FC Bayern in Madrid:War Vidal in der Schiedsrichterkabine?

Wie aber haben die Bayern diese Niederlage ertragen? Jedenfalls sah sich der Klub am Tag danach veranlasst, die in die Welt gesetzte Behauptung zurückzuweisen, ein Münchner Trio mit Arturo Vidal, Thiago und Lewandowski habe die Schiedsrichterkabine gestürmt. Richtiger sei vielmehr, so die Auskunft der Madrider Polizei, Kassai haben die Security alarmiert, weil ein Bayern-Profi den Fuß in die Tür gestellt habe. Die Zeitung Marca schrieb zudem, Bayern-Profis hätten Kassai im Spielertunnel "auf jede mögliche Art beleidigt". Der FC Bayern wies dies als unwahr zurück und drohte Marca mit rechtlichen Schritten.

Unstrittig ist, dass Vidals gelb-rote Karte in der 84. Minute, als es bereits nach Verlängerung roch, die Partie zum Kippen brachte aus Sicht der Münchner, die sich ja schon beim 1:2 im Hinspiel eine halbe Stunde lang zu zehnt der Madrider Angriffswucht entgegenstemmen mussten, am Ende vergeblich. Tatsächlich hatte Vidal bei seiner wilden Grätsche gegen Marco Asensio erst den Ball erwischt und dann das Bein. Aber das war vorher auch ein paar Mal andersrum gewesen; spätestens Anfang der zweiten Halbzeit hätte Kassai den chilenischen Krieger zum Duschen schicken können. Die Wahrheit auf dem Platz ist manchmal vielschichtiger als die Empörung vor den Kameras.

Frühestes Aus seit 2011

Trainer Felix Magath

2004/05 Viertelfinale FC Chelsea (2:4/3:2)

2005/06 Achtelfinale AC Mailand (1:1/1:4)

Trainer Ottmar Hitzfeld

2006/07 Viertelfinale AC Mailand (2:2/0:2)

2007/08 Europa League

Trainer Jürgen Klinsmann

2008/09 Viertelfinale FC Barcelona (0:4/1:1)

Trainer Louis van Gaal

2009/10 Finale Inter Mailand (0:2)

2010/11 Achtelfinale Inter Mailand (1:0/2:3)

Trainer Jupp Heynckes

2011/12 Finale FC Chelsea (i. E. 3:4/1:1)

2012/13 Finalsieg Borussia Dortmund (2:1)

Trainer Pep Guardiola

2013/14 Halbfinale Real Madrid (0:1/0:4)

2014/15 Halbfinale FC Barcelona (0:3/3:2)

2015/16 Halbfinale Atlético Madrid (0:1/2:1)

Trainer Carlo Ancelotti

2016/17 Viertelfinale Real Madrid (1:2/ nV2:4)

Überhaupt, Vidal: Womöglich wird sich der Trainer Ancelotti jetzt auch fragen, ob er nicht besser den rot-gefährdeten Heiß-sporn ausgewechselt hätte anstelle von Xabi Alonso, um in Thomas Müller einen zweiten Angreifer zu bringen.

Real soll von der Schiedsrichter-Ansetzung gewusst haben

So trotteten nun im Stadionuntergeschoss nacheinander all die geschlagenen Bayern-Profis herbei, über die Rummenigge gerade im TV berichtet hatte, die Mannschaft liege in der Kabine "in Trümmern". Na ja, in Trümmern. "Ein bisschen martialisch", fand das der Verteidiger Mats Hummels, "aber klar, wir sind schon sehr enttäuscht". Da habe man "die letzten Reserven" aufgebracht - und dann erwische der Schiedsrichter "so einen eklatant schlechten Tag". Freundlich formuliert. Thomas Müller fand, Kassai habe schon "extrem eingepfiffen" in den Spielverlauf, und Arjen Robben nannte es "einen Wahnsinn, wenn ein Spiel entschieden wird durch solche Fehlentscheidungen". Ancelotti forderte auf der Pressekonferenz von der Uefa, entweder bessere Referees zu schicken oder den Videobeweis einzuführen. Was er den Ungarn nach dem Abpfiff gesagt habe? Trockene Antwort: "Good job!" Wenigstens ein bisschen Gelächter gab es da. Ancelotti lachte aber nicht mit.

Um Vidals Hinausstellung ging es bei diesen Klagen auch. Vor allem aber um die Ronaldo-Tore in der 105. und 109. Minute, die den Münchnern jede Hoffnung nahmen - nachdem sie erst durch einen Elfmeter von Lewandowski in Führung gegangen waren (53.) und kurz nach Ronaldos Ausgleich (76.) das 2:1 erzwungen hatten, ein Eigentor von Sergio Ramos (78.). Beim 2:2 stand Ronaldo sehr eindeutig im Abseits, aber auch nur sehr kurz, weil Douglas Costa die Verfolgung aufnahm. Das 3:2? Auch Abseits. Aber nicht so klar, wie Rummenigge behauptete. Nicht mal der Kommentator im FC-Bayern-TV hatte es gesehen. Und wie sehr man sich manchmal hineinsteigern kann in eine selektive Wahrnehmung, zeigte sich, als Hummels später von den Reportern mitgeteilt bekam, dass auch Lewandowski vor Ramos' Eigentor im Abseits stand. "Echt?", fragte Hummels, ehrlich erstaunt. Nun, das wäre dann ja "wenigstens ein schwacher Trost".

Sind die Bayern also "beschissen worden"? Bewusst verpfiffen? Wenn sie darauf Hinweise haben, sollten sie ein bisschen konkreter werden. Was zu hören ist: dass Real-nahe Kreise bisweilen schon vor der offiziellen Ansetzung durch die Uefa wissen - oder vorgeben zu wissen -, wer ihr Spiel leiten wird. Ein solcher Fall aus dem Jahr 2013 ist bei der Uefa aktenkundig und führte zu einem kurzfristigen Austausch. Und wenn man jetzt annimmt, dass auch die Bayern das wissen, sieht man manchen bösen Satz in einem etwas anderem Licht. Bisher konnten sie sich über Schiedsrichter ja eher nicht beschweren.

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