Süddeutsche Zeitung

Robert Lewandowski:"Ich gönne ihm das"

Robert Lewandowski zieht in der ewigen Bundesliga-Torschützenliste mit Klaus Fischer auf Rang zwei gleich. Der frühere Stürmer wundert sich nur, dass Lewandowski in Bremen nicht noch öfter getroffen hat.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Es lohnt sich, noch einmal zurückzublicken auf dieses 268. Tor seiner Karriere, von dem weder er noch jemand sonst zu diesem Zeitpunkt wusste, dass es sein letztes in der Bundesliga sein würde. Die Bilder, die man davon auf Youtube findet, sind krisselig, sie stammen aus der "Sportschau" vom 17. Juni 1987, Eberhard Stanjek moderiert den Abstiegskampf an. Fortuna Düsseldorf müsste mit drei Toren Unterschied gewinnen, um den FC Homburg noch abzufangen, Gegner ist der VfL Bochum. Alles Weitere, sagt Stanjek, "erfahren Sie direkt aus dem Bochumer Stadion von meinem Kollegen Dieter Adler".

Man sieht dann eine Rauchbombe hochgehen vor dem Tor des Bochumer Torwarts Ralf Zumdick, man sieht das 1:1 der Bochumer nicht, weil die Kamera, "verständlicherweise", wie Adler sagt, auf einem "Gespräch" zwischen Schiedsrichter Kautschor und Frank Schulz ruht, während irgendwo im Hintergrund Wegmann schießt, Uwe Wegmann. Und dann sieht man ihn, Klaus Fischer, den "Oldtimer", wie der Kommentator ihn nennt. Benatelli flankt, die Kopfballabwehr von Backhaus gerät zu kurz, Fischer nimmt den Ball an der Strafraumkante volley mit rechts, er springt einmal auf, wird abgefälscht, springt ein zweites Mal auf, im Düsseldorfer Tor bringt Keeper Jörg Schmadtke noch die Hand dran, "krabbelt hinterher", sagt Dieter Adler, aber der Ball hoppelt doch ins Tor.

Klaus Fischer, 37 damals, jubelt nicht, die Zeit der einstudierten Posen liegt noch in ferner Zukunft. Die Gratulanten wuscheln im Vorbeigehen durch Fischers Haar, auf der Anzeigetafel leuchtet sein Name auf. Das Spiel endet 2:2.

"Wie oft trifft Lewy?" Dieses Spiel kennen sie beim FC Bayern aus fast jeder Saison

Anruf bei Klaus Fischer: Noch irgendwelche Erinnerungen an dieses Tor, das letzte, sein 268.? "Es müsste für Bochum gewesen sein", sagt Fischer, "aber mehr weiß ich nicht mehr." Es war seine vorletzte Saison, ein Jahr hat er noch gemacht, aber nicht mehr getroffen. Egal, Klaus Fischer ist mit solchen Toren zur Legende geworden, die Nummer zwei der ewigen Liga-Bestenliste hinter Gerd Müller, dem Ein-Tor-für-jeden-Tag-Stürmer, 365 Mal hat er für die Bayern von einst getroffen. Klaus Fischer hat sich das 3:1 der Bayern von heute am Samstag in Bremen am Fernseher angeschaut, "die Bayern schaue ich gern, da sieht man wenigstens was, nicht dieses Quer und Zurück wie bei den anderen". Robert Lewandowski, sagt Fischer, hätte im Weserstadion "ja vier Tore schießen können", letztlich war es eines - ansonsten: daneben zweimal den Pfosten, einmal die Latte und sehr oft Werders Torwart Jiri Pavlenka.

Lewandowski hat jetzt auch 268 Mal in der Bundesliga getroffen, so oft wie Klaus Fischer. "Ich gönne ihm das", sagt Fischer, "ich bin 71 Jahre alt und froh, dass ich gesund bin."

Acht Mal sind die Bayern jetzt hintereinander Meister geworden, der neunte Titel ist nicht nur wegen des Sieges gegen Werder, sondern wegen der frappierenden Leichtigkeit, mit der er errungen wurde, wahrscheinlicher geworden - und wegen des ganz persönlichen Ehrgeizes von Robert Lewandowski, 32. Seine Körpersprache verrät, wie sehr er sich in die persönlichen Rekorde verbissen hat, die er noch brechen kann. Er ist die personifizierte Gier des FC Bayern, immer noch mehr erreichen zu wollen, auch für sich. So wie Manuel Neuer im Tor nach dem bedeutungslosen Ehrentreffer der Bremer kurz vor Schluss aufheulte wie ein verwundeter Wolf, ärgerte sich Lewandowski über jedes verpasste Tor wie über einen verschossenen Elfmeter in einem WM-Finale. Um gegen jede Mannschaft in der Bundesliga in einer Saison mindestens einmal getroffen zu haben, fehlten ihm bis Samstag noch Tore gegen Werder und Leipzig; jetzt also nur noch eins gegen den einzigen verbliebenen Verfolger RB.

Um Gerd Müllers Ewigkeitsrekord von 40 Toren in einer Saison zu brechen, braucht der Pole nun neun Tore in neun Spielen. "Er trifft mit dem Kopf, mit links, mit rechts, und langsam ist er auch nicht", sagt Klaus Fischer, "er kann das schaffen." Sogar die 365 Karriere-Tore von Müller? "Wenn er sich nicht verletzt - und die großen Spieler verletzen sich nicht, weil sie fit sind -, ist das möglich. Ronaldo ist 36 und spielt immer noch auf höchstem Niveau."

Das Tor in Bremen war dann eines der eher bodenständigen Art

Lewandowskis 268. Tor war eines mit langem Anlauf, in der 54. Minute traf er den Innenpfosten, in der 58. die Latte. Da stand es schon 2:0 für die Bayern durch Treffer von Goretzka und Gnabry in der ersten Halbzeit, und angesichts vollkommener Bremer Harmlosigkeit hätte sich Lewandowski längst auswechseln lassen können. Aber dieses Spiel, es heißt: Wie oft trifft "Lewy"?, kennen sie beim FC Bayern aus fast jeder Saison. Mal geht es um die Torjägerkanone in der Liga, mal um den goldenen Schuh für Europas erfolgreichsten Stürmer, mal darum, der beste Spieler der Welt zu werden. Rekorde, "die dafür da sind, um nach der Karriere draufzuschauen", wie Thomas Müller bemerkte. Und nur wer ihm Böses will, konnte daraus ablesen: Hört doch auf, mich ständig nach Lewandowski zu fragen!

Das Tor in Bremen war dann eines der eher bodenständigen Art, der Ball flipperte nach einer Ecke ein bisschen hin und her und schließlich Lewandowski vor die Füße. Die Schuhe hatte er zur Pause gewechselt ("Habe ich nur zufällig gemerkt, das macht er auch im Training öfter", sagte Trainer Hansi Flick), und er hatte ein Veilchen, das ihm Werders Innenverteidiger Ömer Toprak mit einem Griff ins Auge schon in der ersten Minute verpasst hatte, einfach ignoriert. Weiter, immer weiter, das Motto prägte einst Oliver Kahn.

"Wenn du beim FC Bayern spielst, kannst du das schaffen", sagt Klaus Fischer - und meint damit Lewandowski ebenso wie Gerd Müller. Sie spielten immer in den besten Mannschaften ihrer Zeit, er nicht, Fischer spielte bei Schalke, in Köln, in Bochum. "Aber ich habe meinen Traum erfüllt, war in der Bundesliga und Nationalspieler", sagt Fischer. Ganz schön viel für einen, der im Bayerischen Wald kickte: "Da ist ja keiner vorbeigekommen, um zu schauen, ob da ein Spieler ist." Er bleibt Legende.

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