FC Bayern:Ein irritierender Spannungsabfall

Lesezeit: 4 min

Streichelt den Ball, wenn er ihn mal treten müsste: Philippe Coutinho. (Foto: imago images/Lackovic)

Im DFB-Pokal bricht der FC Bayern nach imposanter Leistung in der zweiten Hälfte ein. Vor dem Duell mit Leipzig stellt sich die Frage: War das nur ein Versehen? Oder ist der Kader zu schmal?

Von Christof Kneer, München

Seinen Spielern hat Hansi Flick freigegeben, aber er selbst ist am Donnerstag wieder zur Arbeit gegangen. Ein Cheftrainer beim FC Bayern ist ja immer im Dienst, auch wenn in München eine vorzügliche Sonne scheint. Flick hat am Mittag an der Säbener Straße ein bisschen Fußball geschaut, erst das Pokal-Achtelfinale des FC Bayern gegen die TSG Hoffenheim, von dem er aufgrund eines glücklichen Umstandes schon vorher wusste, wie es ausgeht (4:3 für den FC Bayern). Der glückliche Umstand war, dass das Spiel am Vorabend unter Flicks maßgeblicher Mitwirkung bereits stattgefunden hatte.

Danach hat sich Flick noch eine Halbzeit Leipzig angesehen, nicht das Pokalspiel aus dieser Woche, er hat ein altes Spiel aus dem Archiv geholt. Am Sonntag empfangen die Bayern den Rivalen aus Leipzig, und Flick hat unter anderem interessiert, mit welchen Mitteln die Leipziger im Oktober gegen Leverkusen versucht haben, die Leverkusener Verteidigung zu überlisten.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Müller ist immer und überall dabei

Der Angreifer prägt die Partie. Gnabry beweist, dass er zu 100 Prozent fit ist. Pavard verdaddelt fast den Sieg. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Christopher Gerards

Vergleichbar hoch wie Leverkusens Abwehr steht in der Liga ja nur noch eine andere Abwehr, die des FC Bayern unter Flick, aber das Unpraktische an solchen Spähaktionen ist ja, dass man nie weiß, ob sie sich am Ende gelohnt haben werden. Niemand weiß, ob Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann dieselben Ideen anspringen werden wie im Herbst oder ob er eine völlig neue List ersinnt. Praktisch ist aber immerhin: Auch für Nagelsmann wird es nicht reichen, einfach nur Bayerns 4:3 gegen Hoffenheim anzuschauen. Nagelsmann sollte sich zumindest nicht darauf verlassen, dass die Bayern wieder die letzte halbe Stunde eines Spiels ignorieren.

"Es kann schnell mal in die andere Richtung gehen, wenn wir nicht am Limit spielen"

Über die zweite Halbzeit werde man "unbedingt noch mal reden müssen", hatte Flick schon direkt nach dem 4:3 (3:1) gesagt und dabei etwas irritiert gewirkt. Er hatte ja ein eigenartiges Fußballspiel gesehen, jedenfalls ab der 60. Minute. Bis dahin hatten die Bayern nach Treffern von Hübner (Eigentor, 13.), Müller (20.) und Lewandowski (36.) auf imposante Art unzerstörbar gewirkt, erst recht bei einem Gegner, der technisch ganz nett spielte, wobei "nett" an diesem Abend die wirklich sehr kleine Schwester von "harmlos" war.

"Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Hoffenheimer zwingend noch mal zurückkommen wollen", sagte Joshua Kimmich, "wir haben sie wieder ins Spiel zurückgeholt."

Wie genau das passierte, wusste nachher keiner mehr zu sagen, die Bayern hatten gar nichts Besonderes gemacht, aber das war vermutlich genau das Problem. Sie hatten zu wenig gemacht.

"Es kann schnell mal in die andere Richtung gehen, wenn wir nicht am Limit spielen", folgerte Kimmich also, "vielleicht war es vor dem Leipzig-Spiel ganz gut, dass wir merken, dass es nicht von alleine geht." Er meinte gewiss dasselbe wie Thomas Müller, der davon sprach, "dass wir jeden Gegner unter Druck setzen können, wenn wir alle gemeinsam arbeiten, wenn wir zu 100 Prozent alles raushauen". In der letzten halben Stunde haben die Bayern eher so 76,5 Prozent rausgehauen, und auch das nicht immer unbedingt gemeinsam.

