FC Bayern München IIStatussymbole haben keine Bedeutung mehr

Lesezeit: 3 Min.

Minimalistisch: Steve Breitkreuz (rechts) ist mit sechs Treffern der beste Schütze im aktuellen Kader des FC Bayern München II.
Minimalistisch: Steve Breitkreuz (rechts) ist mit sechs Treffern der beste Schütze im aktuellen Kader des FC Bayern München II. (Foto: Sportworld/Imago)

Die individuelle Entwicklung der Talente steht über allem: Die Bayern streben mit ihrer zweiten Mannschaft nicht mehr zwingend in die dritte Liga. Einen namhaften Angreifer haben sie nicht verpflichtet – und einen Routinier verloren.

Von Christoph Leischwitz

Dem FC Bayern München ist der Aufstieg seiner zweiten Mannschaft derzeit relativ unwichtig. Das belegt ein Blick zurück zum letztmaligen Aufstieg. Im Sommer 2017 verpflichteten sie am Campus Kwasi Wriedt, damals schon 23 Jahre alt, um zuverlässig Tore zu schießen. Und „Otschie“ kam dem nach, schoss in seiner Premierensaison 21 davon, damals kam den Bayern zunächst der unfreiwillige Regionalliga-Ausflug des TSV 1860 München dazwischen, deshalb klappte es mit dem Aufstieg nicht sofort. Doch Otschie, der überhaupt nicht ins Ausbildungskonzept passte, wurde gehalten, in der folgenden Saison traf er 26 Mal, zweimal davon in den Aufstiegsspielen.

Wie aus dem Umfeld des Vereins zu hören ist, war selbst der überaus erfolgreiche Wriedt damals nur eine Notlösung gewesen – ursprünglich hatten sie vorgehabt, Terrence Boyd zu holen, der damals gerade bei Darmstadt 98 zum Erstliga-Spieler wurde. Da legte die Säbener Straße dann zwar ein Veto ein – der US-Amerikaner sei zu alt (seinerzeit 26), um ihn dann auch als dauerhaften Drittliga-Angreifer zu engagieren. Diese Personalien zeigen, in welchen Sphären die Bayern damals dachten, damit die U23 so hochklassig wie möglich spielt.

Am Samstag nun steht ein richtungsweisendes Spiel an, die „Bayern Amateure“, wie sie von den Fans gerne genannt werden, empfangen als Tabellenzweiter den Spitzenreiter FC Schweinfurt, in Regionalliga-Spiel eins nach der Winterpause. Die Transferphase ist vor drei Wochen zu Ende gegangen, einen namhaften Angreifer haben die Bayern nicht verpflichtet, im Gegenteil: Bester Torschütze der Mannschaft ist aktuell noch Timo Kern mit sieben Treffern, gefolgt vom Innenverteidiger Steve Breitkreuz (6). Der 35-jährige Mittelfeldspieler Kern beendete zu Weihnachten seine Karriere aus privaten Gründen, doch sie holten auch keinen routinierten Nachfolger.

Neu sind Max Scholze vom SC Verl, der allerdings verletzt ist, der 17-jährige Linksverteidiger Julien Yanda vom FC St. Pauli und der 18-jährige Bajung Darboe, der erste Zugang aus der Kooperation mit Los Angeles FC, der nach München wechselt. Darboe ist womöglich torgefährlich, ein Torgarant aber sicherlich noch nicht. Umgekehrt haben die Bayern mehrere Spieler abgegeben, die in der Hinrunde zum Stammpersonal gehörten. Wie groß die Aufstiegs-Ambitionen insgeheim noch sind, darf in den kommenden Wochen an der Personalie Gabriel Vidovic abgelesen werden: Der Jungprofi wurde in der Winterpause vom FSV Mainz zurückgeholt. Mittrainiert hat er bei Bayerns U23 aber bisher nicht.

