Eines kann man dem Ehrenpräsidenten des FC Bayern München nicht absprechen: Uli Hoeneß hat ein visionäres Gespür für seinen Verein. Schon zwei Jahre bevor der SAP Garden eröffnet wurde, orakelte Hoeneß, dass allein der Prachtbau, den er per Handschlag mit dem mittlerweile verstorbenen Red-Bull-Patriarchen Dietrich Mateschitz auf den Weg gebracht hatte, die Menschenmassen anlocken werde. Als die Münchner Basketballer nun mit dem 98:93-Sieg gegen Maccabi Tel Aviv auch ihr achtes Euroleague-Heimspiel gewannen, war die Multifunktionshalle ausverkauft – zum achten Mal. 11 200 Zuschauer, wegen Hydraulikproblemen an der Tribüne kann die volle Kapazität von 11 500 bisher nicht ausgeschöpft werden, zauberten einmal mehr eine intensive und mitreißende Atmosphäre in die riesige Arena im Olympiapark.
Mit dem erhofften Nebeneffekt: Diese wuchtige Kulisse spornt auch die Spieler unten auf dem Parkett allem Spielplan-Wahnsinn zum Trotz beständig zu Höchstleistungen an. Trefflich zu erkennen am Donnerstagabend, als die Bayern eine mäßige erste Halbzeit lieferten, wie Trainer Gordon Herbert hernach zugab: „Wir haben 25 Minuten wirklich schlecht gespielt.“ Wofür er die Verantwortung übernahm, er habe in der Defensive ein bisschen herumprobiert, „das ging nach hinten los“. Die Gäste von Maccabi Tel Aviv wussten die Schläfrigkeit der Münchner zu nutzen, nach einem simplen Muster: Tamir Blatt, bester Vorlagengeber der gesamten Euroleague, bediente Jaylen Hoard und Wenyen Gabriel unter dem Korb, die ihre physischen Vorteile gegen die klein aufgestellte Münchner Abwehr ausspielten. Weil Blatt und Levi Randolph auch noch gute Distanzschützen sind, führte Maccabi Mitte des dritten Viertels deutlich mit 15 Punkten Vorsprung (65:50).
Doch dann zeigten die Bayern ein paar spektakuläre Aktionen, für die an diesem Abend einmal mehr Carsen Edwards, mit 25 Punkten Topscorer, Scharfschütze Andreas Obst (23) mit einer Dreier-Serie sowie Devin Booker (14) mit krachenden Dunks zuständig waren. Und sofort waren die Zuschauer da: „Die Fans waren großartig, sie standen hinter uns, obwohl wir nicht gut gespielt haben.“ Als jedoch Obst und Shabazz Napier (13) den Rückstand schnell verkürzten, „waren auch die Fans im Spiel“, wie Herbert erfreut zur Kenntnis nahm: „Das hat uns wirklich geholfen. Wir haben dann mit Enthusiasmus und Energie gespielt.“
„Unsere Fans machen es uns viel einfacher“, erklärte Spielmacher Napier, der die Auftritte im Garden sichtlich genießt und mitverantwortlich für den Umschwung war. „Egal, wie es steht, sie pushen uns, das ist eine großartige Arena.“ Auch Zugang Kevin Yebo, der sich immer besser in die Mannschaft einfügt, bestätigte diese besondere Wechselwirkung: „Wenn du in einer Auszeit die Leute jubeln und tanzen siehst, dann gibt dir das so viel Energie.“
Regelmäßig pilgern 11 200 Menschen in den Olympiapark, um europäischen Top-Basketball zu sehen – während der Woche
Maccabis Trainer Oded Kattash konnte an diesem Abend als Kronzeuge für die These dienen, dass ein solcher Heimvorteil nicht selten den Ausschlag über Sieg und Niederlage gibt: „Das ist eine großartige Arena mit einer tollen Atmosphäre. Man kann sehen, dass die Spieler das genießen. Das ist gut für den FC Bayern, die neue Arena gibt ihnen viel Energie, wir haben das heute zu spüren bekommen.“ Die befürchteten Störgeräusche im Übrigen, die es zuletzt bei Gastspielen israelischer Teams gab, blieben aus, der Münchner Olympiapark war Schauplatz eines friedlichen Basketballfests.
Maccabi hat eine solche Unterstützung nicht, denn Tel Aviv muss seine Euroleague-Heimspiele wegen des Krieges in Belgrad austragen, vor gähnend leeren Rängen. „Wir vermissen unsere Halle, uns fehlt die Unterstützung, das ist richtig hart“, klagte Kattash. Zumal er nach den Weggängen einiger Topspieler eine völlig neue Mannschaft aufbauen müsse: „Wir hatten in fünf, sechs Spielen gute Aussichten zu gewinnen, haben aber immer in den Schlussminuten verloren.“ Was die Energie von den Rängen bewirken kann, musste Maccabi nun auch im Olympiapark erfahren. Weil die israelische Liga aber in der Heimat ausgetragen wird, kommen für den israelischen Serienmeister immense Reisestrapazen hinzu, Maccabi jettet zwischen Israel und Europa hin- und her.
Das immerhin bleibt den Bayern erspart, deren Belastungen mit drei Wettbewerben und zwei bis drei Spielen pro Woche ebenfalls immens sind – die Münchner haben immerhin regelmäßig den Heimvorteil auf ihrer Seite. Und was das bewirken kann, erleben die 11 200 Menschen, die während der Woche in den SAP Garden pilgern, um europäischen Basketball zu sehen.
Einer, der besonders gern im Garden spielt, ist Carsen Edwards. Der US-Guard liebt die Interaktion mit den Fans, nach spektakulären Aktionen, von denen er viele einzustreuen weiß, sucht er deren Nähe, klatscht ab, animiert sie mit Gesten. Edwards ist bester Punktesammler der Euroleague, der flinke Amerikaner ist das Zirkuspferd in einer exzellenten Mannschaft. Uli Hoeneß sieht ihm besonders gern zu.