FC Bayern:Die Getriebenen

Lesezeit: 5 Min.

Der definitiv letzte Pokal der Saison 2020: Manuel Neuer, kurz bevor er die Trophäe in Katar stemmt. (Foto: AP)

Mit dem sechsten Titel der Saison markiert der FC Bayern den Anfang der von Joshua Kimmich ausgerufenen Ära. Und nun? Natürlich "on the top bleiben", wenn es nach den Spielern geht.

Von Sebastian Fischer, Doha/München

Wahrscheinlich muss man sich die Gesprächsrunde, die dem FC Bayern nun zu großem Ruhm verholfen hat, nicht als besonders kontroverse Diskussion vorstellen. Es war im Herbst des vergangenen Jahres, als sich Abgesandte der Mannschaft und des Trainerteams auf den Weg gemacht haben sollen, um im Büro von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge für die Teilnahme an der Klub-Weltmeisterschaft zu werben, deren Austragung damals noch als unsicher galt. Rummenigge, der von dieser Begebenheit jüngst berichtete, wird die Spieler wohl kaum gebremst haben in ihrem Eifer etwas zu schaffen, das jetzt als historisch gilt.

Die Klub-WM selbst, bei der die Münchner am Donnerstagabend im Finale gegen eine so tapfer wie chancenlos kämpfende Mannschaft von Tigres aus Mexiko 1:0 gewannen, war für sich genommen keine sportgeschichtlich besonders hervorzuhebende Veranstaltung. Das Niveau des Turniers veranschaulichte beispielhaft ein Elfmeter im Spiel um Platz drei zwischen Palmeiras São Paulo und Al Ahly Kairo: Ein Spieler der unterlegenen Brasilianer nahm langen Anlauf, galoppierte am Strafraumrand seitlich nach links, sprintete, bremste ab, trippelte, verlangsamte sein Tempo wieder, stakste schleichend, pirschte sich an den Elfmeterpunkt heran, hüpfte einmal in die Luft - und schoss dem Torwart den Ball in geradezu verblüffender Harmlosigkeit in die Arme. Viel Lärm um wenig.

MeinungCorona im Spitzensport
:In der Blase ist ein Loch

Kommentar von Philipp Schneider

Der Jubel der Bayern vor eher beiläufig applaudierendem Publikum im "Education City Stadium" wirkte fast geschäftsmäßig. Trainer Hansi Flick sah müde aus, glücklich, aber geschafft, seine Medaille überließ er Manuel Neuer, es waren am Abend offenbar zu wenige davon dagewesen. Das Thema des Tages war der positive Corona-Test von Thomas Müller, der in der Nacht auf Freitag zunächst nicht mit nach München flog, sondern erst später in einer eigenen Maschine zurückkehren konnte und sich in Quarantäne begeben muss.

Der Blick geht zurück in den Herbst 2019

Das Thema der vorangegangenen Tage war Rummenigges gewagter Vorschlag gewesen, Fußballer doch priorisiert zu impfen, als Vorbilder für die Gesellschaft. Davor wiederum hatte ein striktes Brandenburger Nachtflugverbot die Debatten bestimmt, das der Münchner Delegation viele Stunden auf dem Flughafen BER beschert hatte. Und, ach so: Am Montag ist auch schon wieder Bundesliga, gegen Bielefeld. Ohne Müller, ohne durch einen Muskelfaserriss gehandicapten Serge Gnabry, womöglich auch ohne Jérôme Boateng, der wegen eines privaten Trauerfalls im Finale fehlte.

Aber vorher haben die Bayern nun eben mit dem sechsten gewonnenen Pokal von sechs möglichen binnen eines Jahres "große Fußballgeschichte" geschrieben, wie es der Stürmer Robert Lewandowski ausdrückte. Nur dem FC Barcelona war das schon mal gelungen, 2009.

Das Tor zum sechsten Titel: Benjamin Pavard (links) feiert seinen Treffer in Doha. (Foto: Mohammed Dabbous/Reuters)

Die Besonderheit dieses Erfolgs sah man nicht unbedingt in einer Szene auf katarischem Rasen; das Siegtor von Benjamin Pavard gegen Tigres etwa war mehr erarbeitet als kunstvoll erspielt. Die Besonderheit ist schon eher der Drang, mit dem die Mannschaft die Gunst der Stunde genutzt hat, in einer durch die Coronavirus-Folgen einzigartigen Saison mit dem Siegen nicht aufzuhören.

Um die Dynamik zu erklären, in der die Münchner zu Allesgewinnern wurden, muss man noch mal an den Herbst 2019 erinnern, an ein Zitat des damaligen Trainers Niko Kovac. "Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, was man hat", sagte er über die Mannschaft, die jetzt ganz offiziell die beste der Welt ist. Kovac ist inzwischen ein erfolgreicher Trainer bei AS Monaco, das sollte man nicht unerwähnt lassen. Doch seine Beziehung zu der Münchner Mannschaft war zum Schluss ein derart großes Missverständnis, dass die Trennung von ihm eine befreiende Wirkung entfachte, die nun quasi durch die Arbeit seines Nachfolgers immer noch anhält.

Dank Hansi Flicks so effektiven wie mutigen, von den Spielern ersehnten Anpassungen am System, auch dank seiner einfühlsamen Ansprache, stürmte die Mannschaft mit mindestens 200 km/h zu den ersten drei Titeln. Es kam ihr wohl auch zugute, dass 2020 der Champions-League-Sieger in einem Finalturnier ermittelt wurde, das die Elf mit dem größten Momentum begünstigte. Das waren die Bayern. Es folgten zwei Titel, die für sich genommen in ihrer Bedeutung ähnlich zu vernachlässigen sind wie die Klub-WM, aber das Besondere des jüngsten, des sechsten Erfolgs erst ermöglichten.

Zunächst, am 24. September, schlug der FC Bayern im europäischen Supercup den FC Sevilla 2:1 nach Verlängerung, Hauptdarsteller war Torwart Manuel Neuer mit einer schier unmöglichen Parade kurz vor Schluss der regulären Spielzeit. Eine Woche später gewannen die Münchner im deutschen Supercup gegen Borussia Dortmund 3:2, das entscheidende Tor gelang Joshua Kimmich im Fallen mit der Hacke.

Wohl keiner verkörpert den Willen dieser Elf so sehr wie Joshua Kimmich

Kimmich, der sich wie ein Getriebener weigert zu verlieren, ist oft als Gesicht des Teams beschrieben worden. Es war auch am Donnerstag seine Flanke, die der natürlich von ebenso riesigem Ehrgeiz angetriebene Lewandowski in Richtung des Torschützen Pavard lenkte. Kimmichs trotziges Brüllen, mit weit aufgerissenem Mund und zusammengekniffenen Augen, zeichneten die Außenmikrofone unüberhörbar und die Fernsehbilder unübersehbar auf. Man kann sich gut vorstellen, dass gerade Kimmich sehr überzeugt und überzeugend war, als zwischen Flick und dem Mannschaftsrat die Frage erörtert wurde, ob die Bayern bei der Klub-WM der Strapazen zum Trotz antreten wollen. "Wir wollen eine Ära prägen", hatte er ebenfalls im September im SZ-Interview gesagt.

Der Beginn dieser Ära ist nun zweifelsfrei und spätestens markiert, noch nie war eine Mannschaft des FC Bayern in einer Saison erfolgreicher, auch in den glorreichen Siebzigerjahren nicht - wobei sich da natürlich auch noch niemand den deutschen Supercup ausgedacht hatte, und das Finale um den Weltpokal genoss in Europa wenig Wert. Zweimal traten die Münchner als Europapokalsieger der Landesmeister gar nicht an, erstmals gewonnen haben sie es erst 1976.

In den ersten Wochen dieses Jahres, als der FC Bayern in der Bundesliga gegen Gladbach und in der zweiten Pokalrunde in Kiel verlor, sah es mal kurz so aus, als würde diese Ära schon einen Knacks bekommen, als könne es nicht so erfolgreich weitergehen. Nun sind zwar sechs Titel 2021 tatsächlich nicht mehr möglich. Doch bei sieben Punkten Vorsprung in der Liga sieht es schon wieder gar nicht nach Krise aus. Und im Sommer wird sich zwar aller Voraussicht nach die von Flick etablierte Mittelachse wandeln, weil David Alaba wohl den Verein verlässt. Aber ob sich allzu viel mehr ändert?

Unter der Woche saß Robert Lewandowski in Katar für eine Video-Konferenz mit Journalisten vor der Kamera. Er hat nun innerhalb eines Jahres nicht nur jeden Mannschaftstitel gewonnen, sondern auch die Wahl zum Weltfußballer. Doch er sprach nicht etwa von Reflexion, sondern über die Zukunft. Sein Alter, 32, sehe man ihm nicht an, sagte er nicht ohne Stolz. Er habe also noch ein paar Jahre vor sich. "Wir wissen, dass wir on the top sind, aber wir wollen on the top bleiben", verkündete er. Und er mahnte, dass die Mannschaft gerade noch nicht ihren besten Fußball spiele, aber demnächst die wichtigste Phase der Saison beginne, mit dem Achtelfinale der Champions League gegen Lazio Rom Ende Februar.

Barcelona, die Allesgewinner von 2009, schafften es 2010 in der Champions League nur bis ins Halbfinale.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FC Bayern
:Sechs von sechs möglichen Titeln

Der FC Bayern gewinnt nach einem 1:0 gegen Tigres UANL auch die Klub-WM. Den Münchnern gelingt damit ein Pokal-Grand-Slam, den bisher nur eine Mannschaft jemals geschafft hat.

Von Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: