FC Bayern:Lewandowski - vertrieben aus dem Strafraum

FC Bayern Muenchen v FC Schalke 04 - Bundesliga

In jüngerer Vergangenheit etwas zu oft allein gelassen: Robert Lewandowski.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Von Benedikt Warmbrunn

Weil im Leben des Robert Lewandowski alles einem Plan folgt, hängt an seinem Kühlschrank ein Zettel, sobald er auch nur eine Nacht alleine zu Hause verbringt. Frühstück, Zwischenmahlzeit, Mittagessen, Smoothie, Abendessen, alles hat seine Frau Anna für die Zeit ihrer Abwesenheit ausgetüftelt. Zum Frühstück gibt es dann zum Beispiel Avocado mit Spiegelei, Proteine und Fette eben, als Zwischenmahlzeit Kekse aus Roter Bete, als Shake einen mit Kurkuma, und wenn er Glück hat, dann steht für das Abendessen auf dem Zettel eine glutenfreie Pizza mit Spinat und Thunfisch.

Das Leben des Robert Lewandowski folgt nun seit fast zehn Jahren einem Plan, nicht nur in den kleinen Dingen wie den Avocados zum Frühstück, sondern auch in den großen Dingen wie der Wahl von Wohnort und Verein, es ist ein strenger Plan, der Zufall hat darin keinen Platz mehr. In diesen Wochen nun hat dieser Plan Lewandowski, 27, so weit nach oben geführt, dass er zeigen darf, dass er der beste Stürmer der Welt ist, der mehr oder weniger alleine schon einen Verein zum besten der Welt macht. Um nicht weniger ging es ja in diesem Plan in all den Jahren.

An diesem Samstag (15.30 Uhr), beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, kann der FC Bayern die deutsche Meisterschaft feiern; sollte Lewandowski ein Tor schießen, wäre er auch in der Torschützenliste kaum noch einzuholen; nach 31 Spieltagen hat er mit 27 Treffern vier Tore Vorsprung auf Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang sowie acht auf Thomas Müller, seinen Angriffspartner.

Lewandowskis Tore waren entscheidend, als der FC Bayern im Herbst locker durch die Liga marschierte, allein gegen Wolfsburg traf er damals fünf Mal in neun Minuten, ein Weltrekord. Seine Tore waren entscheidend, als der FC Bayern nach der Winterpause trotz erster Mühen weitersiegte, acht der ersten elf Ligatreffer dieses Kalenderjahres erzielte der Kapitän der polnischen Nationalmannschaft. Und zuletzt, als sich der FC Bayern oft noch ein bisschen mehr mühte, da fiel erst recht auf, wie entscheidend Lewandowskis Tore sind. Da traf er nur noch selten.

Besonders deutlich wurde dies am Mittwoch, im Hinspiel des Halbfinales der Champions League bei Atlético Madrid. Die Wochen eines Halbfinales, das waren bisher immer Lewandowskis Wochen, in denen er allen zeigen konnte, wie weit er mit seinem Plan schon gekommen ist.

Kann Lewandowski die Formdelle des FC Bayern kaschieren?

Im Frühling 2013 spielte er mit Borussia Dortmund gegen Real Madrid, im Hinspiel erzielte er alle vier Tore, Dortmund kam ins Finale. Im Frühling 2015 war er wieder das Gesicht seiner Elf, die damals schon der FC Bayern war. Lewandowski spielte nach einem Oberkieferbruch, einem Nasenbeinbruch, einer Gehirnerschütterung mit Maske gegen den FC Barcelona, so stand er stellvertretend für all die Verletzten im Kader. Mit der Maske des Gladiators traf er zumindest im Rückspiel, zum Finaleinzug reichte es dennoch nicht.

Am Mittwoch nun, bei Atlético Madrid, hatte Lewandowski beim 0:1 keine Torchance, er ließ sich vom wüsten Irokesen José Giménez aus dem Strafraum vertreiben. Außerdem, so sehen das beim FC Bayern viele, die nicht Pep Guardiola heißen, fehlte ihm Thomas Müller. Zieht Müller auf seinen unergründlichen Pfaden über das Spielfeld, öffnen sich für Lewandowski Räume, die nur er sieht, aber kein noch so wüster Irokese. Im Rückspiel am Dienstag erwarten nun Lewandowski und viele andere diesen Müller wieder in der Startelf, um die Formdelle der Mannschaft zu überwinden. Oder um sie zumindest erfolgreich zu kaschieren.

Am Morgen nach dem Abend, an dem sich diese Formdelle des FC Bayern erstmals angedeutet hat, sitzen Maik Barthel und Cezary Kucharski, Lewandowskis Berater, in der Lobby eines Hotels an der Münchner Maximilianstraße. Das 1:0 im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Benfica Lissabon wenige Stunden zuvor war eher grottig, da sind sich beide einig, Lewandowski sei besonders frustriert, weil er kein Tor erzielt habe. Zudem verrutschte ihm kurz vor Schluss ein Querpass zu Philipp Lahm, der dann frei vor dem leeren Tor gestanden wäre. Kucharski erzählt, er habe Lewandowski gesagt, dass er sich nicht ärgern solle. In dieser Phase der Saison gehe es darum, Spiele zu gewinnen, weiterzukommen, und wenn am Ende der Titel da sei, frage keiner mehr nach einem verrutschten Pass. Da Kucharski der Mann ist, der einen Plan in Lewandowskis Karriere gebracht hat, hat dieser aufgehört sich zu ärgern.

