FC Bayern:Gute Laune im Wunderland Bavaria

  • Vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen den FC Arsenal gleichen die Münchner einer Gute-Laune-Männergruppe.
  • Niemand glaubt daran, dass der FC bayern das 5:1 aus dem Hinspiel noch verspielen könnte.
  • Trainer Carlo Ancelotti und Stürmer Thomas Müller versuchen, die spürbare Wandlung der Mannschaft zu erklären.

Von Thomas Hummel, London

Zunächst einmal zum Metaphysischen, Extraterrestrischen, irdisch Undenkbaren: Kann der FC Bayern München nach seinem 5:1-Sieg im Hinspiel gegen den FC Arsenal noch aus der Champions League ausscheiden? Ha! Da sind die Leute bei Thomas Müller an den Richtigen geraten. "Wir brauchen jetzt nicht an irgendeinen Hokuspokus denken", antwortete der Stürmer nach der Anreise nach London. Ihr Engländer, ihr mögt ja an Peter Pan, Mary Poppins oder Harry Potter glauben. Aber bei uns in Oberbayern, da kommt höchstens der Krampus einmal im Jahr daher, und wenn der zu frech wird, kriegt er vom Müllerthomas und dem eingebürgerten Ribéry zwei übergebraten.

Damit war das Thema "Mögliches Ausscheiden im Champions-League-Achtelfinale" im Großen und Ganzen geklärt. Okay, Thomas Müller stand einmal in seinem bislang 27 Jahre währenden Leben auf dem Fußballfeld, als ein Vier-Tore-Vorsprung verspielt wurde. "Das muss ein Quali-Spiel in Berlin gewesen sein", fabulierte er. Die Worte Deutschland, Schweden, 4:4, Oktober 2012 wollte er lieber nicht aussprechen. Später am Montagabend musste auch sein Trainer Carlo Ancelotti im Bauch des Londoner Stadions in unliebsamen Erinnerungen kramen. Mit dem AC Mailand hatte der Italiener 2004 in La Coruna nach einem 4:1 im Hinspiel 0:4 verloren. Und ein Jahr später im Champions-League-Finale gegen Liverpool nach einem 3:0 zur Halbzeit am Ende das Elfmeterschießen verloren.

"Ich habe versucht, das zu vergessen", sagte Ancelotti und grinste, "aber ich schaffe es nicht." Der Italiener interpretiert seine historischen Pleiten als Inbegriff des Spiels: "Das ist die Schönheit des Fußballs: Im Fußball weißt du nie." Was einem Thomas Müller selbstredend nicht in den Sinn kommt. Das 4:4 damals war mit der Nationalmannschaft, erklärte er, "aber wir sind ja jetzt beim FC Bayern". Eine Niederlage mit vier Toren ist bei den den Münchnern so außerhalb jeder Vorstellung wie ein Jahr Aufenthalt im Sack des Krampus.

Aber die Wahrscheinlichkeit einer derart deutlichen Niederlage in London ist auch kaum gegeben. Gegner FC Arsenal hatte sich mal wieder als Leichtgewicht vorgestellt vor drei Wochen in München und befindet sich seither im Stadium der fortschreitenden Selbstauflösung. Wer in London Heathrow landet, dem strahlen kurz nach der Passkontrolle drei kernige bayerische Mannsbilder mit vollen Biergläsern und Trachtenhüten auf einer Werbetafel entgegen: "Bavarian for: Social Network" - Bayern als führender Standort für IT-Bereiche - und natürlich "Bavarias unique lifestyle and high quality of life". Soll heißen: All ihr hochqualifizierten Briten, kommt ins Wunderland Bavaria. Da ist alles besser, die Fußballer sowieso.

