Süddeutsche Zeitung

Reise des FC Bayern:Vier Minuten für die Ewigkeit

Fliegen oder Nicht-Fliegen? Der FC Bayern kennt sich mit Minutenentscheidungen aus. Über die verwehrte Starterlaubnis zur Klub-WM echauffieren sich die Vereinsbosse vulkanisch - Joshua Kimmich gibt sich versöhnlicher.

Von Nico Fried, Berlin

Um vier Minuten ging es am Ende. Vier Minuten mehr oder weniger können im Fußball einen großen Unterschied bedeuten. Dem FC Bayern genügten einst sogar zwei Minuten, um ein gewonnen geglaubtes Champions-League-Endspiel noch zu verlieren. Seit der Nacht von Freitag auf Samstag ist nun klar, dass vier Minuten in Verbindung mit Fußball nicht nur über Sieg oder Niederlage entscheiden können, sondern auch über Fliegen oder Nicht-Fliegen.

Hansi Flick sagt am Tag danach, es sei "ärgerlich" gewesen, dass die Maschine mit der Mannschaft an Bord nach dem Spiel bei Hertha BSC Berlin nicht mehr vom Flughafen Willy Brandt, besser bekannt als BER, in Richtung Katar abheben konnte. "Ich war auch nicht gerade sehr amüsiert", berichtet der Bayern-Trainer am Sonntagmorgen in Doha. Und als wolle er klarmachen, dass es jedenfalls nicht an der Mannschaft oder auch nur an einem einzelnen Spieler gelegen habe, der in den Umkleidekabinen des Olympiastadions vielleicht mit dem Fönen nicht fertig geworden wäre, fügt Flick gleich hinzu: "Wir waren rechtzeitig im Flieger, rechtzeitig bereit."

Andererseits ist der entstandene Schaden auch überschaubar. Rund sieben Stunden hingen Mannschaft, Betreuer und Funktionäre im Flugzeug fest, ehe sie Qatar Airways-Flug 7402 inklusive eines ursprünglich nicht geplanten Zwischenstopps in München schließlich zur Fifa Klub-Weltmeisterschaft brachte. Das sei nicht die beste Vorbereitung, räumte Flick ein. "Aber letztendlich ist entscheidend, dass wir gut angekommen sind." Als Entschuldigung für eine defizitäre Leistung im Halbfinalspiel an diesem Montag gegen den ägyptischen Serienmeister SC Al Ahly werde man die holprige Anreise nicht gelten lassen.

Nach 24 Uhr gilt ein striktes Nachtflugverbot für Linienmaschinen

Es war 21:55 Uhr am Freitagabend, als mit dem Schlusspfiff der Bundesliga-Partie für die Bayern der Wettlauf mit der Zeit begann. Das Spiel war kurzfristig um eine halbe Stunde von 20.30 Uhr auf 20 Uhr vorverlegt werden, um eine rechtzeitige Ankunft am Flughafen zu gewährleisten. Die Maschine war zuvor bereits mit einem Teil der Delegation aus München nach Berlin geflogen. Der planmäßige Starttermin nach Doha war für 23.15 Uhr vorgesehen. Am neuen Flughafen BER gilt laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2011 nach 24 Uhr ein striktes Nachtflugverbot für Linienmaschinen.

Die Bayern hatten das Spiel dank eines abgefälschten Schusses von Kingsley Coman und mehrerer Glanztaten von Manuel Neuer mit 1:0 gewonnen. Neuer und Thomas Müller gaben schnelle Interviews, der Rest der Mannschaft ging in die Kabinen und machte sich reisefertig. Auch die Pressekonferenz mit Hansi Flick wurde im Eiltempo durchgezogen. Der Trainer beantwortete drei Fragen, der ganze Auftritt dauerte exakt zwei Minuten und 20 Sekunden. Der fünfte Bundesliga-Sieg in Folge sei eine gute Voraussetzung für die Reise nach Katar, sagte Flick. "Es wird ein schöner Flug. So haben wir uns das vorgestellt."