Kucharski, der 2002 selbst bei der WM in Japan und Südkorea für Polen stürmte, entdeckte Lewandowski, als dieser für den polnischen Zweitligisten Znicz Pruszków spielte, 19 Jahre war er damals alt und schmächtig, aber wenn er schoss, erzählt Kucharski, war da auf einmal eine Härte, die er diesem Schlaks nicht zugetraut hatte. Also besuchte er Lewandowski, er sprach mit der Mutter, mit der Schwester, dann sagte er allen, dass er glaube, dass Lewandowski der beste polnische Fußballer der Geschichte werden könne. Mindestens. Und er, Kucharski, wisse bereits den Weg dorthin.

In geschäftlichen Fragen vertraut Lewandowski seitdem ganz seinen Beratern, so wie er in Ernährungsfragen ganz seiner Frau Anna vertraut, die 2008 bei der Karate-WM Bronze gewann und inzwischen als Fitness- und Lifestyle-Expertin arbeitet. Er hat so einen Teil der Verantwortung weitergegeben, die er als 16-Jähriger übernommen hatte. Damals war sein Vater gestorben, Lewandowski unterstützte seine Mutter und seine Schwester, sie unterstützten ihn, seine Karriere war die Karriere der gesamten Familie. Kucharski sagt, er habe damals einen ungewöhnlich reifen 19-Jährigen kennengelernt, der wenig Sinn für Verrücktheiten hatte und dem es daher auch überhaupt nicht verrückt vorkam, einmal einer der besten Stürmer der Welt zu werden. "Spieler, die früh Rückschläge erfahren, reifen schneller, weil sie auch neben dem Platz viel Verantwortung übernehmen müssen", sagt Kucharski.

Das Theater um seinen Wechsel zum FC Bayern folgte einem Plan

Seitdem steuert er gemeinsam mit Barthel Lewandowskis Weg. "Das Wichtigste ist es, zur richtigen Zeit im richtigen Verein zu sein", sagt Kucharski, er muss es wissen, er wechselte in seiner Karriere zehn Mal, vier Mal davon zu Legia Warschau. Kurz nachdem Lewandowski den Plan seines Beraters gehört hatte, ging er zu Lech Posen in die erste Liga, wo ihn sein Trainer Franz Smuda immer gegen den stärksten, robustesten Innenverteidiger trainieren ließ. Lewandowski beschwerte sich. Kucharski sagte, dass er nur so nach ganz oben komme.

Nach zwei Jahren wechselte Lewandowski nach Dortmund, und als er ein paar Wochen mit Lucas Barrios trainiert hatte, dem damals wichtigsten Dortmunder Stürmer, merkte er, dass dieser ja überhaupt nicht besser sei. "Das war das erste Mal", sagt Kucharski, "dass er an sich geglaubt hat." Auch als Fußballer verbesserte er sich, Trainer Jürgen Klopp ließ ihn zunächst hinter Barrios spielen, eine Position, die Lewandowski unerträglich fand, durch die er aber mehr am Spiel teilnehmen musste. Seitdem, sagt Cezary Kucharski, finde Lewandowski sich in der gesamten gegnerischen Spielfeldhälfte besser zurecht. 2013 schließlich wollte Lewandowski zum FC Bayern wechseln, für Kucharski war das der nächste Schritt. Es wurde der vermutlich längste Wechsel der Bundesliga-Geschichte. Und spätestens seitdem gelten Kucharski und Barthel eher als Männer fürs Grobe.

Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke warf den Beratern ein falsches Spiel vor, er unterstellte, dass sie nur den Preis in die Höhe treiben wollten. Kucharski und Barthel warfen Watzke vor, dass er sein Wort nicht gehalten habe, wonach Lewandowski bereits 2013 wechseln dürfe. Während der Angreifer selbst wie stets vornehm freundlich blieb, meldeten sich die Berater immer wieder in den Medien mit neuen Details. Alles nur Taktik, sagt Barthel in der Lobby. Sie wollten die Aufmerksamkeit von ihrem Klienten weglenken; also, sagt Barthel, hätten sie sich bewusst zum Abschaum gemacht. Inzwischen habe er sich jedoch mit Watzke ausgesprochen, im Raucherzimmer des Hotels an der Münchner Maximilianstraße.

Guardiola macht Lewandowski zum besseren Passspieler

2014 wechselte Lewandowski schließlich nach München, er unterschrieb einen Fünfjahresvertrag, für Kucharski war das gerade so noch im Plan. Der Stürmer musste sich erst an den Ballbesitzfußball von Trainer Guardiola gewöhnen, in Dortmund hatte das Team einen Überfallfußball gespielt, alle Bälle landeten irgendwann bei ihm, Lewandowski.

Durch Guardiolas Training und System ist der Pole nun zu einem besseren Passspieler geworden, er ist noch flexibler, durch Ernährung und Training seiner Frau noch robuster, er hat jetzt mehr Körperspannung; ganz selten nur geht er den nicht ganz perfekten Weg im Strafraum, so wie auch im Hinspiel gegen Atlético. Er sei jetzt aber seinem Ziel nicht mehr fern, sagt Kucharski in München, und das Ziel sei es eben, Weltfußballer zu werden. Bei der vergangenen Wahl wurde er immerhin Vierter, aber nur, weil er nicht Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Neymar heißt.

Kucharski und Barthel reden nun über die Transferpläne von Real Madrid: Geht Ronaldo, wer kommt, ein paar Namen werden genannt. Irgendwann sagt Kucharski, der Mann mit dem Plan, dass das alles nur Gerüchte seien, Real Madrid wolle allein Lewandowski, wen sonst?

Langes Schweigen.

Schließlich sagt Kucharski: "War nur ein Scherz."

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