Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Eine Therapiestunde für alle

Vier Spiele ohne Sieg - und nun 4:0 gegen Leverkusen. Der FC Bayern lässt seine Schaffenskrise hinter sich, auch weil der Trainer Julian Nagelsmann ein paar kleine Details verändert.

Aus dem Stadion von Philipp Schneider

Julian Nagelsmann eilte seinem Auswechselspieler so weit entgegen wie erlaubt, bis zum äußersten Quadratzentimeter seiner Coachingzone. Dann klatschte der Trainer Sadio Mané auf den Rücken. Klatschte ihm auf den Po. Rubbelte ihm über den Hinterkopf. Aber wohin man in diesem Moment auch blickte: weit und breit war kein Longboard zu sehen, auf dem Nagelsmann sein rechtes Bein lässig abstellte. Auch keine Spur von seiner Harley Davidson, die er ja sicher irgendwo neben der Trainerbank hätte parken können. Wenn der Eindruck nicht täuschte, dann stand da ein 35-jähriger Coach an der Seitenlinie, herzte einen zuletzt formschwachen Flügelspieler, der endlich mal wieder getroffen hatte - und coachte. Gar nicht mal schlecht sogar. Oben auf der Anzeigetafel stand in dieser 65. Spielminute eine "3" hinter dem Gastgeber FC Bayern und eine "0" hinter den Gästen von Bayer Leverkusen. Aus der 3 wurde bis zum Schlusspfiff sogar noch eine 4 - an diesem Freitagabend, der nicht nur für Mané zur Therapiestunde geriet, sondern auch für seinen zuletzt hart kritisierten Trainer.

Mal sehen, was aus all den randseitigen Debatten werden wird. Jetzt, da der FC Bayern seine Krise von vier aufeinanderfolgenden Bundesliga-Partien ohne Sieg beendet hat, werden die Erzählungen über Nagelsmann, der hin und wieder sogenanntes Show-Coaching betreibe, mit diesen oder jenen hippen Verkehrsmitteln zum Training rolle und sich erschreckend intensiv für die aktuelle Mode interessiere, vermutlich wieder in der Geschichtenkiste verschwinden. Gut, vielleicht auch nicht. Ganz sicher allerdings hat sich Nagelsmann am Freitagabend inmitten seiner ersten ausgewachsenen Schaffenskrise bei den Bayern ein bisschen frische Luft zum Durchschnaufen zugefächert.

Dass die taumelnde Mannschaft von Trainer Gerardo Seoane als Aufbaugegner gerade recht kam und sich nicht mal aus dem Schneckenhäuschen wagte, um das Spiel der Münchner physisch hart anzugehen, dass zudem Torwart Lukas Hradecky einen schwarzen Tag erwischte, das trübte das Bild im Detail durchaus.

Wer erwartet hatte, Nagelsmann würde angesichts der düstersten Ergebniskrise an der Säbener Straße seit 20 Jahren sein bisheriges Konzept grundlegend dem Papierkorb zuführen, der sah sich getäuscht. Wenn der Eindruck nicht täuschte, dann modifizierte er es allerdings in entscheidenden Nuancen; er vereinfachte und verlangsamte das Spiel, um den Spielern und sich selbst Sicherheit zu geben. Benjamin Pavard kehrte auf seine Position in der Rechtsverteidigung zurück, Marcel Sabitzer rückte anstelle des zuletzt mit Corona infizierten Leon Goretzka im defensiven Mittelfeld an die Seite von Joshua Kimmich.

Die kaum veränderte Aufstellung passte zur Analyse von Nagelsmann, das Spiel der Bayern habe zuletzt eher daran gekrankt, dass die Spieler seine taktischen Vorgaben nicht penibel genug umgesetzt hätten. In den zwölf Tagen der Länderspielpause war dann ohnehin keine Zeit, um grundlegend neue Abläufe einzustudieren. Erst am Tag vor dem Spiel waren sämtliche Nationalspieler wieder in München, dort begrüßte sie dann Nagelsmann mit einem Video, das er hatte zusammenschneiden lassen um die Ergebnisse seiner Analyse zu präsentieren. Möglicherweise war es ein Best-of der vergangenen Saisonpartien, vielleicht aber auch ein Worst-of. Jedenfalls habe er dank des Clips "den Jungs vier Botschaften mitgegeben. Was ich verlange und was ich sehen möchte." Und, ganz wichtig: "Wo es keine Ausreden gibt."

