. Dann nutzten die Bayern ihre ersten Chancen nicht so entschlossen wie zuletzt und wären nach einem Patzer von Neuer, als er den Ball an Hannovers Stürmer Mame Diouf verlor, fast in Rückstand geraten.

"Man hat die 120 Minuten von Gladbach gespürt, am Anfang und am Schluss", stellte Sportdirektor Christian Nerlinger fest. Allein nach 36 Minuten schien das Gladbach-Spiel viele Jahre her zu sein, so frisch und frei zelebrierten die Münchner ihre Klasse. Eine lange Ballstafette im Mittelfeld endete bei Franck Ribéry, der links draußen loszog, seine Hereingabe verlängerte Arjen Robben mit der Hacke zu Toni Kroos, der den Ball über den herausstürzenden Torwart Ron-Robert Zieler zum 1:0 ins Tor streichelte.

Das zweite Münchner Tor bereitete Jupp Heynckes vor, in dem er nach einer Stunde Mario Gomez brachte. Der war derart erholt, dass ihn niemand und schon gar kein Hannoveraner aufhalten konnte. Zuerst traf er noch den Pfosten, kurz darauf schoss er das 2:0, nachdem er den sonst sehr guten Christian Pander genarrt hatte (68.).

Dass diese Partie dennoch nicht wie zuvor einige zur rauschhaften Angriffsparty verkam, lag an den stets präsenten Gästen, die gerade nach dem 0:2 zeigten, warum sie in der Liga auf Platz sieben und in der Europa League nun im Viertelfinale gegen Atlético Madrid stehen. Dem Anschlusstreffer von Didier Ya Konan (74.) folgte eine Großchance vom Mame Diouf, der freistehend drüber köpfelte. "Ich hab schon bei der Flanke gedacht: Das ist sicher ein Tor", bekannte Hannovers Trainer Mirko Slomka. Und dann folgte ja noch Boatengs Irrschuss.

Die Münchner zitterten am Ende etwas um den Erfolg, doch nun konnten sie genüsslich den Druck an den Konkurrenten Dortmund weitergeben. Wobei sich der Verein alle Mühe gibt, die im Profifußball heutzutage gängige Sprachregelung des "Wir schauen nur auf uns" zu leben. So sagte Präsident Hoeneß vor den Fernsehkameras zum Dortmund-Spiel in Köln: "Das sollte uns überhaupt nicht interessieren. Wir sollten uns nur, nur auf das konzentrieren, was wir zu tun haben."

Um kurz darauf, als die Kameras aus waren, doch zumindest ein kleines bisschen in den altmodischen Attacke-Modus zu verfallen: "Das ist ein Zermürbungskampf, wir müssen Nadelstiche setzen. Und so ein Sieg gegen einen starken Gegner ist ein Nadelstich." Um sogleich den "Tag der Wahrheit" anzukündigen: "Ich glaube, wenn wir in Dortmund gewinnen, werden wir Deutscher Meister."

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