Flicks Idee einer aktiven Vorwärtsverteidigung beruht auf Gruppenarbeit und hundertprozentiger Intensität, und mit zunehmender Spieldauer war beides in Auflösung begriffen: Die Gruppe wurde vor allem nach den späten Auswechslungen immer mehr zum Grüppchen, und die Intensität tendierte zunehmend in Richtung Philippe-Coutinho-Niveau. Der Brasilianer hatte selbst in der dominanten Bayern-Stunde mitunter wie ein verirrter Künstler gewirkt, aber er wurde vom zielstrebigen und straff organisierten Bayern-Kollektiv zunächst noch mitgezogen. Zumindest an diesem Abend brauchte man aber eine Menge Fantasie, um sich einen FC Bayern vorzustellen, der im Sommer Coutinhos 120-Millionen-Euro-Kaufklausel bedient. Weniger Fantasie brauchte es, um zu begreifen, warum dieser über die Maßen veranlagte Spieler weder in Barcelona noch in Liverpool zum unverzichtbaren Faktor geworden ist: Weil er den Ball auch streichelt, wenn er ihn mal treten müsste; weil er Pässchen spielt, wenn ein Pass besser wäre; weil er das Spiel manchmal auf ein Tempo herunterbremst, das er für seine Streicheleinheiten und Pässchen braucht.

Vor allem in den letzten zehn Spielminuten, als die jungen Joshua Zirkzee und Michael Cuisance sowie Winterzugang Alvaro Odriozola auf dem Feld standen, hätte der FC Bayern zur Unterstützung der Neuen die Autorität eines Weltstars gebraucht; so aber gingen die Münchner dem Spiel vollends verloren, und sie durften sich trotz Lewandowskis vorübergehendem 4:1 (80.) am Ende glücklich schätzen, einer Verlängerung entgangen zu sein.

Pokal-Erfolg gegen Hoffenheim
:Die Bayern spielen erst überlegen, dann selbstverliebt

Der FC Bayern gewinnt im DFB-Pokal 4:3 gegen die TSG Hoffenheim. Dass es am Ende noch einmal spannend wird, liegt daran, dass die Münchner irgendwann zu selbstsicher auftreten.

Aus dem Stadion von Benedikt Warmbrunn

Hoffenheim nimmt Bayerns Einladung an

Okay, okay, ihr Bayern, wenn ihr meint, dass wir noch eine Chance haben sollen, dann versuchen wir's halt mal: Ziemlich genau das dürften sich die überraschten Hoffenheimer gedacht haben, als sie den Münchner Spannungsabfall endgültig begriffen. Sofort bewies der eingewechselte Munas Dabbur, warum er in seinen Salzburger Tagen als krasser Torjäger galt, er legte zwei Treffer nach (82., 90.+2), einen weiteren verpasste er knapp. "In einer Verlängerung wäre es noch mal eng geworden", meinte Kimmich - zumal dann nicht mehr die weit gereisten Lewandowski, Müller und Boateng auf dem Platz gestanden hätten, sondern Zirkzee, Cuisance und der recht hektisch wirkende Odriozola.

Perspektivisch wird das die zentrale Frage sein: War diese zweite Halbzeit nur ein Versehen, ist sie den Bayern aufgrund ihrer absurden Überlegenheit halt so rausgerutscht wie am Wochenende in Mainz? Oder lässt der Niveauverfall tiefer blicken, erlaubt er Zweifel an der Wettbewerbshärte dieses immer noch sehr schmalen Kaders? So viele kampferprobte Alternativen wird Flick jedenfalls nicht finden, wenn er sich in der 60. Minute eines Champions-League-Rückspiels auf seiner Bank umsieht. Und es ist ja auch noch nicht erwiesen, wie Flick selber unter Hochdruck reagiert: ob es ihm im Bedarfsfall gelingt, in der 60. Minute eines solchen Champions-League-Rückspiels gegenzusteuern.

Der FC Bayern aus der ersten Halbzeit des Hoffenheim-Spiels kann gegen sehr viele Mannschaften auf der Welt gewinnen, so viel steht fest. Der FC Bayern der zweiten Halbzeit sollte allerdings nicht gegen RB Leipzig antreten.

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FC Bayern im DFB-Pokal
:Weckruf vor dem Leipzig-Spiel

Der FC Bayern zieht ins Pokal-Viertelfinale ein - als einziger Favorit. Nach dem 4:3 gegen Hoffenheim hat Trainer Flick allerdings Redebedarf.

Aus dem Stadion von Christopher Gerards

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: