Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Fast täglich der Tritt ins Coronanäpfchen

Hansi Flick ärgert sich über Karl Lauterbach und Karl-Heinz Rummenigge will sich vordrängeln: Die Politik kann den Fußball gerade vortrefflich nutzen - zur Ablenkung von eigenen Versäumnissen.

Kommentar von Philipp Schneider

Am Sonntag saß Hansi Flick an der Säbener Straße, in der Machtzentrale des FC Bayern, Deutschlands führendem Klub für Fußballaktivitäten. Flick saß in dem kleinen Raum für die Pressekonferenzen, in dem er früher leibhaftige Menschen sah, und wo er nun seit geraumer Zeit nur noch eine Videokamera trifft, durch die er mit der Welt kommuniziert.

Was keiner der zugeschalteten Journalisten ahnte: Flick saß zwar dort, als Trainer, der mit dem Gewinn der Klub-WM in Katar soeben den größten Pokalcoup vollendet hatte in der Geschichte des Rekordmeisters. Gedanklich aber, so soll man Flick nun verstehen, sei er 340 Kilometer entfernt gewesen. In Bammental, einem 6500-Einwohner-Städtchen zwischen Heidelberg und Sinsheim. Da wähnte er sich hinter dem Tresen eines im Lockdown zugesperrten Sportgeschäfts und blickte womöglich traurig auf dessen Prunkstück, eine nunmehr von Kunden befreite Kaffeetheke. Denn dort, in seiner Fantasie, war er wieder der Geschäftsführer von "Hansi Flick Sport und Freizeit" und ärgerte sich ganz fürchterlich über Karl Lauterbach. So sehr, dass er den SPD-Politiker, der nach seinem Studium der Humanmedizin in Harvard Epidemiologie vertiefte, einen "sogenannten Experten" nannte.

Nun hat Lauterbach nicht einmal in der Fantasie jenen Laden zugesperrt, den Flick vor vier Jahren aufgab. Das waren die Kanzlerin und die Länderchefs. Aber wenn man Flick richtig versteht, dann hat Lauterbach mit dem zweifelsfrei von ihm praktizierten Talkshow-Tourismus seit Ausbruch der Pandemie eine Position bezogen, die wenig lösungs-, sondern vielmehr zusperrfixiert ist. Der Besitzer eines Geschäfts für Sportbekleidung darf das so sagen. Auch der Trainer des FC Bayern. Aber der darf sich dann nicht wundern, wenn seine Aussage einen nimmermüden, teils schrägen Chor von Meinungen heraufbeschwört.

Den R-Wert der Debatte auf unter eins drücken

Kurz reingehört, wer aktuell mitschnabelt: Ah! Außer einem Fußballtrainer und einem Epidemiologen ist auch noch der Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki in die Bütt gestiegen: "Fußballtrainer dürfen Politiker kritisieren, Politiker dürfen aber auch Fußballtrainer kritisieren", sagt er. Alles kein Problem also? Doch! Denn "die Unerbittlichkeit in der Debattenkultur" bereitet Kubicki mittlerweile "große Sorgen". Vielleicht nicht die schlechteste Idee, dass Lauterbach und Flick nun beschlossen haben, den R-Wert dieser Debatte mit Hilfe einer privaten Aussprache auf unter eins zu drücken, bevor sie weiter um sich greift.

Flick hat seine freche Kritik in einem emotionalen Moment kundgetan, das mag man ihm nachsehen. Dass der eigentlich zum Feiertag Sechs-Pokale-Empfängnis prädestinierte Trip der Bayern nach Katar zum PR-Problem in Corona-Fragen wurde, ist mehr dem Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zuzuschreiben. Der versuchte, seine Fußballer mit dem jetzt schon legendären Satz "Wollen uns nicht vordrängen, aber ..." in der Impfschlange nach vorne zu drängeln. Zu einem Zeitpunkt, als noch längst nicht alle Großmütter wussten, wann sie eine Dosis erhalten. Und in einem Moment, als die Politik damit beschäftigt war, aufzuarbeiten, warum sie im Sommer nicht die Idee hatte, eine Strategie für Schulöffnungen in ansteckenden Zeiten zu entwerfen. Oder Schnelltests für Altersheime zu bestellen. Oder ausreichend Impfstoff. Oder eine App zu entwickeln, die zur Kontaktnachverfolgung taugt und nicht nur zum Scherze machen.

Der FC Bayern steht in der Mitte der Gesellschaft, die Äußerungen seiner Protagonisten finden absurd hohe Aufmerksamkeit. Und weil der FC Bayern fast täglich ins Coronanäpfchen tritt, geht ein Fakt ein bisschen unter: Die Politik kann den Fußball gerade ganz vortrefflich nutzen. Zur Ablenkung von den eigenen Versäumnissen. Aber die hat nicht Karl Lauterbach zu verantworten.

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