Diese Bavarian Kicker gleichen in diesen Tagen einer Gute-Laune-Männergruppe, die sich einmal im Jahr zum Betriebsausflug nach London aufmacht, um dort ein paar lustige Tage zu verbringen. Mats Hummels kippte sich noch in München auf dem Weg zum Bus den Kaffee über den Maßanzug, was dem Müllerthomas ein, nun ja, dreckiges Lachen entlockte. Bei der internationalen Pressekonferenz wollte Müller den Franzosen Franck Ribéry überreden, die englische Übersetzung über den Kopfhörer zu nutzen, "dann wird's lustig" (was dieser leider ablehnte). Und beim Abschlusstraining schallte beim Acht-gegen-Zwei, dem sogenannten Kreisspiel, das Gejohle der Profis durchs ganze Stadion, wenn mal einem in der Mitte fast schwindlig wurde, weil er den Ball nicht erhaschen konnte.

Alles funktioniert derzeit so perfekt, dass viele ans Triple denken

Die Stimmung in London ist die Fortsetzung der Entwicklung, mit der seit einigen Wochen alles plötzlich wieder so leicht aussieht, so flockig. Gleichzeitig wuchtig und unwiderstehlich. 3:0 in Köln, 3:0 gegen Schalke, 8:0 gegen den HSV, 5:1 gegen Arsenal - wer gesehen hat, wie zäh die Münchner zuvor in der Saison oft ihre Siege errungen hatten, der kann nur Staunen angesichts der Wandlung. Wie also, Signore Ancelotti, haben Sie es geschafft, dass Ihre Mannschaft jetzt am Anfang der entscheidenden Saisonwochen so gut in Form ist?

Ancelottis Antwort kam umgehend. "Wir sind physisch gerade sehr gut drauf. Wir haben hart gearbeitet in der Winterpause, das bringt jetzt viel Energie in die Mannschaft", sagte er. Dazu brächten die Spieler eine professionelle Einstellung mit, "wir spielen jetzt natürlicher miteinander als zuvor". Harte Arbeit, gute Einstellung, Ende der Eingewöhnungszeit - ein Lob, das sich mehr nach den Werten einers Werner Lorant anhörte als nach Swinging London.

Auch Thomas Müller sieht in der Entwicklung nichts Ungewöhnliches. Für einen neuen Trainer sei es wichtig, seine Mannschaft eine Zeit lang zu beobachten. "Um ein Gefühl zu kriegen, was am besten funktioniert. Wie reagieren die Spieler in verschiedenen Momenten?" So habe Ancelotti Anpassungen vorgenommen, "taktisch und wie er mit uns spricht". Ist der nette Signore Ancelotti vielleicht strenger geworden? "Nein, er ist immer noch die gleiche elegante Person und der Supertyp wie vorher auch." Team und Trainer hätten einfach besser zusammengefunden.

FC Bayern Muenchen Training Session and Press Conference

Thomas Müller bei der Pressekonferenz des FC Bayern.

(Foto: Getty Images)

Das alles funktioniert derzeit so perfekt, dass viele beim FC Bayern ans Triple denken - Sieg in der Bundesliga, in Pokal und Champions League. Noch drei Monate, bis zum Finale in Cardiff, muss das Hochgefühl anhalten, dann erscheint alles möglich. Auch, weil zum Vergleich zu den vergangenen Jahren bald das gesamte Personal zur Verfügung stehen könnte. Verteidiger Jérôme Boateng soll nach seiner Brustmuskelverletzung am Wochenende zurückkehren. Torhüter Manuel Neuer konnte zwar am Montag nicht trainieren und wurde im Hotel am Rücken behandelt, wird aber laut Ancelotti spielen können in London. Und Defensivspezialist Philipp Lahm hat sich ja beim Stand von 4:1 in München wohlweislich eine gelbe Karte abgeholt, ist also in London gesperrt, aber im Viertelfinale wieder spielberechtigt.

Was soll da noch schiefgehen? Vielleicht doch irgendein Hokuspokus? Im Wunderland Bavaria glaubt daran derzeit niemand.

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