FC Bayern gegen Leipzig:Heldenfußball schlägt Systemfußball

DFB Cup Second Round - RB Leipzig v Bayern Munich

Diesmal siegten die alten Helden, hier Javi Martínez (rechts) und Sven Ulreich. Und am Samstag?

(Foto: REUTERS)
  • Beim Duell Leipzig gegen Bayern prallten zwei Systeme aufeinander, diesmal siegte der Heldenfußball.
  • Am Samstag treffen sich beide Teams schon wieder.

Von Christof Kneer, Leipzig

Das letzte Mal, dass man Jupp Heynckes so gesehen hat, ist über fünf Jahre her. Er ist damals aufgeregt von Timoschtschuk zu Olic und wieder zurückgelaufen, und man weiß bis heute nicht, ob auch Heynckes überrascht war, als plötzlich ein grüner Mensch als Schütze am Elfmeterpunkt auftauchte, der sich als sein Torwart herausstellte. Manuel Neuer hat damals getroffen, ebenso wie zuvor Philipp Lahm und Mario Gomez, aber Ivica Olic hat nicht getroffen, ebenso wenig wie Bastian Schweinsteiger. Und Timoschtschuk hat gar nicht erst geschossen, ebenso wenig wie Toni Kroos - in der Wahrnehmung dieses glorreichen Vereins war das schlimmer als die Niederlage in diesem Champions-League-Finale 2012. Mia san mia, und die trauen sich nicht, die Saupreiß'n? Das konnte nicht ungesühnt bleiben.

Warum er nicht dafür gesorgt habe, dass der erfahrene Timoschtschuk schießt, hat Uli Hoeneß später dem Manager Christian Nerlinger vorgeworfen, der an diesem Abend begann, der Ex-Manager Christian Nerlinger zu sein. Im Klub haben sie beschlossen, dass Nerlinger doch ein ganz praktischer Sündenbock sei - so konnte man Jupp Heynckes schützen und diesen Matthias Sammer holen, unter dessen strenger Mentalitätsaufsicht so etwas bestimmt nie mehr vorkommen würde.

Fünf vorbildliche Strafstöße unter Druck

Fünfeinhalb Jahre später ist dieser Sammer schon lange nicht mehr bei diesem glorreichen Verein, dafür ist Heynckes wieder da. Er hat auch dieses Mal wieder recht bewegt dreingeschaut, als seine Spieler beim Pokalspiel in Leipzig zum Elfmeterpunkt schritten, aber diesmal gab es keine Katastrophen zu besichtigen. Robert Lewandowski, David Alaba, Mats Hummels, Sebastian Rudy, Arjen Robben: Wer ein Lehrvideo zum Thema "vorbildliche Ausführung von Strafstößen unter Druck" herstellen möchte, der kann das alles so senden, gerne auch in dieser Reihenfolge.

Übrigens hätten sich nach diesem 6:5-Sieg der Bayern nach Elfmeterschießen auch ein paar Leipziger Strafstöße hinein schneiden lassen, alle im Grunde, bis auf den letzten: Da lief Timo Werner an und wurde ein Schüsschen los, das eher ins andere Video gehört, in dem auch Thomas Müllers Champions-League-Elfer gegen Atlético Madrid vorkommt. In diesem Video veranstalten Fußball-Promis einen Wettbewerb, wer am schlechtesten schießt.

Offiziell litt Timo Werner, 21, zuletzt an einer Blockade der Halswirbelsäulenmuskulatur, deshalb hat er auch nicht von Anfang an gespielt gegen die Bayern. In diesem Elfmeterschießen wurde nun aber eine bisher nicht bekannte Blessur offenkundig, eine Blockade der Torjägerinstinktmuskulatur. Bayerns grüner Mensch im Tor, Werners früherer VfB-Stuttgart-Kumpel Sven Ulreich, konnte gar nicht anders, als dieses lausige Elfmeterle zu halten.

