Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Kimmich ist plötzlich wieder wichtig

Lesezeit: 3 min

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

So langsam muss sich zeigen, ob Carlo Ancelotti damals die Wahrheit gesagt hat. Letzten Sommer, als sich Pep Guardiola, inzwischen Trainer von Manchester City, um den talentierten Münchner Mittelfeldspieler Joshua Kimmich bemühte. Der FC Bayern wollte Kimmich nicht hergeben, "er ist sehr wichtig für uns", sagte Ancelotti damals, vor der Saison. Er stützte diese These dann aber kaum.

Nachdem Kimmich in der vergangenen Saison unter Guardiola noch 21 Pflichtspiele durchgängig absolviert hatte, hat er bei Ancelotti in der aktuellen Saison bislang bloß elf Mal vom Anfang bis zum Ende auf dem Platz gestanden. Kimmich ist unter Ancelotti längst nicht mehr so wichtig wie er es unter Guardiola war - aber jetzt, da es ans Eingemachte geht, könnte Kimmichs Stunde schlagen.

Vor dem Rückspiel bei Real Madrid ist die Frage bloß, ob Ancelotti ihn lässt.

Kimmich spielte in Leverkusen hervorragend

Und ob er ihn lassen muss. Die torlose Bundesligapartie am Ostersamstag in Leverkusen lieferte Indizien dafür, dass Kimmich am Dienstag einen Platz in der Startelf erhält - wenn die Münchner versuchen werden, die 1:2- Hinspiel-Niederlage noch in einen Halbfinal-Einzug umzuwandeln. Ancelotti bot eine Mannschaft auf, die der Schonung einiger Stammkräfte (Robben, Ribéry, Lahm, Alonso) ebenso Rechnung trug wie den Ausfällen von Robert Lewandowski (Gelbsperre), Mats Hummels und Jérôme Boateng (beide verletzt).

Kimmich spielte an der Seite von Arturo Vidal zunächst im defensiven Mittelfeld und machte seine Sache offensiv wie defensiv hervorragend. Er agierte so souverän wie im vergangenen Herbst, in dem ihm bis Mitte Oktober das Kunststück gelungen war, in zehn Pflichtspielen auch noch sieben Tore zu schießen. Trotzdem hatte Ancelotti ihn danach in die zweite Reihe verbannt. Der Italiener setzt im Zweifel lieber auf Erfahrung als auf Jugend.

Aber am Dienstag in Madrid könnte er Kimmich nun brauchen. Das Sprunggelenk von Hummels und die Adduktoren von Boateng könnten einen zweiten alternativen Innenverteidiger erforderlich machen, weil Javier Martínez nach seiner gelb-roten Karte aus dem Hinspiel gesperrt ist. Hummels und Boateng waren zwar beide in dem Flieger, der die Münchner am Montag nach Madrid brachte, "beide haben eine große Chance zu spielen", sagte Ancelotti auf der Pressekonferenz am Abend. Letztendlich wird über ihren Einsatz kurzfristig entschieden.

Das Spiel in Leverkusen jedenfalls diente zu einer personellen und taktischen Versuchsanordnung, innerhalb derer in der 72. Minute eine spektakuläre Rotation zu besichtigen war. Die eingewechselten Lahm und Alonso besetzten fortan die Doppel-Sechs im defensiven Mittelfeld. Thiago übernahm für den ausgewechselten Douglas Costa die linke Außenbahn und Vidal für Thiago als Zehner das zentral- offensive Mittelfeld. Kimmich rückte als Innenverteidiger nach hinten an die Seite von David Alaba - die beiden hatten auf dieser Position in der Vergangenheit schon öfter als Duo ausgeholfen. Dass auch dieser offenbar schon vor dem Spiel abgesprochene Komplettumbau nicht half, gegen nur noch zehn Leverkusener ein Tor zu schießen, war für die Münchner bedauerlich, aber mitnichten ein Grund, fürs Real-Spiel Panik zu schüren.

Damit nach Möglichkeit schon zwei Treffer genügen, sollten die Münchner hinten dichthalten. Wie Ancelotti mit diesem Ansinnen seine Defensive zu besetzen beabsichtigt, hängt von ärztlichen Bulletins ebenso ab wie von den Gedanken des Italieners. Lahm hinten rechts ist gesetzt, ebenso Alaba, der entweder hinten links oder in der Innenverteidigung spielt. Was, wenn Hummels und/oder Boateng ausfallen? "Kimmich wäre die natürliche Option, er ist daran gewöhnt, dort zu spielen. Aber: Schau'n mer mal." "Dafür haben wir einen Trainer, der die Mannschaft aufstellt", hatte Philipp Lahm in Leverkusen auf die Frage geantwortet, wie der FC Bayern am stärksten wäre. "Aber eins ist klar: Wir werden eine Mannschaft aufs Feld bringen, in der jeder Einzelne Champions-League-Qualität hat."

Diese Tauglichkeit muss Kimmich nicht mehr nachweisen. Der Schwabe, der bis 2013 beim VfB Stuttgart und danach auf Leihbasis zwei Jahre für Leipzig in der dritten und zweiten Liga gespielt hat, ist 2015 auf expliziten Wunsch Guardiolas für geschätzte 8,5 Millionen Euro nach München geholt worden. Kimmich sagte damals: "Ich wechsle doch nicht zu einem Verein, von dem ich glaube, dass ich dort keine Rolle spiele, das wäre ja total sinnlos."

Und er spielte dann ja auch eine Rolle. Die Sinnhaftigkeit des Wechsels steht außer Frage: In der Nationalelf etwa ist Kimmich seit der EM 2016 eine feste Größe - als Rechtsverteidiger. Jetzt müsste er seine Wichtigkeit auch im Klub mal wieder nachweisen dürfen.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2017
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