Die Verantwortlichen finden, dass für manche Spieler sogar die dritte Liga zu wenig wäre

Es ist freilich nicht so, dass die Bayern einem Aufstieg abgeneigt wären. Aber sie fühlen sich bei der Frage auch nicht mehr an der Ehre gepackt. Ein Geschenk an die Fans im Jahr des 125. Geburtstags? Vorfreude auf Derbys mit 1860 München in der dritten Liga? Oder einfach, weil man den Anspruch hat, als Rekordmeister auch die beste Zweitvertretung des Landes zu stellen? Solche Statussymbole waren einst bedeutsam, sind es aber nicht mehr. „Wir haben immer gesagt, dass die individuelle Entwicklung eines Spielers für uns am wichtigsten ist“, erklärt Markus Weinzierl, Sportlicher Leiter am FC Bayern Campus.

Weinzierl arbeitet zwar erst seit vergangenem August am Campus, diese Einstellung ist aber schon deutlich älter. Es geht heutzutage vielmehr darum, dass Spieler wie Armindo Sieb, 22, oder Maurice Krattenmacher, 19, als Leihgaben Zweitliga-Erfahrung sammeln, als dass sie in der Regionalliga als Leistungsträger dienen. Zumal die Verantwortlichen am Campus der festen Überzeugung sind, dass für solche Profis sogar die dritte Liga zu wenig wäre. Dabei gibt es Gegenbeispiele. Nicolas Kühn etwa blieb damals zwei Jahre lang bei den Bayern, er erlebte Meisterschaft und Abstieg aus der dritten Liga mit – und er ist gut genug ausgebildet worden, um heute mit Celtic Glasgow den ehemaligen Arbeitgeber und dessen Champions-League-Ensemble gehörig zu ärgern.

Aktuell wirkt sogar der Kader des Konkurrenten aus Schweinfurt mit Julian Kudala (SSV Ulm), Jakob Tranziska von Budweis aus der ersten tschechischen Liga und Lucas Zeller (Rot-Weiß Erfurt) besser verstärkt als jener der Bayern. Kurz vor dem Spiel gaben die Schnüdel noch bekannt, dass der Vertrag mit Trainer Victor Kleinhenz vorzeitig verlängert wurde – ligaunabhängig. „Ich sehe uns am Beginn einer spannenden Reise und bin hungrig auf mehr“, sagt der 33-Jährige, der die A-Lizenz besitzt und deshalb eine besondere Motivation hat: Der Aufstieg würde ihm automatisch die Zulassung zum höchstmöglichen Lizenz-Lehrgang garantieren. Ironischerweise waren es seinerzeit vor allem die Schweinfurter, die unter den Aufstiegsambitionen der Bayern am meisten litten. Nach mehreren Versuchen und teils dramatischem Scheitern könnte ausgerechnet jetzt, mit verschlankten Strukturen, nach 21 Jahren die Rückkehr in den Profifußball gelingen.

Offen ist wahrscheinlich auch bei Anpfiff am Samstag (14 Uhr) immer noch, ob ein Sieg der Bayern die Mannschaft von Holger Seitz tatsächlich zum neuen Spitzenreiter macht. Denn das zweite Urteil in Bezug auf den möglichen Punktabzug von Schwaben Augsburg steht noch aus, die Schwabenritter hatten auch beim 4:3-Sieg gegen Schweinfurt gegen Statuten verstoßen. Eigentlich war mit einer Urteilsverkündung gegen Ende dieser Woche gerechnet worden, jetzt steht es immer noch aus – dem Vernehmen nach verursacht die Hängepartie bei einigen Betroffenen Nervosität. Sollte Schweinfurt in letzter Instanz Recht bekommen, hätten sie aktuell vier Punkte Vorsprung – nach einem Sieg in München wäre die dritte Liga dann schon zum Greifen nah.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball-Regionalliga
:„Topformat“ in Turbulenzen

Der Bayerische Fußball-Verband steht dem Vorstoß der Nordost-Klubs für eine Regionalliga-Reform offen gegenüber - unter der Maßgabe, dass seine Klubs in einer Staffel vereint bleiben. Vom DFB wird der Vorstoß schon ausgebremst. Und es gibt noch mehr Baustellen in der vierten Liga.

Von Christoph Leischwitz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: