Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Oan Neuer

Nationalkeeper Manuel Neuer bleibt drei weitere Jahre beim FC Bayern. Rivale Alexander Nübel muss sich mit einem Schicksal auf der Bank anfreunden - oder doch mit einer Leihe.

Von Christof Kneer

Die Funkstille währte genau einen Tag. An diesem einen Tag vor viereinhalb Wochen wartete Manuel Neuer erst mal ab, wie der FC Bayern auf das Interview reagieren würde, das er, Neuer, sittenwidrig am Verein vorbei, lanciert hatte. Und der FC Bayern wartete an diesem Tag auch erst mal ab, oder vielleicht schmollte er auch. Warum macht der Neuer das, dachten die Bayern wohl und stellten sich damit eine ähnliche Frage wie Manuel Neuer. Der dachte: Warum macht der FC Bayern das? Neuer war immer noch verstimmt, weil vertrauliche Details aus Vertragsgesprächen in der Zeitung gelandet waren, und zwar nicht einmal und nicht zweimal, sondern dreimal.

Eben deshalb hatte Neuer ja dieses Interview nach draußen geschmuggelt, in dem er und sein Berater Thomas Kroth den Eindruck erweckten, dass nur drei Leute an den Vertragsgesprächen teilgenommen hätten, nämlich Kroth und die Bayern-Vertreter Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic. Und dass Kroth und Kahn nicht die waren, die geplaudert hatten.

Bis heute ist es übrigens keinesfalls erwiesen, dass die undichte Stelle in Salihamidzic' Büro zu finden war, aber die Fahndung nach dem Maulwurf ist inzwischen ohnehin eingestellt. Eingeweihte erinnern sich, dass schon am zweiten Tag nach Erscheinen des Interviews die Gespräche wieder aufgenommen wurden, und nun, viereinhalb Wochen später, haben die Parteien Vollzug gemeldet. Neuer, 34, hat seinen bis 2021 laufenden Vertrag bis 2023 verlängert, und bei der offiziellen Verkündung der Frohbotschaft setzte ein geradezu rührendes Gedrängel um die besten Plätze in der Pressemitteilung ein. Kraft Amtes kam zunächst Klubchef Karl-Heinz Rummenigge zu Wort ("Manuel ist der beste Torhüter der Welt"), es folgte Vorstand Oliver Kahn ("Ich kann mich sehr gut in die Situation, in der sich Manuel befindet, hineinversetzen"). Anschließend durften auch Neuer und Salihamidzic noch was sagen.

Der Klub zitiert Salihamidzic übrigens mit dem Satz "Gemeinsam haben wir eine Win-win-Situation geschaffen". Eine solche hatte sich Neuer im Interview wortwörtlich gewünscht. Lustig: Der Klub autorisiert quasi nachträglich eine Passage aus einem Interview, das er vorab nicht gesehen hatte und auch nie erlaubt hätte.

Die Beteiligten haben sich jetzt also die Hände oder vielleicht sogar die Armbeugen gereicht: Neuer bleibt drei weitere Jahre, er lobt den Klub, der Klub lobt ihn, und Neuer bekommt im Klub-Statement auch die Gelegenheit, das angebliche Image des gierigen Profis gegen das eines tadellosen Staatsbürgers einzutauschen.

Zu Neuers enormem Missvergnügen war ja vor viereinhalb Wochen auch die Zahl "20 Millionen" nach draußen gedrungen, so viel Gehalt fordere Neuer (angeblich) pro Jahr, hieß es damals, was von Neuers Seite stets dementiert wurde. Im aktuellen Statement darf sich Neuer nun als verantwortungsbewusster FC-Bayern-Kapitän präsentieren, er sagt, dass er "in den Wochen des Shutdowns" bewusst keine Entscheidung treffen wollte; er habe erst abwarten wollen, "wann und wie es mit dem Bundesliga-Fußball weitergeht".

Wer die branchenübliche Übermittlung von Wertschätzung kennt, ahnt, dass Neuer trotzdem nicht weniger verdienen wird als vorher. Und den Vertrag mit Toni Tapalovic, Neuers Lieblingstorwarttrainer, haben die Bayern im Zuge der ganzen Operation auch gleich verlängert, es war so etwas wie Neuers Bedingung. Eine Win-win-win-Situation also. Es ist also alles gut jetzt.

So zumindest geht die eine Geschichte, die, die jetzt so demonstrativ friedlich zu Ende gegangen ist. Es beginnt nun aber die andere Geschichte.

Von der anderen Geschichte steht natürlich nichts in der Pressemitteilung, aber die Bayern wissen das ja selbst: Sie müssen inzwischen damit leben, dass jede Neuer-Nachricht sofort auf ihren Nübel-Gehalt hin untersucht wird. Der junge Torwart Nübel kommt im Sommer aus Schalke nach München, er weiß, dass Trainer Hansi Flick und auch Vorstand Oliver Kahn führende Mitglieder in einem nicht offiziell registrierten Neuer-Fanklub sind, Nübel weiß also auch, dass er sich erst mal auf der Ersatzbank gedulden muss. Kahn habe bei Manuel Neuers am Ende doch noch zügiger Vertragsverlängerung eine herausragende Rolle gespielt, sagen Beteiligte. Und so dürfte es Neuer mit dem Selbstbewusstsein des Rummenigge-zertifizierten "weltbesten Torwarts" auch sensationell wurscht sein, ob dem Rivalen Nübel bei dessen Anwerbung womöglich irgendwelche Einsätze zugesichert wurden; Neuer geht davon aus, dass sowieso nur Neuer spielt, und er geht - mit Recht - davon aus, dass der Trainer Flick derselben Meinung ist.

Immerhin haben die Bayern dem neuen Torwart Nübel zumindest noch einen kleinen Gefallen tun können. Hätte sich Neuer den Bayern für vier oder fünf weitere Jahre versprochen, dann wäre Alexander Nübel, 23, mit einer eher unüblichen Karriereperspektive in München angekommen: Nicht ausgeschlossen, dass aus einem jüngeren Torwart mit wenig Spielpraxis am Ende ein älterer Torwart mit wenig Spielpraxis geworden wäre. So aber bleibt zumindest ein Licht am Ende des Tores sichtbar.

Wie der FC Bayern hinter Neuer plant, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Nübel kann ja nichts dafür, dass es weltweit nur oan Neuer gibt, und grundsätzlich darf sich der neue Torwart auch einer hohen Wertschätzung bei den Bayern-Verantwortlichen sicher sein. Es war ja tatsächlich ein nachvollziehbar verlockender Gedanke, den der Sportchef Salihamidzic da hatte: Neuer ist nicht mehr der Jüngste, einen empfindlichen Mittelfuß hat er auch, was spricht also dagegen, sich das mutmaßlich größte Torwarttalent der next generation ablösefrei zu sichern? Nicht viel - außer der Tatsache, dass Torwartduelle samt ihrer medialen Begleiterscheinungen einem Standort schwer zu schaffen machen können. Niemand weiß das besser als der Ex-Torwart Kahn, der beim DFB einst in einem nervenaufreibenden Duell mit dem Rivalen Jens Lehmann steckte. So gehen einige in der Branche davon aus, dass Nübel zum Erhalt von Spielpraxis womöglich doch noch verliehen werden könnte - was alle Beteiligten bisher, zumindest offiziell, ausgeschlossen haben.

Ob Neuer im Juni 2023, mit dann 37 Jahren, seine Karriere beendet, ist im Übrigen keineswegs sicher. Am Ende, so ist zu hören, sei es in den Verhandlungen noch um ein paar "Details" gegangen. Manchmal sind mit diesen Details auch Klauseln gemeint, mit denen sich ein Vertrag unter bestimmten Umständen verlängert.

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SZ vom 22.05.2020/ska
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