Für die Fußballerinnen des FC Bayern war das ein guter Abend. Start der Champions League, ausverkauftes Stadion auf dem Campus-Gelände und am Ende ein 5:2-Sieg gegen den FC Arsenal. Für Maria Luisa Grohs aber hafteten diesem Spiel zwei Makel an. Und vor allem eine Szene wie beim zweiten Gegentreffer, als Grohs dem Kopfball von Laia Codina Panedas nach einer Ecke nur hinterher schauen konnte, nervt Grohs manchmal wochenlang. Sie hadert dann mit sich und der Eigenart ihrer Position, auf der sie Missgeschicke selten direkt wiedergutmachen kann. In diesen Tagen aber musste sie diese Szenen streng analytisch betrachten. Wie gut ihr das gelungen ist, könnte über den nächsten Schritt ihrer Karriere entscheiden.
Die Torhüterin des FC Bayern steht gerade unter besonderer Beobachtung. Das war gegen Arsenal so und auch am Samstag (17.45 Uhr, ARD) wird das so sein, wenn ihr Team in der Volkswagen-Arena vor mehr als 17 000 Zuschauern beim VfL Wolfsburg zu Gast ist. Das Prestigeduell der Liga, schon seit Jahren, aber die Voraussetzungen sind nun andere. Zwar trifft der Meister auf den Pokalsieger, doch Wolfsburg kämpft nach den Weggängen insbesondere der Leistungsträgerinnen Ewa Pajor (FC Barcelona), Dominique Janssen (Manchester United) und Lena Oberdorf (FC Bayern) mit dem Umbruch. Der VfL ist derzeit Vierter mit fünf Punkten Rückstand auf Tabellenführer München, der Rivale für VfL-Trainer Tommy Stroot eindeutig Favorit: „Bayern hat die Dichte und Stabilität im Kader, die fürs ganz Große gemacht ist. Auch wenn ich gerne Spannung erzeugen möchte.“

DFB-Rücktritt von Alexandra Popp:Ihr Bauch hat entschieden
Alexandra Popp beendet nach mehr als 14 Jahren ihre Karriere im deutschen Nationalteam. Um die Lücke zu füllen, die die Anführerin hinterlässt, wird es mehrere Fußballerinnen brauchen – Bundestrainer Wück muss einen Umbruch gestalten.
Grundsätzlich geht es womöglich schon zu diesem frühen Zeitpunkt um eine Vorentscheidung. Für Maria Luisa Grohs ist dieses Duell noch dazu eine Generalprobe. Bleibt sie ohne groben Patzer, ruft sie danach wahrscheinlich Bundestrainer Christian Wück an, um sich zu erkundigen, ob sie übernächste Woche schon etwas vorhat. Dass das so ist, hat viel mit Merle Frohms zu tun, die am Samstag im gegenüberliegenden Strafraum steht. Im September hatte Frohms bekannt gegeben, aus dem Nationalteam zurückzutreten, mit gerade einmal 29 Jahren und trotz der Aussicht, wieder zur Nummer eins aufzusteigen – nachdem sie diesen Status vor Olympia an Ann-Katrin Berger verloren hatte. Ihre Entscheidung kam überraschend, Wück hätte erklärtermaßen gerne mit ihr zusammengearbeitet. Stattdessen begann ein Casting, welche Torhüterin in die Trainingsgruppe mit Berger und Stina Johannes aufsteigt. Grohs würde diesen Platz nur zu gerne einnehmen. Und ihre Chancen stehen gut.
Die Trainer von Grohs loben ihre mentale Stärke, ihre Souveränität und ihr Selbstbewusstsein
An einem warmen Herbsttag sitzt die 23-Jährige, Spitzname Mala, in einem Münchner Café und reflektiert ihre bisherige Reise in der Fußballwelt. Sie strahlt jene Art von Zufriedenheit aus, wenn eigentlich alles gut läuft. Auch dank ihr ist der FC Bayern diese Saison noch ungeschlagen, saisonübergreifend sind es in der Bundesliga inzwischen 44 Partien ohne Niederlage, Rekord. Vergangene Runde konnte Grohs auf dem Weg zur dritten Meisterschaft in vier Jahren nur acht Mal überwunden werden, mit Abstand Bestwert. Für sie steht außer Frage, dass sie für die Länderspiele gegen England am 25. Oktober und Australien am 28. Oktober in den DFB-Kreis aufgenommen werden sollte.
Sie wurde auch schon berufen, im September 2022, aber es reichte nicht, der Konkurrenzkampf ist hier traditionell groß und Grohs fiel bisweilen mit Unsicherheiten auf. Ihre Sichtweise von damals jedoch hat sie sich beibehalten, es klingt nach Fußballerphrase, in ihrer Konsequenz aber erfordert sie Disziplin: „Ich konzentriere mich darauf, mich zu verbessern und meine Leistung zu bringen und damit zu überzeugen. Meine Stärke war es immer, meinen Weg zu gehen, das darf ich nicht aus den Augen verlieren.“
Dieser Weg begann in ihrer Heimat Münster beim 1. FC Gievenbeck in einer Jungs-Mannschaft, bevor sie zu den U17-Mädchen des VfL Bochum wechselte. Dass sie beim FC Bayern landete, war mehr Zufall. Für ein Schulpraktikum ging sie zu Airbus nach München, Verwandte leben hier, es war eine pragmatische Entscheidung. Über den Kontakt ihres Bochumer Trainers konnte sie währenddessen beim FC Bayern im Bundesliga-Team trainieren. Der damalige Torwart-Coach Peter Kargus wollte sie halten, Grohs aber erst das Abitur abschließen. Zur Saison 2019/2020 kam sie wieder, spielte in der zweiten und trainierte mit in der ersten Mannschaft.

Im Dezember 2021 verletzte sich Stammtorhüterin Laura Benkarth. Erst erhielt Janina Leitzig den Vorzug, doch Grohs bewies sich in dieser Phase, nachdem sie Pfeiffersches Drüsenfieber, einen Bänderriss im Daumen, Corona, Schulterschmerzen, eine Herzmuskelentzündung und einen Bänderriss im Fuß überstanden hatte. „Die Situation hat mich angespornt und mental befreit, weil ich wusste: Ich habe eine ganz neue Chance“, sagt Grohs. Unter Trainer Alexander Straus etablierte sie sich ab Sommer 2022 als Nummer eins. „Mala war auf den Punkt da. Sie hat den Kampf angenommen und geliefert“, sagt Bayerns Torwarttrainer Michael Netolitzky. „Ich habe immer viel in ihr gesehen, aber dass sie sich so gut entwickelt, hätte ich anfangs nicht geglaubt. Da kam viel von ihr.“
Mit 1,80 Metern bringt Grohs gute Voraussetzungen mit, für die nötige Athletik verbrachte sie viele Stunden im Kraftraum. Sowohl Netolitzky als auch Straus loben die mentale Stärke ihrer Torhüterin, ihre Souveränität und ihr Selbstbewusstsein. Grohs schnürt dieses Paket mit einer rationalen Art, die analytische Denkweise aus ihrem Maschinenbau-Studium an der TU München überträgt sie auf den Fußball. All die Stimmen blendete sie aus, die ihr über die Jahre sagten, sie müsse an ihrer Ausstrahlung arbeiten und zu einem extrovertierten Typ werden. „Das werde ich auch nicht sein. Für die Tor-Position haben viele so ein festes Bild im Kopf, aber es geht auch anders“, findet Grohs. „Ich bin nicht laut, aber ich versuche, in den richtigen Momenten zu kommunizieren.“
In gewisser Weise verläuft ihr Weg parallel zur Entwicklung des gesamten Teams: Das Fundament war da, wie Grohs es beschreibt, dann kam der entscheidende Moment, dass strukturell „an den richtigen Stellschrauben zum richtigen Zeitpunkt gedreht“ wurde. In der Doku über das Frauen-Team sagt Maria Luisa Grohs, sie sei mehr als die Fußballerin und sie könne auch noch mehr. Dieses Bewusstsein hat sie freier gemacht, sie achtet darauf, auch ihre anderen Talente zu fördern. Früher wollte sie Astronautin werden, vielleicht sitzt sie irgendwann in einem Kontrollraum vor großen Bildschirmen. Aber erst mal möchte sie vor allem Fußballerin des FC Bayern sein – und gerne auch des Nationalteams.