FC Bayern gewinnt 6:0 in Berlin:Alte Mannschaft, neuer Geist

Auch bei Hertha BSC berauscht sich der FC Bayern an sich selbst und schockt die Bundesliga mit 20 Toren in nur sieben Tagen. Das Gefährliche für Tabellenführer Dortmund ist jedoch nicht die Anzahl der Tore, die der Verfolger plötzlich schießt: Die Bayern haben ihren Teamgeist wiederentdeckt, die Mannschaft ist wieder mindestens so viel wert wie die Summe der einzelnen Teile.

Carsten Eberts, Berlin

Gerade dreieinhalb Wochen ist die jüngste Bankettrede von Karl-Heinz Rummenigge nun her. Es war jene Rede zu nächtlicher Stunde in Basel, als der Bayern-Boss seinen Angestellten tief getroffen viele Eigenschaften in Abrede stellte: Teamgeist. Kampfkraft. Wille.

Hertha BSC - FC Bayern Muenchen

Gemeinsamer Jubel: Arjen Robben, Franck Ribery, Thomas Müller und Mario Gomez (v.l.).

(Foto: dapd)

Leise, fast bedächtig appellierte Rummenigge damals an seine Spieler, die gerade 0:1 beim kleinen FC Basel verloren hatten: "Wir müssen in den nächsten Wochen gemeinsam, gemeinsam ist die Parole, aber hart arbeiten, um wieder aus der Scheiße rauszukommen." Die Essenz: Es lief schlecht, weil keine Mannschaft auf dem Platz stand, nur eine Ansammlung von Einzelkönnern, von denen manche einen Hang zum Egoismus haben.

So wie eine Mannschaft mehr sein kann als die Summe der einzelnen Teile, so kann sie durchaus auch weniger sein. Eine paar Tage später verloren die Bayern auch bei Bayer Leverkusen. Dem FC Bayern schien die Saison zu entgleiten, die sie im Winter noch fest im Griff gehabt hatten.

Und nun? Die Stimmungslage bei den Bayern hat sich komplett gedreht - wieder einmal. Das samstägliche 6:0 bei überforderten Herthanern war der dritte hohe Sieg in sieben Tagen, nach dem 7:1 gegen Hoffenheim und dem 7:0 im Champions-League-Rückspiel gegen Basel. Gegen Berlin trafen diesmal Thomas Müller (9. Minute), Arjen Robben (12., 19., 67.), Mario Gomez (50.) und Toni Kroos (51.). 20:1 Tore in drei Spielen sind eine beeindruckende Bilanz.

Doch nicht ausschließlich die Tore waren das Verwunderliche an diesem Tag. Der FC Bayern traf zwar in schöner Regelmäßigkeit, dreimal davon per Elfmeter. Es schien jedoch vor allem, als stünde eine echte Mannschaft auf dem Platz - ganz so, wie Rummenigge es in der düsteren Stunde in Basel gefordert hatte. Ein veränderter Mannschaftsgeist, geht das so einfach?

Dafür gibt zumindest Indizien. Zum Beispiel bei Arjen Robben. Natürlich ist der Niederländer immer noch ein Spieler, der seine Gefährlichkeit aus seinen eigensinnigen Dribblings zieht, die häufig gelingen, manchmal aber auch nicht, was Robben leicht als Egoisten dastehen lässt. Gegen Berlin hatte er auffallend gute Momente: Beim 2:0 übersah Robben gekonnt den mitlaufenden Mario Gomez und hämmerte den Ball spektakulär ins kurze, obere Toreck. Wenige Minuten später verwandelte er einen Elfmeter zum 3:0.

In der zweiten Halbzeit dann das: Die Bayern bekamen nach einem Foul an Franck Ribéry erneut einen Strafstoß zugesprochen. Wieder nahm Robben den Ball, tippte ihn mit der rechten Hand zwei-drei Mal auf den Rasen - und gab ihn galant Gomez, dem in diesem Spiel bislang erfolglosen Stürmer. Gomez verwandelte den Elfmeter, auch er hatte nun sein Tor und bedankte sich bei Robben. "Das war sinnbildlich für das gesamte Team. Das war eine schöne Aktion", befand Sportdirektor Christian Nerlinger.

"Nach Leverkusen war klar, dass etwas passieren musste", sagte auch Robben, "jetzt sind wir wieder da." Den dritten Strafstoß des Tages, zum abschließenden 6:0, verwandelte der Niederländer wieder selbst.

Kleiner Tadel für Schnick-Schnack-Schnuck

Verblüffendes tat sich auch nach den späten Toren der Bayern. Alle Feldspieler, inklusive der Innenverteidiger Holger Badstuber und Jérôme Boateng, liefen nach vorne in den Herthaner Strafraum, gemeinsam wurde gejubelt, sich abgeklatscht. Auch nach dem 5:0 und 6:0, als die Partie wirklich gelaufen war, manch einer schon an die Dusche nach dem Spiel oder den Rückflug nach München dachte. Die Symbolik: Hier agiert tatsächlich eine Mannschaft.

Die Frage ist natürlich, wie stark das Münchner Stimmungshoch von den guten Ergebnissen gegen überforderte Gegner begünstigt ist. Fallen viele Tore, jubelt es sich leicht, so ist das im Sport. Doch wie ist es um den Mannschaftsgeist bestellt, wenn wieder etwas schief geht? Etwa am Mittwochabend im DFB-Pokal bei Borussia Mönchengladbach, wenn den Bayern nicht annähernd so viele Tore gelingen werden? Oder gar eine Niederlage droht? Zerbröckelt dann wieder alles?

Sportdirektor Christian Nerlinger hielt dagegen. Es sei "ein Ruck" durch die Mannschaft gegangen, berichtete Nerlinger aus seinen Beobachtungen. Nach den schlechten Auftritten in Basel und Leverkusen habe sich die Mannschaft "als Einheit gezeigt, das ist ein Prozess, den sie zusammen gegangen ist".

Nerlinger sieht die Bayern auf einem guten Weg. "Nach dem Leverkusen-Spiel hat sich die Mannschaft zusammengerauft. Manchmal zerbrechen Mannschaften an solchen Situationen." Die Botschaft an Tabellenführer Borussia Dortmund: Der FC Bayern ist nicht zerbrochen. "Wenn wir so spielen, ist es klar, dass die Mannschaft in allen drei Wettbewerben mitreden kann", sagte Nerlinger. Trotz weiterhin fünf Punkten Rückstand auf den BVB. Es ist jenes Selbstbewusstsein, das den Bayern zu Jahresbeginn verloren gegangen war. Nun scheint diese Mannschaft wieder mehr zu sein als die Summe der Einzelteile, mindestens aber gleich viel.

Zwischenzeitlich wurde die Stimmung fast ein bisschen zu gut, das war auch Nerlinger nicht entgangen. Vor einem Freistoß nach dem 3:0 gab es zwei mögliche Schützen: Franck Ribéry und Toni Kroos. Beide fühlten sich gut, wollten schießen; sie entschlossen sich, das alte Kinderspiel Schnick-Schnack-Schnuck zu spielen: Ribéry wählte "Papier", Kroos den "Stein", der Franzose gewann und durfte schießen (in die Mauer übrigens).

War dies nun Übermut, eine Verhöhnung des Gegners? "Man muss sehen, dass es bei der Hertha um den nackten Existenzkampf geht", erklärte Nerlinger in einem Anflug von Tadel, "deswegen sollte man hier auch professionell und respektvoll auftreten." Dann sagte er jedoch: "Die Stimmung ist gut. Da kann das schon mal passieren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: