Süddeutsche Zeitung

Form des FC Bayern:Suche nach der Leichtigkeit

Achtelfinale in der Champions League erreicht, den nächsten Rekord eingestellt - und trotzdem sind nach dem 1:0 in Pilsen nicht alle beim FC Bayern zufrieden. Kapitän Lahm mault sogar ein bisschen. Die Münchner Seriensieger müssen erkennen, dass knappe Erfolge ihren hohen Ansprüchen nicht mehr genügen.

Von Jonas Beckenkamp, Pilsen

Die treffendste Analyse lieferte an diesem frostigen Herbstabend in Pilsen wieder einmal Thomas Müller, der alte Schlawiner. Besonders viel war dem sonst so gewieften Offensiv-Freigeist des FC Bayern gegen Pilsen nicht gelungen - selbst das Siegtor durch Mario Mandzukic nach einer guten Stunde hatte er verpasst. "Ich war da schon unter der Dusche, aber es wird schon ein schöner Treffer gewesen sein", sagte Müller mit einem Grinsen. Der deutsche Nationalspieler war jener Münchner, der kurz zuvor für Mandzukic weichen musste. Man könnte also feststellen: Kaum ist Müller vom Feld, fällt das 1:0 für die Bayern.

Doch solche Gemeinheiten gebieten sich nicht gegenüber einem wie Müller, der ja sonst stets vieles richtig macht. Der 1:0-Auswärtssieg beim tschechischen Meister war einer dieser Erfolge, an die man sich schon in drei Wochen kaum noch erinnern wird. Pilsen? War da nicht ein lockerleichtes 5:0 und danach noch irgendein umwehtes Gewürge im tiefsten November? So könnte es sich rückblickend anhören - bei Thomas Müller klang es im konkreten Fall so: "Es war heute nicht der Auftritt, den wir uns gewünscht hatten. Uns fehlt ein bisschen die Leichtigkeit im Moment."

Damit lag der 24-Jährige natürlich völlig richtig. Mit Mühelosigkeit hatte das Gekicke von Pep Guardiolas Männern gegen biedere Tschechen wenig zu tun, vielmehr wirkte ein Großteil der Aktionen hölzern, manche sogar bleiern. Bestes Beispiel dafür war das Mittelfeld um Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger und Mario Götze, die vor allem zu Beginn mit recht überschaubarer Durchschlagskraft ihrer Arbeit nachgingen. "Wir müssen es wieder hinbekommen, dass wir vor allem am Anfang besser agieren", sagte Philipp Lahm, den Guardiola anstelle des auf die Bank verbannten Javi Martinez erneut als Sechser aufbot.

Speziell nach vorne hakte einiges im Bayern-Spiel, das wie schon zuletzt gegen Hoffenheim nicht so raffiniert und gleichzeitig brachial wirkte wie noch vor einigen Wochen. Kapitän Lahm nahm den kleinen Durchhänger zum Anlass für ein wenig Generalkritik: "Wenn man so viele Spiele gewinnt, glaubt man manchmal, dass es von selbst geht - so läuft es aber nicht." Zahlreiche Partien haben die Münchner ja tatsächlich gewonnen, allein in der Champions League sind es jetzt saisonübergreifend neun hintereinander - und das gegen durchaus illustre Gegner wie Juventus Turin, Barcelona, Dortmund oder ManCity.

Zuletzt hatte es in der Königsklasse in der Saison 2002/2003 mit Barca einen neunmaligen Seriensieger gegeben. Guardiola sah sich in Pilsen angesichts der Münchner Rekord-Rallye dazu bemüßigt, explizit auch seinen Vorgänger Jupp Heynckes mit einzubeziehen. "Ich bin Jupp sehr dankbar, denn er hat die Hälfte dieser Serie möglich gemacht." Anders als die Spieler wollte der Katalane nicht zu sehr in die Selbstkritik einsteigen, schließlich hatte seine Mannschaft soeben den Einzug ins Achtelfinale problemlos bewerkstelligt. Mit vier Siegen in vier Partien.

"Wir sind in der Champions League die einzigen mit zwölf Punkten nach vier Partien. Wir gewinnen immer, das beweist, wie stark diese Spieler im Kopf sind", lobte Guardiola, ehe er den miefigen Presseraum des Pilsener Stadiongemäuers verließ. Dass es bis zu Mandzukics Kopfballtreffer (65. Minute) nach feiner Flanke von Lahm reichlich Leerlauf bei den Bayern gegeben hatte, schien den Fußballlehrer nicht zu stören. Doch die Münchner befinden sich offensichtlich in einer kleinen Bredouille: Einerseits rauschen sie von Erfolg zu Erfolg und nur der heilige Fußballgott weiß wohl, wann es wieder einmal eine Pleite setzt (die Bayern haben seit 36 Spielen in der Bundesliga nicht mehr verloren).

Andererseits sind die Ansprüche an Guardiola und sein Elite-Ensemble mittlerweile schon so hoch, dass ein 1:0 oder 2:1 eben keine sonderlich intensiven Glücksgefühle mehr auslöst. So blieb es letztlich Matthias Sammer überlassen, den allgemeinen Gemütszustand einzuordnen. "Wir befinden uns in einem Entwicklungsprozess. Die Ergebnisse sind sehr gut, aber wir haben hier und da noch Schwierigkeiten. Darüber müssen wir reden", sagte der auffällig gesprächige Sportvorstand.

Und dann folgte einer jener Sammer-Sätze, die in ihrer Verschrobenheit auf herrliche Art das Undurchschaubare des Fußballs herauskehren: "Dieser Prozess ist nicht immer von totaler Stabilität begleitet." Schöner hätte es Thomas Müller auch nicht sagen können.

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