FC Bayern München:Überm Strich ein bisschen peinlich

DFB Cup First Round - SV Drochtersen/Assel v Bayern Munich

Staunende Bayern-Profis in Drochtersen: Leon Goretzka, Thomas Müller und Kingsley Coman (von links).

(Foto: REUTERS)
  • Der FC Bayern müht sich in der ersten Runde des DFB-Pokals zu einem 1:0-Sieg gegen den Regionalligisten SV Drochtersen/Assel.
  • Kovac ließ seine beste Mannschaft antreten - und fand nach dem Spiel trotzdem, das Weiterkommen allein "zählt unterm Strich".
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Von Sebastian Fischer, Drochtersen

Gegen 17 Uhr am Samstag lief der Viertligafußballer Nico Mau zu einem Freistoß an, er durfte sich die Hoffnungen machen, dass es ein historischer Freistoß werden könnte. Der Großteil von 7800 Zuschauern im provisorisch ausgebauten Stadion in Drochtersen glaubte daran, dass nun irgendjemand in die Flanke hineinspringen und irgendwie das 1:0 erzielen würde. Es stand kurz vor Schluss des DFB-Pokal-Erstrundenspiels nämlich 0:0 zwischen dem Regionalligisten SV Drochtersen/Assel, berühmt für hervorragende Bratwurst, und dem FC Bayern, berühmt als deutscher Rekordmeister. Die Menschen standen auf, schauten sich ungläubig an, klatschten und hielten die Luft an.

Nationalspieler Joshua Kimmich klärte den Freistoß dann per Kopf. Als die Bayern das nächste Mal vors gegnerische Tor kamen, in der 81. Minute, schoss Robert Lewandowski das 1:0, was gleichbedeutend mit dem Endstand war. Der Meister steht in der zweiten Runde, "das zählt unterm Strich", sagte Trainer Niko Kovac. Überm Strich allerdings verließen die Münchner das Dorf in Niedersachsen durchaus ein bisschen beschämt.

Kovac, als Trainer ja DFB-Pokal-Titelverteidiger, hatte seine beste Mannschaft aufgeboten, was besonders in der Abwehr interessant war. Dort spielte in Jérôme Boateng erstmals in einem Pflichtspiel dieser Saison jener Verteidiger, dessen Saisonvorbereitung seit Wochen Wechselgerüchte begleiten. Kovac wünscht sich anders als die Vereinsführung ausdrücklich einen Verbleib des Nationalspielers, mindestens fordert er die unmittelbare Verpflichtung eines weiteren Verteidigers, sollte Boateng doch noch wechseln. Boatengs Einsatz, ein Zeichen? "Wenn am Ende der Wechselperiode noch etwas passieren kann, dann passiert es vielleicht, aber ich gehe erst mal davon aus, dass nichts passiert", sagte Kovac.

Boateng verhinderte es auch nicht, dass Drochtersens Florian Nagel nach einer halben Stunde allein vor dem Münchner Tor auftauchte. Es war Kovac hinterher in der Pressekonferenz offenkundig etwas unangenehm, wie Regionalligatrainer Lars Uder die Chance erklärte. Er zählte auf: "Einwurf, pressen, zustellen, draufgehen, querspielen, reinhauen", das sei genau so der Plan gewesen, denn genau so habe der FC Bayern unter der Woche im Testspiel beim Hamburger SV ein Gegentor kassiert. Es war ein sehr einfacher Plan, aber er funktionierte, bis auf das Reinhauen. Nagel schoss den Ball in die Mitte, Neuer hielt. "Vor Manuel Neuer werden die Ecken etwas kleiner", sagte Jasper Gooßen entschuldigend für seinen Mitspieler. Er lachte dabei wie ein Sieger. "Wahnsinn", sagte er, man werde über diesen Tag noch in 30 Jahren im Vereinshaus sprechen.

Nun ist es natürlich immer schwer für den Favoriten in der ersten Runde, diese Geschichte ist so alt wie der Pokalwettbewerb. Die Stimmung glich der auf einer Kirmes, "Das Jahrhundertspiel" stand auf der Stadionzeitung, der Stadionsprecher hatte sich Verstärkung vom örtlichen Radiosender geholt. DJ Jürgen spielte Schlager, eine Band sang gar ein eigens für diesen Tag geschriebenes Lied: "Wo man stolz ist, ein Dorfverein zu sein." Es gehört auch zur Geschichte, dass die SV Drochtersen/Assel Regionalliga-Zweiter ist, keine Spaßmannschaft. Die Bratwurst ist deshalb bekannt, weil über sie schon vor zwei Jahren berichtet wurde, als der Klub gegen Borussia Mönchengladbach in der ersten Pokalrunde nur 0:1 verlor. Aber aus Sicht des FC Bayern ist es immer noch: die SV Drochtersen/Assel.

Lewandowski lenkt den Schuss von Goretzka über die Linie

Der Favorit erspielte sich zwar nach einer sehr schwachen ersten Hälfte gegen die Fünferkette des Gegners nach dem Seitenwechsel ein paar Chancen mehr, Thiago traf einmal die Latte. Doch insgesamt musste Niko Kovac ein neues Wort schöpfen, um die Münchner Offensivleistung zu beschreiben: "Handlungslangsam." Joshua Kimmich sagte: "Wir hätten zwingender sein müssen." Das Tor fiel nach einem Schuss des eingewechselten Leon Goretzka, den Ball lenkte Lewandowski über die Linie. Danach passierte nicht mehr viel, auch in acht Minuten Nachspielzeit nicht, Münchner Fans hatten minutenlang Klorollen als Protest gegen den DFB aufs Feld geworfen.

Einheimische Fans erwarteten an den Kabinen die Münchner Fußballer trotz allem vor Freude kreischend, als sie zum Bus gingen. Doch ein paar Autogramme schrieben auch die Spieler des Viertligisten. Ihre Unterschriften waren ja zumindest für einen Tag und innerhalb der Grenzen Drochtersens historisch.

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