FC Bayern:Der Verein spricht mit mehreren Zungen

FC Bayern - Trainer Niko Kovac beim Spiel gegen RB Leipzig

Niko Kovac beim 0:0 in Leipzig.

(Foto: REUTERS)
  • Der FC Bayern verpasst die Entscheidung in der Meisterschaft und spielt nun die beiden entscheidenden Saison-Spiele.
  • Die Position von Niko Kovac scheint dabei unsicherer denn je.
  • Wenn es um die Zukunft ihres Trainers geht, äußern sich die Verantwortlichen zunehmend vage.

Von Christof Kneer, Leipzig

Vielleicht ist Uli Hoeneß all die Jahre schreiendes Unrecht widerfahren. Immer wieder wurden diese Witze gemacht, Uli Hoeneß, der sein Handy nur zum Telefonieren nutzt, Uli Hoeneß, der seine Frau bittet, dass sie ihm eine SMS schreibt, Uli Hoeneß, der unterm Weihnachtsbaum die Mailboxnachrichten eines ganzen Jahres abhört. Manche dieser Geschichten sind wahr, manche halb- und manche unwahr gewesen, aber für die neueste Achtung-Hoeneß-benützt-ein-Handy-Geschichte gibt es eine Menge Zeugen.

Uli Hoeneß saß also in diesen wirklich dunklen Katakomben des Leipziger Stadions schon im Bus des FC Bayern, als er doch noch mal kurz nach draußen kletterte und ein paar Reportern ein (sein?) Smartphone hinhielt. Darauf: ein sog. Screenshot, auf dem unter anderem Robert Lewandowski zu sehen war - und dieses "sogenannte Abseits", wie Hoeneß es nannte, bevor er es ein paar Sekunden später den "Witz des Jahres" nannte. Schon kurz zuvor hatte Hoeneß, noch smartphonefrei, ein Instant-Referat zum Thema Videobeweis gehalten, der Videobeweis sei nämlich "dafür da, klare Fehlentscheidungen zu korrigieren" - und eine solche sei das angebliche und später aberkannte Tor von Leon Goretzka ja wohl nicht gewesen. "Gleiche Höhe!", rief Hoeneß, "gleiche Höhe."

Es rief übrigens derselbe Hoeneß, der den sehr, sehr, sehr umstrittenen Elfmeter, den die Bayern kürzlich im DFB-Pokal-Halbfinale in Bremen empfingen, sehr berechtigt fand.

Dass die Münchner ihre Emotionen nach dem intensiven 0:0 in Leipzig erst mal sortieren mussten, war grundsätzlich nicht zu beanstanden; selbst eine so weit gereiste Elf wie der FC Bayern erlebt das ja nicht jeden Tag, dass eine 50. Spielminute zwei Minuten dauert, und dass man sich in diesen zwei Minuten als Meister fühlen darf und es dann doch nicht ist. Eine Zehenspitze einer offenbar eher kleineren Schuhgröße hatte der Videoschiedsrichter entdeckt, als er das Tor ordnungsgemäß noch einmal nachbetrachtete - bei Goretzkas erstem Schuss fanden sich geringfügige Teile von Robert Lewandowski hinter der kalibrierten Abseitslinie, weshalb der turbulente Rest der Szene (Flanke Coman, Kopfballabwehr Konaté, Tor Goretzka durch Scherenschlag) quasi schon außerhalb der Wertung stattfand. Auch Goretzkas ausführlicher Tor- und Meisterjubel wurde durch den Videoreferee nachträglich für ungültig erklärt, "schade", sagte Niklas Süle, "war ein Supertor von Gorre".

Das hatte man also immerhin gelernt in diesem ersten von zwei Aufeinandertreffen zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern: dass manche "Gorre" zu Goretzka sagen. Das war bisher wirklich unbekannt.

Im Übrigen endete dieses Spiel noch viel unentschiedener, als es das Ergebnis ohnehin nahelegte. Leipzigs Trainer Ralf Rangnick lehnte alle Rückschlüsse fürs Pokalfinale in zwei Wochen ab, unter anderem, weil er bei seiner Mannschaft "fünf Prozent Adrenalin weniger" zählte. Die Leipziger wussten ja schon vor dem Spiel, dass sie in jedem Fall auch nach dem Spiel noch Tabellendritter sein werden, aber insgeheim dürfte Rangnick das kämpferisch tadellose und fußballerisch zumindest ordentliche Spiel des Gegners aus München neugierig studiert haben. Sollte er dabei Neues entdeckt haben, wären ihm die Bayern übrigens dankbar, wenn er ihnen die Erkenntnisse zugänglich machen würde - die Bayern wissen ja gerade selbst nicht so genau, was sie von sich halten sollen.

Ohne Titel sei es "eine Scheiß-Saison", sagt Salihamidzic

Der Mia-san-mia-FC-Bayern san gerade mehrere. Mit einer eigentümlich babylonischen Sprachverwirrung ziehen die Münchner in die finalen zwei Saisonwochen, die Insassen desselben Mannschaftsbusses verwenden im Moment sehr unterschiedliche Zungen. Das beginnt bei Goretzkas Abseitstor, dessen Aberkennung Uli Hoeneß mindestens für den Untergang des Abendlandes hält, während der Trainer Niko Kovac die Annullierung zum Beispiel als "korrekt" akzeptiert.

Und das setzt sich fort in der Bewertung des Trainers Kovac, dessen Zukunft in München so unentschieden ist wie ein 0:0 in Leipzig. Kovac habe seine "volle Unterstützung", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic zwar abends im ZDF-"Sportstudio" und ergänzte, "die Fakten" sprächen für den Trainer. Ob der also nächste Saison noch Bayern-Trainer sei, hakte der Moderator nach. "Wir werden sehen", sagte Salihamidzic und konnte froh sein, dass es keinen Videobeweis gibt, der kalibrierte Linien an Trainerbekenntnisse anlegt.

Für Kovac ist nun noch mehr Gefahr im Verzug. Bisher galt Hoeneß eher als Trainer-Befürworter und Karl-Heinz Rummenigge eher als Skeptiker, aber nach den jüngsten Auftritten müssen die Bayern damit leben, dass nun auch der Sportdirektor eher dem zweiten Lager zugerechnet wird. Es ist das gute Recht der Bayern, dass sie gründlich prüfen, mit welchem Führungspersonal sie sich aus ihrer Zwangslage befreien wollen, sie haben ja einen markanten Kaderumbau vor sich und suchen den bestmöglichen Trainer dafür; mit der kakofonischen Art ihrer öffentlichen Bekanntmachungen haben sie aber dafür gesorgt, dass die nächsten Wochenenden als Finalwochenenden für Kovac begriffen werden.

Eine "Zwei plus" würde er der Saison im Falle eines Titelgewinns geben, sagte Salihamidzic noch, bevor er das Interesse an Spielern wie Timo Werner, Kai Havertz oder Callum Hudson-Odoi indirekt bestätigte. Ohne Titel sei es "eine Scheiß-Saison" - mit dieser sehr netten Vorgabe darf Kovac nun also ins Saisonfinale ziehen.

Am Ende sagte Hoeneß noch, er werde "jetzt sieben Nächte gut schlafen". Wenn die Elf sich gegen Frankfurt so reinhaue wie in Leipzig, werde sie Meister. Zur Unterstützung des guten Schlafs sei empfohlen, das Smartphone auszuschalten.

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