Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Die Risiken der englischen Monate

Leon Goretzka denkt darüber nach, ob Triple-Sieger FC Bayern für die Corona-Saison seinen kraftraubenden Spielstil ändern muss.

Von Christopher Gerards

Leon Goretzka hatte erst ein paar Sätze gesprochen an diesem Dienstagmittag, da formulierte er noch eine Entschuldigung. Gut 20 Minuten verspätet war er zur virtuellen Pressekonferenz erschienen, doch er konnte das erklären: Es lag am Training. Man habe diesmal ja nur "quasi eine Woche" der Vorbereitung. "In der Woche müssen wir sehr gut arbeiten", sagte Goretzka also, "deswegen hat es ein bisschen länger gedauert."

Ja, das Champions-League-Finale liegt erst gut dreieinhalb Wochen zurück, aber der FC Bayern ist schon wieder mitten in der Saison-Vorbereitung. Diese Saison-Vorbereitung wiederum wird - wie von Goretzka angedeutet - keine Längenrekorde brechen. Am Dienstag vor einer Woche haben die Münchner mit ihrem Cyber-Training begonnen, seit Freitag trainiert die Mannschaft auch wieder zusammen; am kommenden Freitag hat sie dann gegen Schalke ihr erstes Saisonspiel. Nur mal zur Einordnung: Am 18. September 2019, genau ein Jahr vor der diesjährigen Saisoneröffnung also, traten die Münchner in der Champions League gegen Roter Stern Belgrad an. Das war das siebte Pflichtspiel der Saison.

"Schon sehr, sehr speziell" sei die Vorbereitung, sagte Goretzka, 25, und dieses Attribut lässt sich leicht auf die gesamte Saison übertragen, in der zwar viele Spiele anstehen, aber wenig Zeit vorhanden ist, um diese vielen Spiele zu absolvieren. Theoretisch alle paar Tage könnten Nationalspieler des FC Bayern in diesem Jahr in irgendeinem Fußballstadion stehen, es könnte für sie eine Zeit der englischen Wochen und Monate geben, die erst an Weihnachten - zumindest kurz mal - aufhört.

"Wir werden tatsächlich den kompletten Kader benötigen"

Hier, einfach mal herausgepickt, das Programm Mitte/Ende Oktober: Da spielt Bayern im Pokal gegen Düren, muss dann nach Bielefeld, tritt dann in der Champions League an und empfängt Eintracht Frankfurt, um bald darauf wieder in der Champions League anzutreten und schließlich in der Bundesliga nach Köln zu reisen - all das in etwas mehr als zwei Wochen. Oder, Ende November: Da kommt Bremen nach München, muss Bayern in der Champions League ran, muss Bayern nach Stuttgart. Hier und da mögen sich Lücken auftun im Spielplan - die betreffen allerdings nur jene Bayern-Spieler, die nicht gerade zur Nationalmannschaft müssen. Wobei man erwähnen muss, dass die Vereine und Verbände von den vielen Spielen natürlich finanziell profitieren.

"Es ist definitiv eine sehr, sehr große Herausforderung für alle", sagte Goretzka am Dienstag - und deutete an, inwiefern sich der Terminplan fußballerisch auswirken könnte. "Wir werden tatsächlich den kompletten Kader benötigen, um durch die Saison zu kommen, das ist gar keine Frage", sagte Goretzka. Da passte es fast ins Bild, dass am Dienstagabend auch noch bekannt wurde, dass sich Kingsley Coman in häusliche Quarantäne begeben muss.

Der Franzose hatte nach Angaben der Münchner Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person aus seinem Umfeld. Coman dürfe deshalb aktuell nicht am Trainingsbetrieb teilnehmen, teilten die Bayern mit. Ein am Sonntag bei ihm vorgenommener Coronatest sei allerdings negativ ausgefallen.

Fraglich ist vor allem, wie die Mannschaft nach dem 5. Oktober aussehen wird, wenn das Transferfenster schließt (vgl. Wechselgerüchte um Thiago). Über eine optimale Größe des Kaders hat Goretzka sich noch keine Gedanken gemacht. "Wir haben auch einen Top-Kader zusammen", sagte er, "ich glaube aber schon, dass man mal mindestens jede Position doppelt besetzt haben sollte."

Goretzka deutete zudem an, dass der volle Terminplan auch Folgen für die Münchner Spielweise haben könnte. "Worüber man mit Sicherheit auch nachdenken kann - Schrägstrich - muss, ist, ob wir unsere Spielweise ein Stück weit ändern müssen", sagte Goretzka. Das in den vergangenen Monaten praktizierte Pressing in einer Saison mit derart vielen Spielen anzuwenden, werde schwierig bis anstrengend. Es brauche "eine Schublade in unserem Repertoire mehr, um auf solche Situationen reagieren zu können". Dies werde ein Thema im Training sein und sei es auch schon gewesen.

Pizarro wird Botschafter

Fußball-Profi Claudio Pizarro wird nach seinem Karriereende Botschafter des deutschen Rekordmeisters Bayern München. Neben dem 41 Jahre alten Peruaner sind bereits Giovane Elber, Lothar Matthäus und Bixente Lizarazu in dieser Rolle für den Triple-Gewinner tätig. "Es ist ein Traum, wieder in München zu sein. Der FC Bayern wird immer als eine Familie bezeichnet, und genau so fühlt es sich an", sagte Pizarro, der im Sommer seine Karriere bei Werder Bremen beendet hatte. "Eine Legende kehrt zurück", schrieben die Bayern in den Sozialen Medien. Für die Münchner stürmte Pizarro insgesamt neun Jahre, in 327 Einsätzen erzielte er 125 Tore und gehörte unter anderem zum Triple-Team 2013. sid

Darüber hinaus wird interessant sein zu sehen, wie es den Spielern des FC Bayern gelingt, sich nicht mal einen Monat nach einem der größten Erfolge ihrer Karriere für die neue Saison zu motivieren. Goretzka hatte da jedoch eine durchaus schlechte Nachricht für die Konkurrenz mitgebracht: "Wir sind weiter total hungrig", sagte er, "das merkt man jetzt auch in der Trainingswoche, da wird kein Prozent weniger gemacht. Ich glaube, das ist auch der Schlüssel, wie man dann zu weiteren Titeln kommen kann."

Um die ersten Titel spielen die Bayern schon in diesem Monat: erst im europäischen Supercup gegen Sevilla, dann im deutschen Supercup gegen Dortmund.

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SZ vom 16.09.2020
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