Süddeutsche Zeitung

Aus in der Champions League:Ohne Überzeugung, ohne Mut

  • Der FC Bayern verliert im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League 1:3 gegen den FC Liverpool und scheidet aus.
  • Die Münchner hatten sich viel zu sehr am Gegner orientiert, anstatt selbst Lösungen für ihr eigenes Spiel zu ersinnen.

Aus dem Stadion von Jonas Beckenkamp

Mit guter Musik ist es in Fußballarenen so eine Sache, meist regiert dort Kirmestechno. Aber diesmal hatte die Stadionregie des FC Bayern einen 90er-Song ausgegraben. "Bittersweet Symphony" schallte nach dem Schlusspiff dieses Achtelfinal-Rückspiels in der Champions League gegen den FC Liverpool aus den Boxen. Der Britpop-Gassenhauer von The Verve, ein Lied des Selbstzweifels einer Band, die es leider nicht mehr gibt. Das saß. Die Bayern hatten ja einen Abend erlebt, an dem sie selbst ein bisschen auseinandergefallen waren. Bitter war es. Und süß für Jürgen Klopp, der seine Fäuste Richtung Block 324/325 reckte, wo sich hoch oben unter dem Dach die "lads" aus Liverpool in den Armen lagen und feierten.

1:3 (1:1) also, das Ergebnis flankierte auf der Anzeigentafel die Szenerie - und als die Münchner Spieler sich merklich kurz von ihren eigenen Fans verabschiedeten, war auch dem Letzten klar: Hier war an diesem Abend etwas zu Ende gegangen. Der FC Bayern hat sich vorerst aus der absoluten Spitze Europas verabschiedet. Und dafür gab es Gründe. Es lag gar nicht so sehr daran, dass Liverpool das perfekte Spiel abgeliefert hatte. Es war vielmehr so, dass die Bayern an ihre Grenzen stießen. Besser kann diese in einigen Teilen deutlich gealterte Mannschaft derzeit nicht Fußball spielen. So einfach und entlarvend ist das.

Und so musste Mats Hummels, der eine gute Halbzeit und eine weniger gute gezeigt hatte, ganz schön überlegen, wie er seine Manöverkritik nun formulieren sollte. "Wie sage ich das jetzt," begann er, "ohne dass daraus morgen eine große Überschrift wird?" Was er dann sagte, legte vieles offen: "Wir haben eine gewisse Spielweise, die gegen stark pressende Mannschaften nicht immer so gut klappt." Und er sagte: "Wir haben nicht den Mut gehabt, die Pressinglinie des Gegners zu überspielen." Zu wenig druckvoll habe man agiert, zu wenig Initiative gezeigt, kurzum: "Es ist eine Frage des Fußballs, den wir spielen."

Wenn ein verdienter Spieler nach einer großen Enttäuschung wie dieser so unverblümt Kritik übt, gibt es nur zwei Möglichkeiten, wer gemeint sein könnte: Entweder es geht in Richtung der Kollegen - oder Richtung Trainer. Hummels sagte: "Da muss ich den Trainer auch mal in Schutz nehmen. Der Trainer fordert das oft, aber es klappt nicht immer so gut, wie er es von uns auf dem Platz sehen möchte." Doch zur Taktik von Kovac blieben Fragen, denn auf dem Platz zeigte sich ja das Verzagen in der Offensive auf Kosten defensiver Ordnung. Die Bayern hatten sich viel zu sehr am Gegner orientiert, anstatt selbst Lösungen für ihr eigenes Spiel zu ersinnen. Dieses Dilemma legte sich über fast jede Minute des Spiels wie ein Schleier.

Ab dem Zeitpunkt von Sadio Manés 0:1 (26. Minute), der erst Rafinha stehen ließ und dann den herausstürmenden Manuel Neuer auswackelte, mutierte die ohnehin bleischwere Aufgabe gegen Klopps Störgeschwader zum Ding der Unmöglichkeit. Passenderweise fand Niklas Süle: "Die zehn Minuten vor der Halbzeit haben uns gehört." Das mag stimmen, aber es waren tatsächlich nur diese zehn. In dieser Phase gelang der Ausgleich durch Joel Matips Eigentor, das Serge Gnabry mit einem Kraftantritt eingeleitet hatte (39.). Aber schon direkt nach Wiederanpfiff war alles verpufft. "Wir haben die Bälle nicht gut gehalten, dann haben wir es über außen versucht, aber auch das hat nicht geklappt," erklärte Verteidiger Süle.

So verstrickten sich die Münchner im bittersten Moment dieser ohnehin schwierigen Saison in Taktikfragen. Wie viel Risiko hätte man gehen sollen gegen Liverpools Lauerfußball mit all seinen Salahs, Manés und Firminos, diesen Menschen mit Superkräften? Die Meinung der Münchner, die auf dem Platz standen: viel mehr. Aber Kovac hatte es offenbar anders vorgegeben. "Wir wollten kontrolliert nach vorne spielen, ohne komplett aufzumachen", so sein Plan. "Wir wollten nicht die Fehler machen, die der Gegner braucht." Das klang allzu vorsichtig, es klang nach: Duckmäuserfußball statt nach Wutkruzifixmiasanmia. Ohne Überzeugung, ohne Mut, ohne Schärfe - so gar nicht Bayern-like irgendwie. Viel zu spät zudem mit dem einzigen verbliebenen Energizer von der Bank - dem gerade erst von einem Muskelfaserriss genesenen Kingsley Coman.

Und Liverpool? "Ganz Klopp-like haben sie es geschafft, uns nicht zur Entfaltung kommen zu lassen", folgerte Hummels. "Es war schwer für uns, überhaupt nach vorne zu kommen", hatte auch Torhüter Neuer von hinten beobachtet. Wann hat es das schon mal gegeben beim großen FC Bayern?

Die zweite Hälfte prägten dann Mo Salahs Läufe durch eine taumelnde Bayern-Truppe, die von vorne bis hinten schlecht stand. Zu weit hinten (im Spielaufbau oft 30 Meter hinter der Mittellinie), zu weit auseinander, zu ungeordnet. Als Hummels und Javi Martínez sich bei einer Ecke gegenseitig am Kopfball hinderten und von Virgil van Dijk übersprungen wurden, fiel das 1:2 (69.) - die Entscheidung. Es war der K. o. in einer Phase, in der schon die ersten Zuschauer den Heimweg antraten. Sie verpassten noch einen Treffer: Das 1:3 (84.) durch Manés Kopfball nach einer Flanke von Salah mit dem Außenrist. Eine Vorarbeit von erhabener Kunstfertigkeit.

Dann war der FC Bayern auf fast verstörende Art aus der diesjährigen Champions League ausgeschieden. "Wir sind bitter enttäuscht, jetzt müssen wir uns irgendwie aufrichten", meinte Kovac noch. Es klang wie: Das könnte ganz schön schwer werden bis zum Sonntag, wenn es in der Liga gegen Mainz geht. Aber, auch da lag der Stadion-DJ richtig: The show must go on. Auch dieser Song war erklungen, als sich die Arena leerte.

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