Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Münchner Wirklichkeiten belasten Kovac

  • Beim FC Bayern rätseln sie, wie es zum Einbruch in den vergangenen zwei Wochen kommen konnte.
  • Trainer Kovac scheint es nicht zu gelingen, die Balance zwischen stabiler Defensive und Offensive über die Flügel herzustellen.
  • Präsident Uli Hoeneß äußert sich dennoch kämpferisch.

Von Benedikt Warmbrunn

Für die Wirklichkeit ist es meistens kein gutes Zeichen, wenn sie von einem Witz eingeholt wird. Zunächst der Witz: Im Mai verabschiedete sich der FC Bayern von Jupp Heynckes, viele Angestellte standen applaudierend Spalier, und die Spieler bereiteten für den beliebten Trainer eine Fotocollage vor, versehen mit kleinen persönlichen Widmungen. Und Thomas Müller schrieb doch tatsächlich: "Danke Trainer ... wir sehen uns im Oktober." Damit auch jeder versteht, dass es ein Witz war, fügte Müller noch ein " :-) " hinzu. Sie haben damals alle sehr gelacht, als sie den kleinen Gruß entdeckt hatten.

Keine fünf Monate später, am ersten Oktobersamstag, sitzt Niko Kovac, Heynckes' Nachfolger, im Innenraum der Münchner Arena, er sagt: "Ich weiß, dass bei Bayern die Zeit anders läuft als woanders."

Müllers Witz, dass der FC Bayern so wie 2017 im Oktober wieder in einer Situation sein könnte, in der ein Trainer gesucht wird (und der dann bestimmt wieder Heynckes heißen würde), hat die Wirklichkeit nun gnadenlos schnell eingeholt. Vier Spiele in Serie hat die Mannschaft nicht gewonnen, durch das 0:3 (0:2) am Samstagabend gegen Borussia Mönchengladbach ist sie sogar aus den Champions-League-Plätzen gerutscht und nur noch Sechster. Als vor einem knappen Jahr Carlo Ancelotti durch Jupp Heynckes abgelöst worden war, waren dem gerade mal zwei sieglose Spiele in Serie vorausgegangen (2:2 gegen Wolfsburg, 0:3 in Paris), sechs Tage, so schnell läuft die Zeit bei Bayern manchmal.

Ganz eingeholt hat Müllers Witz die Wirklichkeit aber doch nicht, denn wie die Wirklichkeit aussieht, das bestimmen sie bei Bayern, anders als anderswo, schon noch selbst. Uli Hoeneß, als Präsident der oberste Befehlshaber aller Münchner Wirklichkeiten, richtet am Sonntag aus, dass er für Kovac einstehe "wie eine Eins", mit dem für alle Münchner Wirklichkeiten nicht unwichtigen Zusatz: "egal, was in den nächsten Wochen passieren wird".

Eine Trainersuche im Oktober? Nicht doch bei Hoeneß' FC Bayern!

Kovac durfte also unwidersprochen am Sonntagmittag als Trainer des FC Bayern aufs Münchner Oktoberfest gehen, er wird nach der Länderspiel-Pause auch die nächste englische Woche verantworten dürfen, mit den Auswärtsspielen in Wolfsburg, Athen und Mainz. Und dann, auch so schnell kann die Zeit in München laufen, soll die aktuelle Krise bereits wieder vergessen sein. "Ich bin nicht ratlos, ich weiß ja, warum es nicht geklappt hat", sagt Kovac am Samstagabend, "wenn man die Gründe weiß, kann man eins und eins zusammenzählen."

Für Kovac liest sich diese Rechenaufgabe gerade so: Hinten individuelle Fehler plus vorne vergebene oder erst gar nicht herausgespielte Torchancen - ergibt ein Spiel wie das gegen Mönchengladbach. Vor dem 0:1 durch Alassane Pléa verdaddelte Niklas Süle den Ball an der Mittellinie, dann verfolgte die gesamte Abwehr schläfrig den Angriff der Borussia, am Ende sah erneut Süle teilnahmslos Pléa beim Toreschießen zu (10.).

Vor dem 0:2 drehte sich erst Thiago bei der Ballannahme in Jonas Hofmann hinein, dann öffnete Mats Hummels Lars Stindl freundlich den Raum für einen Torschuss, was Stindl cool nutzte (16.). Beim 0:3 durch Patrick Herrmann war eine Münchner Verteidigung im klassischen Sinne dann schon nicht mehr vorhanden (88.). Herausgespielt hatte sich der FC Bayern bis dahin exakt eine Torchance, der Ball landete auch im Tor - zuvor war Robert Lewandowski jedoch im Abseits gestanden (67.). "Es ist eine Mischung aus Fehlern, Unvermögen und einem gewissen Anti-Lauf", sagt Thomas Müller.

So richtig können sie ja auch beim FC Bayern noch nicht verstehen, wie sie innerhalb von zwei Wochen komplett die Souveränität verlieren konnten. Am ersten Wiesn-Samstag gewann die Mannschaft noch 2:0 auf Schalke, dessen Manager Christian Heidel sagte anschließend: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bayern diese Saison ein Spiel verlieren." Schon damals warnte Kovac, dass sich niemand davon "einlullen" lassen dürfe, er hatte diese Mahnung öffentlich ausgesprochen und noch vernehmbarer auch gegenüber der Mannschaft. Es war vergeblich.

Die Arbeit, die sie beim FC Bayern nun von Kovac fordern und die der gewissenhafte Trainer auch selbst angehen will, ist die mit den Köpfen der Spieler. Gegen Mönchengladbach stemmte sich keiner der Etablierten gegen die Niederlage, kein Lewandowski, kein Müller. Am Donnerstag hatte Kovac eigens eine kurze Einheit angesetzt, weil er gehofft hatte, dadurch einer mentalen Müdigkeit vorbeugen zu können - nun setzt er darauf, dass diese geistige Frische von außen eingeflößt wird: "Ich hoffe", sagte er, dass nun einige "bei der Nationalmannschaft einen freien Kopf bekommen, weil sie mal raus sind, weil sie vielleicht mal wieder ein Erfolgserlebnis haben".

Auch aus der Mannschaft ist zu hören, dass die Spieler den Trainer nicht als die Ursache der gegenwärtigen Wirklichkeit sehen; es fehle vielmehr "das Feuer" im Team, sagt ein Spieler, der lange dabei ist. Die Spieler sehen aber auch, dass Kovac vor allem an der defensiven Stabilität gearbeitet hat und dass er sich in der Offensive auf die Stärke des vergangenen, erfolgreichen Jahrzehnts verlässt, auf das Flügelspiel.

Und wer eins und eins zusammenzählt, der kann erkennen, dass beides, der Fokus auf die Defensive und der fehlende Schwung in der Offensive, zusammenhängt. "Das Problem ist: Wir haben den Ball, aber in ungefährlichen Räumen. Wir haben zu wenig Leute da, wo es dem Gegner wehtut", sagt Mats Hummels.

Es ist eine Rechenaufgabe, die vielleicht nicht allzu komplex ist. Doch so schnell wie die Zeit bei den Bayern läuft, sollte Niko Kovac sie besser bald gelöst haben.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018/jbe
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