So erfuhr diese rasante Partie am Ende eine Zuspitzung, die sie nicht verdiente. Ausgerechnet dem Stürmer, dem die Zukunft gehört, rutschte der schlechteste Schuss des Abends raus, womit er seinem Team, dem womöglich ebenfalls die Zukunft gehört, die Gegenwart verdarb.

Jupp Heynckes setzt auf Bekanntes

Ja, es war nur die zweite Pokalrunde, aber auf solche Formalien nahm diese Partie keinerlei Rücksicht. Sie strahlte einen umfassenden Finalcharakter aus - nicht nur, weil man sich dieses Duell guten Gewissens im Endspiel 2018 in Berlin hätte vorstellen können. Sondern auch, weil sich hier zwei Teams begegneten, die unterschiedliche Ansätze verkörpern - auch wenn Schiedsrichter Zwayer diesen Kulturvergleich massiv gestört und womöglich auch durch Fehlurteile in die falsche Richtung gelenkt hat (siehe Text "Zwayers Mondscheinsonate").

Heldenfußball gegen Systemfußball: Dieser Antagonismus war selten in solcher Reinform zu besichtigen wie an diesem Abend. Heynckes macht in München wieder das, was sein Selbstverständnis als Heldenfußballertrainer eben so vorsieht, er stärkt zum Beispiel die Weltmeister Jérôme Boateng und Mats Hummels. Auch sagt er den Mittelfeldspielern Arturo Vidal und Corentin Tolisso, dass sie den gegnerischen Mittelfeldspieler Naby Keita bitte stören sollen, und wenn gestürmt werden muss, dann wechselt Heynckes halt einen Menschen namens Kwasi Wriedt ein, einen Stürmer aus der zweiten Mannschaft.

Die Bayern spielten in Leipzig "die ersten 15 Minuten ordentlich und die nächsten 30 Minuten ganz schlecht", wie Verteidiger Joshua Kimmich trocken bemerkte. In Überzahl spielten sie dann erst eher so mittel, dann wieder ganz gut, weshalb sie Emil Forsbergs umstrittenes Elfmetertor (67.) umgehend durch Thiagos Kopfball zum 1:1 (73.) konterten. Am Ende spielten die Helden weitere gute Chancen heraus, und im Elfmeterschießen brachten sie ihre Heldenmentalität zur Anwendung, womit erst mal alles gut ist in diesem Verein.

Welchen Fußball die Bayern genau spielten? Wurscht. Sie hatten halt ihre Superspieler auf dem Platz, und sie sind eine Runde weitergekommen.

Die Leipziger hingegen zeigten eine Art Bildungsfernsehen. Der Elf des Großideologen Ralf Rangnick gelang es, all die neunmalklugen Akademiebegriffe in packende Bilder zu übersetzen. Pressing-, Anlauf- und Umschaltverhalten, Überzahl in Ballnähe: In Leipzig leben diese Wörter, als bestünden sie aus Fleisch und Blut. Dieses Leben sieht dann etwa so aus: Ein Leipziger geht auf den diensthabenden Bayern los, zwei weitere Leipziger lauern in direkter Nachbarschaft, und im Falle eines Ballgewinns wird aus einem Defensiv- sofort ein Offensivtrio. In Leipzig mache auch Verteidigen Spaß, hat Timo Werner gerade gesagt. Kein Wunder: Verteidigen ist hier ja fast das Gleiche wie Stürmen.

Timo Werner ist der Confed-Cup-Torjäger, er könnte Deutschlands Sturmproblem auf lange Zeit lösen, aber er hat auf die harte Tour gelernt, dass man geduldig sein muss. In Stuttgart haben Mitspieler ihn als Wunderkind verspottet, in Leipzig musste er die Schwalben-Affäre überstehen, und jetzt muss er wie sein Klub damit leben, dass er dem Bildungsfernsehen einen kurzfristigen Bildausfall beschert hat.

Er müsse jetzt "ins Kältebad", hat Leipzigs Marcel Sabitzer später gesagt. Wenn er rauskommt, wird er den Bayern übrigens schon wieder begegnen, am Samstag, beim Punktspiel in München.

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