Am 8. August feiert Louis van Gaal seinen 58.Geburtstag, und zum Fest wünscht er sich einen Sieg des FC Bayern in Hoffenheim. Siege zum Saisonstart haben Symbolkraft, sie stärken das Betriebsklima und beruhigen das Umfeld, erst recht in München, erst recht am Beginn einer neuen Ära - Niederlagen im ersten Spiel bewirken das Gegenteil.
Nach nur fünf Wochen Findungsphase mit dem neuen Trainer aus Holland muss sich beim FCBayern zeigen, wo die Wahrheit liegt - zwischen den bedeutungslosen Extremen der vergangenen Tage: "Am Donnerstag hörte ich, wir können die Champions League gewinnen", sagt Mark van Bommel in Anspielung auf die glänzende Stimmung nach dem Audi-Cup gegen Milan (4:1) und ManU (0:0), "am Sonntag höre ich: Wir können gar nix", denn das Pokalspiel beim Sechstligisten Neckarelz (3:1) war dürftig. Beides, Champions League und Nichtskönnen, ist Nonsens.
Van Bommel weiß das, und weil er sich gerne komplexe Gedanken über das Wesen des Fußballs und der ganzen Branche macht, mag ihn sein Landsmann van Gaal. Auch in dieser Saison, das ist seit Sonntag amtlich, darf van Bommel die Bayern als Kapitän in die Stadien führen, er empfindet das als "große Anerkennung". Der Holländer bleibt der weisungsbefugte Mann vor der Abwehr, der die Kollegen gestenreich anleitet wie ein Verkehrspolizist, und der die Gegner mit seiner Körpersprache und zuweilen rabiaten Kampfhaltung einschüchtert.
"Ich habe beobachtet: Mark nimmt guten Einfluss auf Spieler und Klub", begründete van Gaal die Wahl. Er und van Bommel sind sich charakterlich ähnlich: so selbstbewusst, dass es kantig bis arrogant wirken kann, aber auch auf intelligente Weise ironisch. Manager Uli Hoeneß ist ebenfalls ein großer Fürsprecher van Bommels.
Sportlich überrascht das Festhalten an van Bommel als alleinigem Sicherheitschef vor einer offenkundig schutzbedürftigen Viererkette. Der Sachverständige Lothar Matthäus erinnert daran, dass "die Defensive in der Vorsaison nicht optimal stand. Viele Gegentore entstanden durch die Zentrale". Elf Millionen Euro überwies der FC Bayern daher nach St. Petersburg, um "einen der besten Sechser der Welt" (Matthäus) zu holen: Anatolij Timoschtschuk.
Wie so oft überzeugte Hoeneß beim Kauf auch eine eigene Leidenserfahrung: Mit seinem alten Klub hatte Timoschtschuk 2008 im Uefa-Cup-Halbfinale in München (1:1) einen raffinierten Balldieb im Zentrum gespielt, lauf- und zweikampfstark, fast ohne Fouls und so eng an die Abwehr gebunden, dass er die Löcher in der torgefährlichen Zone oft wie ein dritter Innenverteidiger kittete. Bei van Gaal ist der ukrainische Nationalspieler vorerst Reservist. "In unserem System kann Timoschtschuk nicht auf seiner Lieblingsposition spielen. Dort spielt van Bommel", hat van Gaal verfügt.
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Auf Fragen zu Personalien reagiert der Trainer derzeit kurz angebunden und leicht reizbar, van Gaal erachtet es nicht als seine Aufgabe, Entscheidungen ausschweifend zu erklären. Man kann also nur mutmaßen: Van Bommel denkt wie ein Trainer, und seit Johan Cruyff lieben Holländer taktisch kluge Chefs auf dem Platz.
Van Bommel genießt hohe Akzeptanz im Team und er spricht gut deutsch (obwohl auch Timoschtschuk ein paar Brocken kann, er lernte Deutsch in der Schule). Zudem verlagert van Bommel das Spiel mit Vorliebe durch harte, schnörkellose Flachpässe von einer Seite auf die andere, eine wichtige Basis für van Gaals Lehre rasanter Ballkreisläufe.
Schon im Januar, als sich der Timoschtschuk-Transfer anbahnte, orakelte van Bommel: "Er kann ruhig kommen, dann sitzt er schön auf der Bank." Van Bommel meinte das lustig, nicht böse, er ließ aber auch nie einen Zweifel daran, dass er sich mit 32 - den Kritikern zum Trotz, die ihn für zu langsam halten - noch physisch topfit fühlt für die Führungsrolle beim FC Bayern. Auch Timoschtschuk sagte nach seiner Ankunft: "Ich soll hier ein Leader sein, und dazu bin ich bereit. Meine beste Rolle ist die Sechs."
Die einfachste Moderation wäre gewesen, hätte van Gaal beide Alphatiere als Doppelsechs im Zentrum verbündet. Doch er entschied sich - vorerst unwiderruflich, sagt er - für eine Mittelfeldraute. Er hat dieses System, das er in einer von PR-Spielen gestörten Vorbereitung unter Zeitdruck üben musste, wegen Franck Ribéry gewählt, der den Kreativpart vor van Bommel übernehmen soll, aber Ribéry ist noch verletzt. Van Bommel als Achter halbrechts zu postieren, hat van Gaal nie erwogen. Timoschtschuk ("ich stelle mich jeder Position") hätte sich dieses Trostpflaster im Training und in Testspielen verdienen können, doch rechts gefällt van Gaal nun Hamit Altintop besser.
In der Defensive baut der Trainer auf überraschend viel Personal seines glücklosen Vorgängers: Er stellt Rensing wieder ins Tor, er nominierte im Pokal Demichelis und van Buyten als Innenverteidiger und davor van Bommel. Die Versuchsanordnung dieser Saison ist eindeutig. Van Gaal vertraut darauf, dass sich all diese Spieler innerhalb einer neuen, seiner Idee von Fußball maßgeblich steigern können.
Namen lassen den Trainer kalt, er weinte Abwehrchef Lucio nicht nach, er verordnet dem Solisten Ribéry eine neue Position in der Mitte, er hat keine Scheu, den mit großer Entourage (eigenem Pressesprecher, Koch, Masseur) gekommenen Timoschtschuk auf die Bank zu setzen. Und Luca Toni droht dasselbe, weil im Sturm nichts gegen Klose und Gomez - und als erste Alternative: Olic - spricht.
"Ich habe 25 Spieler", kontert van Gaal die Nachfrage zu Timoschtschuk. Viele Baustellen sind das für den Trainer. Stimmen die Ergebnisse, wird über die spielenden elf berichtet - wenn nicht, besonders über die anderen 14.