Süddeutsche Zeitung

FC Bayern in der Champions League:In Liverpool überleben, irgendwie

Im Angriffswirbel des Klopp-Teams kann man spektakulär die Orientierung verlieren. Was jetzt im Achtelfinale passiert, wird wegweisend für die Zukunft von Niko Kovac als Bayern-Trainer sein.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Respekt und Anerkennung für den, der das Quartier ausgewählt hat, zählt doch Selbstironie eher nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften der Fußballzunft. Auch beim FC Bayern führt sie meist ein kümmerliches Dasein. Fast schon seit jenem Tag, an dem sich der Trainer Dettmar Cramer (1975 bis '77) im Münchner Olympiastadion als Napoleon in Feldherrenpose fotografieren ließ. Jetzt aber gönnen sich die Münchner wieder mal eine pikante Schleife ins Historische: In Liverpool entschied sich der Rekordmeister fürs Hotel Titanic.

Darauf muss man nicht nur erst einmal kommen, man muss es auch aushalten wollen. Nicht das Quartier, da handelt es sich um ein zur Loft-Herberge umfunktioniertes Lagerhaus am Mersey River. Aber dieser Name! Dieses ewig strapazierte Synonym für Schiffbruch.

Jetzt ist Achtelfinale, die Knockout-Runde in der Champions League, und sportfachlich ist vom FC Liverpool eines aktenkundig: Dort kann man im Angriffswirbel die Orientierung verlieren, dort kann man spektakulär untergehen. Erlebt hat dies im Vorjahr sogar Pep Guardiola. Im Viertelfinale hatte es den einstigen Bayern-Coach mit Manchester City nach Liverpool verschlagen, nach nur 31 Minuten stand es 3:0 (Tore: Salah, Oxlade-Chamberlain, Mané). Jedes weitere Pep-Manöver war purer Aktionismus.

Liverpool ist nicht frei vom britischen Virus

Neu ist aus Münchner Perspektive, dass Niko Kovac auf der Brücke steht. Nach einem Dreivierteljahr im Amt ist er auf der höchsten Definitionsebene für seine Arbeit angelangt. Referenzgröße sind die Spitzenteams Europas, ist aber nun speziell Jürgen Klopp. Jener Trainer, der dem FC Bayern einst mit Borussia Dortmund zwei Meisterschaften (2011, 2012) rauben konnte. Einen flüchtigen Flirt der Münchner gab es mit ihm immer mal, ebenso wie später mit Thomas Tuchel, der soeben mit dem 2:0 von Paris Saint-Germain bei Manchester United beeindrucken konnte.

Klopp entschied sich dafür, seine rasante Idee vom Überfallfußball zu exportieren. Und Tuchel war im vorigen Sommer fast schon an der Säbener Straße, da legte Uli Hoeneß noch sein Präsidenten-Veto ein. Stattdessen kam Niko Kovac, und das, was jetzt im Achtelfinale passiert, wird auch Wegweiser für dessen Zukunft sein. Zerschellen darf der FC Bayern nicht; scheitert er, kommt es im Zeugnis auf die Qualität des Scheiterns an.

Zumal das Duell Bayern gegen Liverpool keine Geheimnisse kennt. Alles scheint bekannt zu sein. Taktisch geht es um die Frage, ob die als porös bekannte Münchner Defensive in dem Orkan, der ihr versprochen ist, einen Halt findet. Und ob Kovac - anders als damals Guardiola - an der Anfield Road ein Resultat erzwingt, das sich noch korrigieren lässt. Denn die Kalkulation basiert auf dem Heimrecht im Rückspiel: In Liverpool überleben, irgendwie; und dann in München die Kapelle spielen lassen. Eines ist ja auch bekannt: Liverpool ist nicht frei vom britischen Virus. Geht es runter von der Insel, entwickelt sich ein Fremdeln. Die drei Liverpooler Auswärtsreisen in der Vorrunde endeten in Neapel (0:1), Belgrad (0:2) und Paris (1:2) mit Niederlagen.

Wer weiß, vielleicht wird am Ende auch die Assoziationskette zur Titanic nicht so bleischwer. Gebaut wurde das Schiff in Belfast, die Jungfernfahrt führte von Southampton nach New York, und der Eisberg lauerte vor Neufundland. Liverpool sollte später zwar Heimathafen sein, sonst aber blieb die Stadt in dieser Schreckensgeschichte eine Randnotiz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4333707
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.02.2019/jbe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.