Gerade mal 150 Sekunden waren gespielt, da rollte ein Angriff der Münchner über die rechte Seite an, der bei Nagelsmann bereits die Hoffnung aufkommen ließ, dass an diesem Abend gar nicht so viele Ausreden nötig sein würden. Jamal Musiala, auf dem Flügel freigespielt von Kimmich, schickte eine derart präzise Flanke auf seinen Lieblingspassempfänger Leroy Sané, dass man sich fragte, ob er heimlich mit Satellitenpeilung arbeitet - das 1:0 (3.). Was auch immer in dem Analysevideo an Vorschlägen erarbeitet worden war: Ein profanes aber effizientes Flügel-Flanken-Spiel hatte in dieser Saison bislang noch nicht zu den Stärken der Kurzpass-Bayern gehört.

Dazu passte in der Detailaufnahme, dass die Bayern überhaupt versuchten, den Raum mit weiten Pässen zu überbrücken. Die Innenverteidiger Matthijs de Light und Dayot Upamecano schickten in einer Frequenz Bälle in die Spitze, dass an einen Zufall nicht zu denken war. Dass diese vielmehr zum Plan gehörten, bewies die gespreizte Aufstellung der möglichen Passempfänger in der Offensive. Eine besonders präzise Vorlage tropfte vor die Füße des mal wieder bezaubernden Musiala, der nach einem knackigen Doppelpass mit Müller das 2:0 selbst besorgte (18.).

Die Worte des Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß drangen einem ins Gedächtnis. Der hatte nach dem ebenfalls leuchtenden Auftritt Musialas beim 3:3 gegen England eine Art Stammplatzgarantie für den 19-Jährigen bei den Bayern und im DFB-Dress gefordert. Die Fans in der Südkurve erinnerten sich am Freitag allerdings auch noch an andere Worte von Hoeneß: Jene, mit denen er mal wieder den umstrittenen WM-Standort Katar im Fernsehen verteidigt hatte, zu dem der Klub auch geschäftliche Beziehungen pflegt. Die Anhänger hielten ein Transparent in die Höhe: "Staatbesuche, Trainingslager. Tausende Tote für WM-Jubel. Besser geht's nur dem eigenen Gewissen Uli H."

Das Spielvergnügen der Bayern wurde von dieser politischen Botschaft selbstverständlich nicht gedämpft, zumal sich die Spieler zusätzlich an einer die Kapitulation streifenden Passivität der Werkself berauschen durften. Die Münchner standen defensiv kompakter als zuletzt gegen Augsburg und erspielten sich vorne weniger Chancen. Dafür trafen sie nun wieder das Tor mit einer geradezu monsterhaften Effizienz. Dass die müde Leverkusener Truppe offenbar in direktem Auftrag von einer Therapeuten-Couch nach Fröttmaning entsandt worden war, dämmerte den Zuschauern spätestens, als kurz vor der Pause Sadio Mané eine Art Seelenstreichler direkt vor die Füße geschoben bekam - selbstverständlich von Musiala. Völlig ungedeckt durfte Mané den Ball, obwohl er Schwierigkeiten hatte, ihn unter Kontrolle zu bringen, über die Linie drücken. Das unmittelbar folgende Einzelgespräch mit dem zur Gratulation herbeieilenden Kimmich bewies, dass auch im Mannschaftskreis längst angekommen war, dass der im Sommer vom FC Liverpool gewechselte Senegalese ein Erfolgserlebnis dringend nötig hatte.

Nach der Pause wäre ihm beinahe ein zweites widerfahren. Der Videoschiedsrichter erkannte allerdings korrekt ein Foul, nachdem Odilon Kossounou zuvor von de Ligt im Luftduell hart am Kopf getroffen worden war, der Treffer wurde annulliert - und Mané kurz darauf unter Applaus ausgewechselt. Dass Torwart Hradecky, dem an diesem Abend ohnehin nahezu nichts gelang, noch ausrutschte und so Thomas Müller den Schlusstreffer auflegte, das passte zum Gesamteindruck, dass sich an diesem Abend einfach alles fügte für die nunmehr ehemals kriselnden Bayern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5667323
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/cca
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.