BundesligaDer FC Bayern braucht ein Überfallkommando

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Zwei Tore gegen Fürth: Auf Robert Lewandowski war bei den Bayern wieder Verlass.
Zwei Tore gegen Fürth: Auf Robert Lewandowski war bei den Bayern wieder Verlass. (Foto: Michaela Rehle/AFP)

Nach Pfiffen in der Halbzeitpause drehen die Münchner die Partie gegen den Tabellenletzten Fürth und gewinnen 4:1 - doch viele Fragen bleiben.

Aus dem Stadion von Philipp Schneider, München

Sieht so einer aus, der Bayern München ausstrahlt? Seine Mannschaft solle ja endlich wieder "Bayern München ausstrahlen", das hatte der Trainer Julian Nagelsmann vor der Partie angekündigt. Nun war die Frage, was das bedeuten sollte. Eine Antenne hatte sich Robert Lewandowski jedenfalls nicht auf den Kopf geschnallt, als er kurz vor dem Halbzeitpfiff zu einem Spurt ansetzte, wie man ihn vielleicht noch nie von ihm gesehen hat. Der Stürmer Lewandowski, der eigentlich nur eine Richtung kennt in seinem Spiel, er wetzte nun in die andere. Der Weltfußballer rannte und rannte tatsächlich über das halbe Feld in Richtung seines Torwarts Sven Ulreich, um auf Höhe der Mittellinie einen Ball vor Branimir Hrgota abzufangen. Dem konternden Frankenfußballer. Was für eine Szene.

Aber man musste Lewandowski seinen ungewöhnlichen Defensiveifer nachsehen. Hatte doch just dieser Branimir Hrgota kurz zuvor das eigentlich Undenkbare in die Tat umgesetzt: Er hatte die Spielvereinigung Greuther Fürth mit einem Freistoß gegen eine Mannschaft in Führung geschossen, die mal wieder vieles ausstrahlte - aber doch nicht den FC Bayern München. Das Knie von Marcel Sabitzer, der in der Mauer in die Luft stieg, hatte Hrgotas feinem Geschoss eine Flugbahn verliehen, angesichts derer Ulreich nur staunen konnte. Der Tabellenletzte schickte den Tabellenführer tatsächlich mit einem 0:1-Rückstand in die Kabine.

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Von Martin Schneider

15 Mal in der Geschichte der Bundesliga hat ein Tabellenführer gegen den Letzten verloren, viermal passierte dies dem FC Bayern. Ein fünftes Mal verhinderten die Münchner an diesem Sonntag. Mit einem mehr von Wut und Kraft denn von Spielkultur geprägten Vortrag in der zweiten Halbzeit. Als 45 Minuten später Schiedsrichter Robert Hartmann eine denkwürdige Partie abpfiff, da hatten sich die Bayern nach einem Ausgleich von Lewandowski (46. Minute), einem Eigentor von Sebastian Griesbeck (61.), einem zweiten Treffer von Lewandowski (82.) und der Entscheidung in der Nachspielzeit durch Eric Maxim Choupo-Moting noch mit einem voluminösen 4:1 (0:1) vom Rasen gerettet. Und Nagelsmann gab sich so erleichtert, als habe er gerade die nächste Runde in der Champions League erreicht: "Es ist ein wichtiger Sieg - tabellarisch, punktemäßig und auch psychologisch."

Nagelsmann folgt seiner ausgeprägten Vorliebe für taktische Feldexperimente

Das täuschte nun etwas darüber hinweg, dass die erste Halbzeit für den FC Bayern zum Tiefpunkt einer erstaunlichen Serie geraten war. Auf ein 2:4 gegen Bochum in der Liga hatten die Münchner ein 1:1 gegen Salzburg in der Champions League folgen lassen. Und diese erste Hälfte gegen Fürth wird wohl der Tiefpunkt bleiben, denn tiefer fallen als in einem Duell mit dem Klassenschlechtesten kann man nicht. "Die erste Halbzeit war nicht vogelwild, aber wir waren nicht gefährlich", sagte Nagelsmann.

Vor Bochum sei die Welt noch in Ordnung gewesen, auch das war ja ein schöner Satz, den Nagelsmann zur Beruhigung der Gemüter zuvor gesprochen hatte. Während Bochum, um die Grammatik weiterzuspinnen, war es der Innenverteidiger Dayot Upamecano gewesen, der mit seinem irrlichternden Positionsspiel irritiert hatte. Und nun stellte sich natürlich die Frage, ob die Welt des FC Bayern nach Fürth wieder so elegant um die Sonne kreisen würde wie vor Bochum? Tendenz: eher nicht.

