FC Bayern:Mia san Martínez

FC Bayern München   Hertha BSC

Javier Martínez ragt nun auch in der Liga wieder heraus.

(Foto: sampics / Stefan Matzke)
  • Binnen weniger Tage ist der fast vergessene Javi Martínez wieder zum klassischen Bayern-Spieler geworden.
  • Gegen Hertha BSC trifft der Spanier und gibt Stabilität im Mittelfeld.
  • Martínez verkörpert das pragmatische Titelcoaching, das sein Trainer gerade betreibt.

Von Christof Kneer

Es lief die 94. Spielminute, Javi Martinez stürzte sich in einen letzten Zweikampf. Es tat vermutlich noch mal weh, dreieinhalb Tage zuvor hatte er ja schon einmal einen letzten Zweikampf bestritten, ebenfalls in der 94. Spielminute. Martinez schnappte sich also noch einmal den Ball, aber er musste zum Glück nichts Großartiges mehr anstellen mit ihm. Schiedsrichter Osmers pfiff in diesem Moment ab, Martinez ballte im Mittelkreis die Fäuste. Yesss!, gewonnen! Einsnull!

Am Dienstagabend hatten die Bayern bekanntlich auswärts ein Nullnull erkämpft, und nun hatten sie also daheim dieses Einsnull erreicht - und ist es nicht so, dass diese beiden Ergebnisse zusammengenommen zum Weiterkommen reichen?

Dazu muss man sagen: Ja, das ist schon so, allerdings sollte es sich dabei um Ergebnisse gegen denselben Gegner handeln. Im vorliegenden Fall wäre das Weiterkommen der Münchner also keinesfalls gesichert, da sie einem beachtlichen 0:0 in Liverpool ein eher mittelbeachtliches 1:0 gegen Hertha BSC folgen ließen. Und es war ja in beiden Spielen so, dass die Münchner mit dem Ball nichts Großartiges anzustellen wussten, nicht nur Martinez nicht in dieser 94. Minute. Martinez war sowieso entschuldigt, in Liverpool und auch gegen Hertha. Er hatte andere Aufgaben als den Ball. Und diese Aufgaben löste er so mustergültig, dass er nun vollauf berechtigt war, im Mittelkreis ein wenig herumzujubeln.

Ja, das könne man so sagen: Martinez sei "der Spieler der Woche" gewesen, antwortete Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic nach dem 1:0 gegen Hertha auf eine entsprechende Reporterfrage.

Kovac bringt Coman, der mit Muskelfaserriss gleich wieder ausfällt

Wer die aktuelle Woche miterlebt hatte, durfte das für eine naheliegende Erkenntnis halten: Martinez hatte in Liverpool als dienstbarer Geist geglänzt und gegen Hertha das Tor des Tages erzielt, per Kopf nach einem Eckball von James und einem ungelenken Faustversuch des Berliner Torwarts Rune Jarstein (62.). Wer die aktuelle Woche aber in irgendwelchen Funk- oder Fernsehlöchern verbracht hatte, dürfte sich schon gewundert haben: dass gerade Martinez der Man-of-the-week-Award umgehängt wurde - jenem Profi, den man zuletzt gerne mal vergessen hat, wenn man den Kader des FC Bayern aufsagen sollte. Und für diejenigen, die sich noch an Martinez erinnerten, war er so eine Art Ribéry ohne Goldsteak: Er war ein Typ von früher, ein Heros aus Tripletagen, der zuletzt doch etwas bucklig wirkte. Ein Spieler, dem irgendwer im Klub es schonend beibringen muss: dass sie ihn lieb haben und seine Verdienste in Ehren halten - dass sie jetzt aber doch was Neues brauchen auf seiner Position im hinteren Mittelfeldzentrum, wo man die immer jünger werdenden Monsterathleten des Gegners aufhalten muss.

Den Umbruch beim FC Bayern würde Martinez, 30, wohl kaum überstehen, das sagte keiner laut und dachten alle leise.

Und nun, nach dem Sieg gegen Hertha, sagte der Trainer Kovac also: "Wenn Javi vor der Abwehr steht, wo ich ihn mir wünsche, ist er der Sechser, den wir brauchen."

Martínez haut sich auf dem Platz so rein, dass die riskanten Pläne des Trainers aufgehen

Zwar ist immer noch nicht endgültig bewiesen, dass auch Niko Kovac den Umbruch überstehen wird, aber nach den Eindrücken dieser Woche könnte das eine mit dem anderen zusammenhängen. Kovac und Martinez bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft, hier sind zwei Männer, die sich plötzlich gegenseitig schützen.

Der Trainer stellt den Spieler wieder auf und gibt ihm die Chance zu zeigen, dass er im entscheidenden Moment immer noch eine beeindruckende Autorität ausstrahlen kann; und der Spieler haut sich auf dem Platz so rein, dass die riskanten Pläne des Trainers aufgehen. Nach dem Liverpool-Spiel war die Lesart ja die, dass Kovac mit seinem radikalen Defensivansatz den Kollegen Jürgen Klopp ausgecoacht habe. Hätten seine Verteidiger den Hintenrum-Spielstil aber nicht mit so hoher Konzentration ausgeführt und hätte Martinez nicht schon so viele Gefahren beseitigt, bevor sie überhaupt gefährlich wurden: Dann wäre es 1:0 oder 2:0 für Klopp ausgegangen, und es hätte vermutlich geheißen, Kovac habe das Spiel vercoacht. Untertitel: Wie kann man an der Anfield Road nur ohne eine einzige offensive Idee antreten! Oder so.

Binnen weniger Tage ist der fast vergessene Martinez wieder zum klassischen Bayern-Spieler geworden. Der FC Bayern war schon immer ein pragmatischer Ergebnisverein, der sich sein Mia-san-mia-Gefühl nicht über eine präzise definierte Art von Fußball, sondern immer über die Tabelle besorgt hat. Entsprechend verständlich ist auch der Martinez-Reflex des Trainers: Den Beginn der entscheidenden Wochen hat Kovac dem pragmatischsten aller Bayern-Spieler anvertraut, und so war auch die Startelf gegen Hertha ein Statement: Es ist klassisches Titelcoaching, das Kovac da gerade betreibt. Der Trainer hätte Martinez nach der großen Champions-League-Nacht auch draußen lassen und gegen eine Mannschaft aus der kleinen Bundesliga einem kreativeren Zentrum vertrauen können - aber Kovac wollte seinen Mentalitätsspieler auf dem Platz haben, um sich nicht nur in der Champions League, sondern auch in der Bundesliga die bestmögliche Ausgangsposition zu verschaffen.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich die Kovac-Bayern bewegen, wie die erneute Verletzung von Kingsley Coman zeigt. Dem anfälligen Sprinter hätte eine Pause gegen Hertha gewiss gut getan, aber beim Stand von 0:0 entschied sich Kovac erneut fürs Titelcoaching, er wollte seine beste Elf sehen und brachte also den Franzosen - um ihn mit einem Muskelfaserriss wenig später wieder auswechseln zu müssen. Coman dürfte gegen Liverpool fehlen - am Ende wird Javi Martinez also auch da noch das entscheidende Tor schießen müssen.

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