Gegen 22 Uhr 20 fuhren die beiden Vereinsbusse mit Mannschaft und Betreuern vom Gelände des Olympiastadions, das im Nordwesten Berlins steht. Anders als der inzwischen geschlossene Flughafen Tegel, zu dem es vom Stadion aus nur wenige Minuten gewesen wären, liegt der BER in Schönefeld, südostlich von Berlin und bereits auf Brandenburger Gebiet. Die Fahrzeit beträgt mindestens 45 Minuten. Wegen Schneefalls waren zudem die Straßenverhältnisse in Berlin am Freitagabend beeinträchtigt. Um 22:39 Uhr wurden die Busse auf der Berliner Stadtautobahn am Schöneberger Kreuz gesichtet, die Ankunft am Flughafen dürfte gegen 23:00 Uhr erfolgt sein.

Eine gute halbe Stunde später war die Mannschaft an Bord und die Maschine abgefertigt. Allerdings musste das Flugzeug noch enteist werden. Dabei werden die Tragflächen und das Leitwerk mit Frostschutzmittel abgesprüht. Der Airbus A350 in dem die Bayern saßen, hat eine Flügelspannweite von knapp 65 Metern, das Höhenleitwerk ist gut 18 Meter hoch. Es gab also viel Fläche zum Enteisen. Mehrere Spieler posteten noch Fotos in den sozialen Medien, mit denen sie unter dem Hashtag #Final Mission auf das bevorstehende Turnier in Katar hinwiesen, bei dem der FC Bayern den sechsten Titel in Folge gewinnen will.

Uli Hoeneß nennt den Vorgang einen "Skandal ohne Ende"

Anschließend wurde die Maschine vom sogenannten Finger, der das Flugzeug mit dem Flughafengebäude verbindet, weggeschoben und fuhr zur Startbahn. Gegen Mitternacht war die Maschine dann startbereit, wenn es nach den Bayern geht, war es da noch Freitagabend 23:59 Uhr, wenn es nach den zuständigen Brandenburger Behörden geht, war es bereits Samstagmorgen 00:03 Uhr. Vier Minuten für die Ewigkeit.

Sabine Deckwerth, Sprecherin des Flughafens, bestätigte später die Version des Vereins. Das Flugzeug habe um 23:59 Uhr "startbereit auf dem Rollfeld" gestanden. "Aus unserer Sicht sprach auch nichts dagegen, dass die Maschine wie geplant abhebt." Eng wäre es allerdings trotzdem geworden. Denn gegen das Nachtflugverbot verstößt ein Pilot nur dann nicht, wenn die Maschine Schlag Mitternacht bereits abgehoben hat. Allerdings teilte das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung, dem die Flugsicherung im Tower des BER untersteht, am Samstag ohnehin mit, die Bitte um Startfreigabe für den Bayern-Flug sei erst um 00:03 Uhr erfolgt. Da sei es zu spät gewesen. Auch eine Sondergenehmigung wurde nicht erteilt. Dafür hätte ein "erhebliches öffentliches Interesse" vorliegen müssen.

Wenn es nach Ehrenpräsident Uli Hoeneß gegangen wäre, der den Vorgang einen "Skandal ohne Ende" nannte, hätte ein solches öffentliches Interesse durchaus vorgelegen, schließlich würden die Bayern den deutschen Fußball bei der Klub-WM vertreten. Auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sieht seinen Klub auf nationaler Mission: "Man hätte schon berücksichtigen sollen, dass Bayern München als deutscher Verein für unser Land bei diesem Turnier in Doha antritt." Das Brandenburger Ministerium sieht sich hingegen in der Verantwortung für die Anwohner des Flughafens: Die Kernnacht von 00:00 Uhr bis 05:00 sei "eine Phase höchster Sensibilität".

Die mochte Rummenigge nicht aufbringen. "Wir fühlen uns von den zuständigen Stellen bei der brandenburgischen Politik total verarscht", hatte er schon in der Nacht via Bild-Zeitung gewütet. Die Verantwortlichen wüssten gar nicht, "was sie unserer Mannschaft damit angetan haben." Das konnte man dann am Sonntagmorgen in Doha bei Joshua Kimmich erfragen. "Natürlich war das alles ein bisschen suboptimal, gefühlt wurde uns ein Tag geklaut", sagte der Nationalspieler. Dennoch klang sein Fazit nicht so vulkanisch wie bei den Bossen. Man habe ja im Flugzeug die Beine etwas hochlegen und auch ein bisschen schlafen können. "Wir können Geschichte schreiben", fügte Kimmich hinzu. Aber da redete er schon wieder über Fußball und das bevorstehende Turnier.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5198730
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/hoe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.