Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Gnabry ist eine Rakete - aber keine Granate

Lesezeit: 4 min

Von Klaus Hoeltzenbein, München

Der FC Bayern sollte schnellstens eine Detektei einschalten, um zu prüfen, ob es wirklich stimmt, dass die Kanone entwendet wurde. Dass nämlich die Münchner Kollegen schuld seien, dass dieses Geschütz samt untergeschraubter Platte für den erfolgreichsten Torjäger der Bundesliga nicht an Robert Lewandowski, sondern an dessen Dortmunder Herausforderer Pierre-Emerick Aubameyang ging. Mit nur einem einzigen Treffer Vorsprung.

Diese Detektei, so sie tüchtig ist, dürfte alsbald auf eine Szene in der Nachspielzeit des letzten Münchner Saisonspiels gegen den SC Freiburg stoßen. Zu sehen ist da, wie Arjen Robben und Frank Ribéry in der eigenen Hälfte lossprinten, der eine rechts, der andere links. Zu sehen ist, wie Lewandowski hinterherzukommen versucht. Wie Robben dem Ribéry auflegt, wie der das 3:1 erzielt, wie das Rib-Rob-Duo gefeiert wird - und wie Lewandowski mit traurigem Blick abdreht. Zu sehen ist aber auch, dass beide ihren Verfolger allenfalls im Rückspiegel erkennen konnten. Hätten sie bremsen, hätten sie warten sollen?

Es war wohl eine jener Szenen, an die sich Lewandowski nun bitter erinnerte, kurz bevor er am Samstag alle Tore für Polen zum 3:1-Sieg in der WM-Qualifikation gegen Rumänien erzielte. Zwei verwandelte Foulelfmeter waren dabei, zudem ein Kopfball mit extrem hohem Luftstand. Wenige Tage vor diesem Warschauer Dreierpack fürs Nationalteam hatte der Stürmer in der polnischen Zeitung Super Express noch seinem Ärger im Klub Luft gemacht.

Lewandowski ist "enttäuscht" bis "verärgert"

Er sei nicht wirklich zufrieden gewesen, "wie meine Mannschaft mich unterstützt hat". Je nach Übersetzung äußerte sich der 28-Jährige "enttäuscht" bis "verärgert" über die Einstellung der Kollegen beim FC Bayern. Man hatte dies schon nach jenem Freiburg-Spiel auf dem Foto mit der Schale erkennen können: Alle gaben sich Mühe, im Konfettiregen zu jubeln, um so der Routine des jetzt fünften Titels in Serie zu entkommen - nur Robert, der verhinderte Kanonier, kauerte nebenan, er war der traurigste aller deutschen Meister.

Gewiss, erfolgreiche Stürmer pflegen stets ihre egomanen Züge. Trotzdem ließe sich der Auftrag an eine Detektei, die im Sinne des FC Bayern ermittelt, jetzt doch um eine Frage erweitern: Was sind Lewandowkis Motive? Warum fährt er diese öffentliche Attacke auf das Betriebsklima?

Sind es nur die unterbliebenen Serviceleistungen der Kollegen? Oder ist es mehr? Schwingt da, wie es in Polen bereits interpretiert wird, die Sorge mit, der Bayern-Kader könne im Sommer nicht ausreichend verstärkt werden, um den dortigen Volkshelden endlich die Champions League gewinnen zu lassen? 2013, als dies den Bayern letztmals gelang, griff Lewandowski im Finale noch für Borussia Dortmund an.

Und hat nicht Uli Hoeneß, der Klubpräsident, selbst gesagt, dass ein Titel "auf Dauer ein bisschen wenig" sei? Weshalb man jetzt "Granaten" kaufen werde?

Zitiert man Hoeneß genau, so hat er auf der Meisterfeier am Rathausbalkon erklärt: "Wir haben einen Kader, wenn man den verstärken will, muss man schon ziemliche Granaten kaufen." Allerdings bewege man sich in einem Markt, auf dem Summen gezahlt würden, "die wir nicht für möglich gehalten haben".

Weshalb jetzt, wie am Sonntag zur Mittagszeit verkündet, erst einmal Serge Gnabry von Werder Bremen kommt - und nicht etwa Alexis Sánchez vom FC Arsenal. Also einer, der laut der Militaria-Terminologie des Uli Hoeneß aufgrund enormer Grundschnelligkeit sicher als "Rakete" durchgeht, noch nicht aber als "Granate".

In diese Kategorie gehört hingegen Sánchez, nach dessen Konditionen sich auch die Münchner erkundigt haben, doch der Chilene werde, heißt es im Poker auf der Insel, vermutlich aus London zu Coach Pep Guardiola und Manchester City umziehen. Beide, Sánchez und Gnabry, sind Offensivspieler; der quirlige Sánchez (38 Ligaspiele, 24 Tore) wäre als eine Back-up-Lösung für Lewandowski gedacht gewesen, der schnelle Gnabry (27 Ligaspiele, elf Tore) soll als Alternative auf links außen für Franck Ribery, 34, entwickelt werden.

Für Gnabry gehen offiziell übermittelte acht Millionen Euro nach Bremen. Für Sánchez wird, obwohl er nur noch ein Jahr Vertrag bei Arsenal hat, mit einer Ablöse um die 50 Millionen Euro spekuliert. Gnabry ist 21 und zweimaliger deutscher Nationalspieler; Sánchez ist bereits 28 und hat damit biologisch einen sinkenden Wiederverkaufswert. Rein finanziell wäre eine solche Parallel-Kalkulation aus der Perspektive des FC Bayern also schlüssig.

Erhält Douglas Costa nun die Freigabe?

Die Münchner bauen weiter an ihrem neuen Personal-Puzzle, vier größere Stücke sind bereits gelegt. Aus Hoffenheim, jenem Klub, mit dem Gnabry anfangs auch in Verbindung gebracht wurde, sind die zum Nationalteam zählenden Niklas Süle (21, Verteidiger; Ablöse circa zwanzig Millionen) und Sebastian Rudy (27, Allrounder; ablösefrei) seit Längerem verpflichtet. Zudem wird der im Bayern-Fanvolk beliebte Franzose Willy "Flankengott" Sagnol, 40, in der Rolle des Assistenten ins italienische Trainerteam des Carlo Ancelotti integriert.

Aber Granaten? Während die Bayern momentan auf dem internationalen Großmarkt zurückhaltend bleiben, könnten einige Kader-Spekulationen Realität werden. Da Gnabry kommt, dürfte der positionsgleiche Brasilianer Douglas Costa nach zwei Münchner Jahren wohl die Freigabe erhalten, sobald jemand das Ablösegebot dem geschätzten Marktwert von 30 Millionen Euro annähert. Und aus Frankreich gestreut wird das Gerücht, der FCB würde in ähnlicher Höhe um Corentin Tolisso, 22, von Olympique Lyon werben - im defensiven Mittelfeld ist bekanntlich die Planstelle von Xabi Alonso frei geworden.

Ob das dann aber alles Lewandowskis Ansprüchen genügt? Eine Detektei, die die verlorene Kanone sucht, dürfte am Ende wohl doch zu einem entlastenden Ergebnis kommen. Nämlich dem, dass es weniger die Kollegen waren, die ihn mit 30:31 Toren gegen Aubameyang verlieren ließen. Sondern dass doch eher jener Bänderriss in der Schulter aus dem April ihn bremste, der jetzt erst, und somit zu spät, auskuriert zu sein scheint.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2017
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