FC Bayern gegen Real:"5:2? Ich würde sagen 7:2"

  • Der FC Bayern verliert das Hinspiel des Champions-League-Halbfinales gegen Real Madrid 1:2.
  • Spieler und Trainer hadern mit den zahlreichen vergebenen Torchancen.
  • Während Jérôme Boateng für das Rückspiel wohl ausfällt, besteht bei Arjen Robben Hoffnung.

Aus dem Stadion von Christopher Gerards

Es ging auf Mitternacht zu, als Niklas Süle ein kleines Gedankenspiel eröffnete, einen Ausflug in die kontrafaktische Geschichtsschreibung. Es ging um die Chancen des FC Bayern, um die Tore und um das Verhältnis zwischen beidem. "Wenn wir das (Spiel) 5:2 gewinnen", sagte der Innenverteidiger Süle also, "braucht sich Real nicht zu beschweren." Joshua Kimmich machte ebenfalls mit, ein Reporter hatte ihn angesprochen auf Süles Fünfzwei-Einschätzung. Kimmich überlegte nicht lange, ehe er das Gebot erhöhte: "Ich würde sagen: 7:2."

Das Hinspiel gegen Real Madrid, das nur nebenbei, endete übrigens 1:2 (1:1) aus Sicht des FC Bayern.

Die Bayern fühlten sich benachteiligt: vom Glück, vom Spielverlauf

Dieses Champions-League-Halbfinale am Mittwochabend hatte zwei größere Geschichten, aber im Endeffekt bedeuteten sie für den FC Bayern das Gleiche: nichts Gutes. Die eine Geschichte war das Ergebnis. Gut, es hat sich niemand mehr gefunden, der ein 9:2 oder ein 11:2 für angemessen gehalten hätte. Aber dass die Bayern-Spieler über alternative Resultate nachdachten, zeigte: Sie fühlten sich benachteiligt, vom Glück, vom Spielverlauf, von sich selbst (übrigens nicht vom Schiedsrichter Björn Kuipers). Hinzu kam eine weitere Geschichte, sie handelte davon, dass sowohl Arjen Robben als auch Jérôme Boateng noch in der ersten Halbzeit Richtung Kabine humpelten.

Und so endete der Abend mit einer paradoxen Gemengelage. Man weiß jetzt: Ja, Real Madrid, der amtierende Titelträger, und Cristiano Ronaldo, der amtierende Cristiano Ronaldo, können vergleichsweise ungalaktisch aussehen, das hat der FC Bayern vorgeführt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass derselbe FC Bayern das Finale erreicht - die ist arg geschrumpft.

"Ich denke, Real Madrid sitzt in der Kabine, weiß selber nicht, wie die das Spiel 2:1 gewonnen haben", sagte Thomas Müller, um richtigerweise anzufügen: "Aber sie haben's." Auch Trainer Jupp Heynckes sprach bei Sky über "eine Fülle an überragenden Torchancen" seiner Mannschaft und meinte: "Ich habe selten eine Madrider Mannschaft erlebt, die so viel zugelassen hat." Niklas Süle verwies zwar auf seine bislang kurze Zeit als Bayern-Profi, wird sich aber auf seine Erfahrung als TV-Zuschauer berufen haben, als er sagte: "Ich hab so ein schwaches Real nicht so oft gesehen in München."

Implizit stellten die Bayern die originärste aller fußballerischen Moral-Fragen: Wie gerecht war dieses Ergebnis? Die aus ihrer Sicht richtige Antwort lieferten sie - unter Verweis auf die Zahl der Torchancen - gleich mit: sehr wenig gerecht. Chancen hatten die Bayern, ohne Frage. Da war Müllers eingesprungener Versuch in der 1. Minute. Da war Kimmichs wuchtiger Treffer (28.). Da war Franck Ribéry, der plötzlich frei vor Reals Torwart Keylor Navas stand, den Ball aber regelrecht verstolperte (34.). Da war Mats Hummels, der nach einer Ecke übers Tor köpfelte (41.). Und da waren diverse Auftritte von Ribéry vor Navas' Tor, die mal mit einem Pass, mal mit einem Schuss, mal mit einem wieselartigen Reflex von Navas endeten, aber nie mit einem Tor (das galt auch für die einzige halbwegs gefährlich Aktion von Robert Lewandowski kurz vor Schluss).

"Aufrichten, und dann schauen wir am Dienstag"

Andererseits: War das nicht immer etwas, von dem es hieß, es mache Spitzenteams aus: dass sie "eiskalt" seien? Dass sie auch in wichtigen Spielen ihre Chancen nutzen? Hatte man das nicht immer gesagt, wenn, sagen wir, Leverkusen ein hübsches Spiel gezeigt hatte gegen die Bayern? Und so konnte man dieses 1:2 auch in eine andere Richtung deuten: dass den Bayern womöglich ein kleines, kleines bisschen von dem fehlte, was Real mitbrachte.

"Wir haben das Spiel zu unseren Gunsten bestritten", hielt Müller zu Recht fest: "Allerdings haben wir das Wichtigste, was im Fußball zu tun ist, nicht gemacht, nämlich: Tore geschossen." Die Frage nach dem Warum konnte auch er nicht final beantworten. "Wir werden am Dienstag sehen, ob's Zufall war oder doch dieses bisschen Mehr an Druck da auch eine kleine Rolle spielt", sagte er. Er gab jedenfalls das Motto vor: "Aufrichten, und dann schauen wir am Dienstag, ob wir den Arsch in der Hose haben oder ob's vielleicht fehlende mentale Qualität ist."

Boateng wird fürs Rückspiel wohl ausfallen

Real hingegen wurde gleich zwei Mal mit sehr freundlichen Gaben des FC Bayern bedacht und nutzte beide, um das Spiel zu gewinnen. Erstes Beispiel: der Schuss von Marcelo zum 1:1, der gar nicht an den Ball gekommen wäre, hätte Javi Martínez diesen in der Mitte noch abgefangen. Oder das 2:1 von Asensio, das Rafinha, der Aushilfs-Linksverteidiger, mit einem fatalen Fehlpass nahe der Mittellinie subventionierte. "Bayern hat es über weite Strecken gut gemacht und hatte insgesamt natürlich mehr Möglichkeiten", räumte der Ex-Münchner Toni Kroos ein, fügte aber an: "Wir haben aus dem Spiel das Maximum rausgeholt."

Die Bayern haben hinterher das gesagt, was Fußballer halt sagen, wenn sie ein Hinspiel verloren haben: Sie glauben trotzdem noch ans Weiterkommen, ihre Überlegenheit führten sie als Grund an. Allerdings könnte die ohnehin nicht kurze Liste an versehrten Stammkräften (Neuer, Coman, Alaba, Vidal) wohl noch ein, zwei zusätzliche Zeilen bekommen. Robben und Boateng mussten nach fünf beziehungsweise knapp 30 Minuten verletzt raus; Robben war im Strafraum bei einem Zweikampf gefallen, Boateng nach einem schnellen Dribbling liegen geblieben.

"Bei ihm ist es etwas Muskuläres, er wird wohl ausfallen", meinte Heynckes über Boateng. Am Donnerstag meldeten mehrere Medien, dass Boateng vier bis sechs Wochen pausieren müsse. Die Saison ist damit für ihn beendet, die Weltmeisterschaft zumindest in Gefahr. Bei Robben und Martínez hofft der Trainer "dass es nicht so schlimm ist". Eine Diagnose gab es bei beiden bislang noch nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: