0:5 des FC Bayern:Alle 43 Jahre einmal

Der furiose Sieg der Gladbacher gegen die scheinbar entrückten Münchner zeigt, dass echte Überraschungen tatsächlich noch möglich sind. Für den Fußball in Deutschland ist das ein hoffnungsvolles Signal.

Kommentar von Sebastian Fischer

Dino Toppmöller, 40 Jahre alt und derzeit an Spieltagen verantwortlicher Assistenztrainer des FC Bayern, war noch nicht geboren, als solche Abende zuletzt vorgekommen waren. Aber man kann sich gut vorstellen, dass ihm davon schon mal aus erster Hand berichtet wurde. Klaus Toppmöller, sein Vater, stürmte 1978 für den 1. FC Kaiserslautern, er schoss am 29. April drei Tore beim 5:0-Sieg gegen München auf dem Lauterer Betzenberg. Acht Monate später, am 9. Dezember 1978, verloren die Bayern gar 1:7 bei Fortuna Düsseldorf. Danach gab es knapp 43 Jahre, fast ein halbes Jahrhundert lang, keine höhere Niederlage des deutschen Rekordmeisters als das 0:5 am Mittwochabend in der zweiten DFB-Pokalrunde bei Borussia Mönchengladbach.

Der Blick in die mit Statistiken und Anekdoten gefüllten Geschichtsbücher des Fußballs ist eine der Möglichkeiten, um die Wirkung so eines Spiels zu erfassen, so verwegen der Vergleich auch ist. Ende der Siebzigerjahre waren die Münchner nicht jene Immer- und Allesgewinner von heute, ganze fünf Jahre hintereinander hieß der deutsche Meister damals nicht FC Bayern, das kam seitdem nicht mehr vor. Vor dem Betzenberg entwickelten sie eine regelrechte Furcht. Der Legende nach schlossen Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge stets die Augen, wenn der Mannschaftsbus den bronzenen Teufel vor dem Stadion passierte.

Mit ähnlichen Folgen auch im Herbst 2021 zu rechnen, wäre wohl vermessen, Fußballer wie Leroy Sané oder Serge Gnabry werden in Zukunft eher nicht angsterfüllt an Äckern und Feldern vorbei an den Niederrhein reisen. Die einzigen Probleme, die es zuletzt von der Säbener Straße zu berichten gab, waren jene abseits des Platzes, die fehlende Impfung von Joshua Kimmich, die knapp vermiedene Gefängnisstrafe für Lucas Hernández. 33 Tore in neun Spielen sind ihnen in der Liga unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann schon wieder gelungen. Er dachte, er sei in "Hollywood", jubelte Ehrenpräsident Uli Hoeneß jüngst.

Sollte die Niederlage, die zweite der Saison nach einem 1:2 gegen Frankfurt, nun einen nachhaltigen Trend einleiten, wäre das ähnlich überraschend wie das monumentale 0:5 selbst. Das Ergebnis ist eher mit einer Fülle an einmaligen Konstellationen zu erklären. Die Gladbacher spielten mit einer mutigen, jener der Bayern nicht unähnlichen Taktik, griffen weit vorne, mit hohem Risiko an, was vom Anstoß weg funktionierte und noch mehr Mut und Finesse zur Folge hatte. Die Münchner Abwehr, insbesondere der so talentierte Dayot Upamecano, reihte minütlich Fehler an Fehler, mit jedem wuchsen Fassungslosigkeit und Verunsicherung, man hätte ihn schon nach einer Viertelstunde auswechseln müssen. Vielleicht wäre es auch anders gelaufen, hätte der coronapositive Julian Nagelsmann nicht aus der eigenen Küche in der häuslichen Isolation per Whatsapp und Facetime eingreifen müssen, sondern live an der Seitenlinie gebrüllt.

So unwahrscheinlich es auch ist, dass der Abend einen anhaltenden Effekt hat und die der Liga in ihren finanziellen Möglichkeiten so weit enteilten Bayern nicht zum zehnten Mal hintereinander die Meisterschaft gewinnen, so ein hoffnungsvolles Signal ist das 5:0 trotzdem für den deutschen Fußball, der an der Monokultur der Bayern-Siege leidet. Fans, die bei Bayern-Spielen nicht mehr einschalten, weil ja eh klar ist, was passiert, haben nun tatsächlich etwas verpasst.

Dass man die Münchner schlagen kann, gerade in Alles-oder-nichts-Spielen im Pokal, hatte schon zu Beginn des Jahres Holstein Kiel aus der zweiten Liga gezeigt, es ist das zweite Zweitrunden-Aus hintereinander. (Zwei Pokal-Achtelfinals ohne den FC Bayern, das gab es zuletzt Mitte der 1990er.) Dass man die Bayern vorführen kann, war aber schwer vorstellbar. Und es geschah nicht in einem leeren Stadion wie in der Vorsaison, auch nicht von einem Bezahlsender am Samstagnachmittag übertragen, sondern in einer vollen Arena, zur besten Free-TV-Sendezeit. Jeder konnte es sehen. Und jeder wird jetzt erst mal wieder dran glauben, dass so ein Spiel an einem perfekten Abend möglich ist. Es muss ja nicht 43 Jahre dauern, bis es wieder soweit ist.

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27.10.2021, Fussball DFB Pokal 2021/2022, 2. Runde, Borussia Mönchengladbach - FC Bayern München, im Borussia-Park Mönc

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