Da halfen auch die Umstellungen nichts: Zeitweise spielten die Bayern von Trainer Julian Nagelsmann so lasch, als sei ihnen der Glaube an ihre Ballfertigkeiten abhandengekommen.
Da halfen auch die Umstellungen nichts: Zeitweise spielten die Bayern von Trainer Julian Nagelsmann so lasch, als sei ihnen der Glaube an ihre Ballfertigkeiten abhandengekommen. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Um die Defensivprobleme zu beheben, folgte Nagelsmann gegen Fürth seiner ausgeprägten Vorliebe für taktische Feldexperimente und stellte seine Mannschaft auf drei Positionen um. Teils überraschend, aber für Überraschungen wie diese hat der FC Bayern ja eine Rekordablöse für seinen Trainer bezahlt. Anstelle des im Sommer nach Dortmund abwandernden Niklas Süle spielte im Herz der Abwehr wieder Nagelsmanns zuletzt heftig gescholtenes Leipzig-Mitbringsel Upamecano. Als Linksverteidiger rückte erstmals seit November Omar Richards in die Startelf; und auf der Außenbahn vertraute Nagelsmann seinem zweiten ehemaligen Leipziger, Marcel Sabitzer, der den verletzten Kingsley Coman ersetzte.

Nominell stand bei den Münchnern eine Viererkette auf dem Rasen. Er habe seinen Spielern mit der Formation Sicherheit verleihen wollen, erklärte der Trainer später. Aber so offensiv, wie sich Richards und Pavard gleich zu Beginn einpendelten, war diese Viererkette eher ein Etikettenschwindel. Die Bayern zogen ihr ballverliebtes und dominantes Spiel auf. Wer genau hinschaute, der sah aber viele Quer- und Rückpässe. Denn die Fürther hielten dagegen mit viel Wachsamkeit und Härte, die sie den Ballführenden entgegenwarfen.

Tolisso muss mit einem Muskelfaserriss ausgewechselt werden

Neun Minuten dauerte es, ehe Corentin Tolisso erstmals eine Lücke im fränkischen Bollwerk erspähte und Leroy Sané bediente - Nick Viergever trennte ihn mit einer fairen Grätsche vom Ball. Fast im Gegenzug riss es die Mitglieder des in den Oberrang gereisten Fanclubs "Di Färdder" erstmals von ihren Sitzschalen - als Jamie Leweling nach einem Rückpass von Hernández, der schwer nach Schlamperei aussah, plötzlich vor Ulreich auftauchte und diesen anschoss. Aber der Szene war eine Ruppigkeit Lewelings vorausgegangen, Schiedsrichter Hartmann pfiff, Hernández war unschuldig.

Fällt erst mal aus: Corentin Tolisso erlitt gegen Fürth einen Muskelfaserriss.
Fällt erst mal aus: Corentin Tolisso erlitt gegen Fürth einen Muskelfaserriss. (Foto: Heiko Becker/HMB-Media/Imago)

Im Gegensatz zu Upamecano und auch zu Joshua Kimmich, die den Ball im engen Takt dem Gegner mit misslungenen Spieleröffnungen übereigneten. Zeitweise spielten die Bayern so lasch, als sei ihnen der Glaube an ihre Ballfertigkeiten abhandengekommen. Und es wurde nicht besser, als sich Tolisso nach einer feindlichen Grätsche an den Oberschenkel griff und mit einem Muskelfaserriss ausgewechselt werden musste. Für ihn kam Serge Gnabry ins Spiel, der seinerseits gleich vorstellig wurde mit einem Fehlpass.

Pfiffe von den 25 000 Zuschauern begleiteten die Bayern in die Kabine

Symptomatisch für das Spiel der Münchner: Die beste Gelegenheit in der ersten Hälfte ergab sich für sie kurz vor der Pause, als ein abgefälschter Schuss vor die Füße von Richards fiel. Anstatt zu verwandeln, bereitete der 24-Jährige auf der anderen Seite die Führung der Gäste vor. Nach seinem Foul an Hrgota legte dieser sich den Ball in 20 Metern Entfernung parat - und traf. Pfiffe von den wieder 25 000 belegten Sitzschalen begleiteten die Bayern in die Kabine.

Wie ein Überfallkommando und mit einer Dreierkette in der Abwehr kehrten Nagelsmanns Spieler auf den Rasen zurück. Alle bis auf den enttäuschenden und sicher auch enttäuschten Richards, für den nun Choupo-Moting kam. Lewandowskis Ausgleich geschah nach einem Solo von Gnabry entlang der Torlinie, bei dem mancher Fürther den Ball wohl zu Unrecht im Aus gewähnt und danach die Arbeit eingestellt hatte. Die Führung schließlich fiel ebenfalls glücklich: Es war das Schienbein von Innenverteidiger Griesbeck, das eine Hereingabe von Thomas Müller über die Linie beförderte.

Tapfer stemmten sich die Fürther ihrem Schicksal entgegen - zweimal noch wäre ihnen fast der Ausgleich gelungen: Max Christiansen und Marco Meyerhöfer schossen jeweils nur das Torgehäuse an. Aber als Lewandowski acht Minuten vor Schluss einen Kopfball über die Linie drückte, und als Choupo-Moting in der Nachspielzeit den Endstand herstellte, da strahlten sie fast schon wieder etwas Bayern München aus.

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