FC Bayern gegen Hoffenheim:Wenn die Gesetze des Fußballs außer Kraft sind

Bundesliga - Bayern Munich v TSG 1899 Hoffenheim

Hoffenheims Oliver Baumann und Kevin Vogt im vollen Einsatz gegen Robert Lewandowski. Vogt verletzte sich in der Szene und musste wenig später ausgewechselt werden.

(Foto: Michael Dalder/Reuters)
  • Bayern Trainer Kovač sorgt mit seiner Mannschaftsaufstellung im Auftaktspiel für schmollende Prominenz auf der Bank.
  • Für Aufregung bei den Spielern auf dem Feld sorgte dagegen ein umstrittener Elfer - und der ausbleibende Videobeweis.
  • Am Ende, nachdem einige Gewissheiten ins Schwanken geraten waren, blieb aber doch auf einen Verlass: Thomas Müller.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Aus dem Stadion von Jonas Beckenkamp

Woran soll der Mensch noch glauben, wenn sogar die Grundgebote des Fußballs jetzt nicht mehr gelten? Wenn ein Spiel nicht mehr 90 Minuten dauert, sondern 100? Der alte Sepp Herberger war sich da noch ziemlich sicher, von Manuel Neuer lässt sich das nicht behaupten. "Offenbar ist es so, dass die Fans sich nun mehr Zeit nehmen müssen", sagte Neuer, nachdem er am Freitagabend an einem Spiel teilgenommen hatte, das selbst ohne offizielle Verlängerung noch reichlich Nachschlag bot.

Vieles lief zum Auftakt dieser Bundesliga-Saison anders als gedacht, es war ein Auftakt der 1000 Geschichten und Debatten. Am Ende stand als einzige Konstante ein Sieg des FC Bayern. Auftaktsiege des FC Bayern gehören seit Jahren zur Folklore der Bundesliga, so wie hohe Pleiten des HSV in München oder Sepp-Herberger-Weisheiten ("der Ball ist rund"). Wer aber beim 3:1 (1:0) gegen Hoffenheim nach Althergebrachtem fahndete, nach Mustern aus der Vergangenheit oder gar der vielbeschworenen Langeweile der Liga, der musste sich wundern: über ein XXL-Spiel, das es einem verflixt schwer macht, es in der üblichen Klaviatur herunterzuerzählen.

Angefangen hatte alles mit der Aufstellung des neuen Bayern-Trainers Niko Kovač. Schon die offenbarte nämlich ein paar Einblicke in sein künftiges Wirken. Kovač hatte es gewagt, sowohl Mats Hummels als auch Arjen Robben auf der Bank zu lassen, dazu schaute sich mit Corentin Tolisso ein Weltmeister den Debütkick nur von der Tribüne an. Fit wären übrigens alle drei gewesen. Mats Hummels, der hinterher finster dreinschauend an allem und jedem vorbeilief, sei sogar "topfit" gewesen - sagte Mats Hummels. Mehr wollte er nicht sagen. Robben, einer der Protagonisten des Abends und nach seiner Einwechslung Torschütze zum 3:1 (90. Minute), gab immerhin zu, dass er sauer und riesig enttäuscht gewesen sei, als er zunächst auf der Bank hatte Platz nehmen müssen.

Rotieren gleich im ersten Ligaspiel?

"Mit 60, 65 Minuten bin ich völlig zufrieden heute", sagte Kovač, der sichtlich bemüht war, die verstimmte Prominenz auf der Bank zu besänftigen. Er habe eben rotiert und da habe es nach den Spielen im Supercup gegen Frankfurt und im Pokal in Drochtersen eben die beiden erwischt. Aber: Rotieren gleich im ersten Ligaspiel? Galt nicht früher, als auch noch galt, dass ein Spiel 90 Minuten dauert, die Regel, zum Auftakt spielt die nominell beste Elf? Als Handreichung an die eigene Mannschaft, wer wo steht und wer erst einmal gesetzt ist? Kovač aber nahm mit seiner Nominierung von Niklas Süle und Jérôme Boateng in der Abwehr und Kingsley Coman sowie Franck Ribéry auf den Flügeln in Kauf, dass zwei andere Etablierte schmollten: Hummels und Robben.

Es waren überraschende Hinweise auf den Umbruch, der beim FC Bayern in dieser Saison fortschreiten soll. Und auf Kovačs Führungsstil. Ganz überzeugend wirkte das nicht, auch wenn Robben-Nachfolger Coman bis zu seinem Riss des Syndesmosebandes oberhalb des linken Sprunggelenkes einen starken Eindruck hinterließ. Die Krux war, dass Robben mindestens ebenso stark auftrat, als er aufs Feld durfte und die Abwehr ohne Hummels einige Durchlässigkeiten offenbarte. Nach Müllers 1:0 (23.) fielen die Bayern einer besonderen Art der Hoffenheimer Kriegsführung zum Opfer: Sie waren beeindruckt von der Giftigkeit der Gäste, denen Trainer Julian Nagelsmann in der Pause Messer zwischen die Zähne geredet hatte.

Auf eines kann man sich am Ende eben doch verlassen: den Müllerthomas

"Zu viel ins Hohe-Bälle-Rausschlagen" sei man verfallen, monierte Müller, der mit Leonardo Bittencourt und einigen anderen Wortgefechte jenseits der guten Kinderstube austrug. Das 1:1 von Adam Szalai (58.) sah sich dann Boateng aus nächster Nähe an, ohne einzugreifen und plötzlich gab es in der Arena ein Fußballspiel zu sehen. Ja, eine richtige Schlacht. Wobei: Viel Fußball war nicht, eher viel Streit um den Videobeweis. "Es hat sich a bissl zogen", sagte David Alaba über das, was folgte: den vielleicht jetzt schon umstrittensten Elfer der Saison, den Ribéry sich im Duell mit Havard Nordtveit - je nach Sichtweise - ergaunerte oder, nun ja, verdiente. Hoffenheims Norweger lag bei einer Grätsche längst in der Wiese, als Ribéry den Ball über ihn hinweg chippte und mit Wonne über den Norweger stolperte.

"Ich hätte den nicht gegeben", räumte sogar Niko Kovač später ein. Die Proteste der Hoffenheimer jedenfalls fielen feurig aus. Vor allem, weil Schiedsrichter Bastian Dankert kein Funksignal vom Video-Assistenten bekam, sich die Szene noch einmal anzuschauen.

Das folgte erst, als Robert Lewandowski mit seinem Strafstoß an TSG-Keeper Oliver Baumann scheiterte und Robben (der zu früh gestartet war) im Nachschuss traf. Erst im zweiten Versuch verwandelte schließlich der Pole zum 2:1 (81.), ehe auch noch eine Ko-Produktion aus einem Goretzka-Schuss und Müllers Hand zu einem vermeintlichen Treffer führte. Doch wieder stoppten die Regelhüter in Köln aus der Ferne den Bayern-Jubel, was zumindest Müller ("nachvollziehbar") und Joshua Kimmich ("kann man so sehen") einigermaßen gefügig hinnahmen.

"Vogelwilde 20 Minuten"

Müller konnte es locker sehen, es war längst sein Spiel geworden: Eine jener kuriosen Zirkusnummern, in denen er auch dann Einfluss nimmt, wenn er eigentlich nur zetert und schimpft. Robbens 3:1 entstammte erneut einer Müller-Weiterleitung, der Rest war herausgeschriene Genugtuung des Niederländers, der endlich sein Tor hatte - nachdem er sich zuvor erst von Kovač und dann aus Köln beklaut gefühlt hatte. Bei den Hoffenheimern regierte dagegen der Groll. "Am Ende waren es vogelwilde 20 Minuten, da haben wir alle kaum mehr Fußball gespielt, sondern nur noch Video geguckt", fand Nagelsmann.

Tatsächlich hatten die Unterbrechungen die Partie so aufgeheizt und aufgeblasen, dass am Ende die 100 Minuten überschritten waren. Was wiederum Thomas Müller zu der Feststellung bewegte: "Naja, dann kriegen die Leute jetzt eben mehr für ihr Geld." Immerhin darauf kann man sich also noch verlassen: dass der Müllerthomas spätnachts noch einen raushaut.

Zur SZ-Startseite
1. FSV Mainz 05 - SC Freiburg

Bundesligastart
:"In der Ultraszene ist vielen der Zusammenhalt wichtiger als der Erfolg ihrer Mannschaft"

Der Leiter der Koordinationsstelle für Fanprojekte im deutschen Fußball erklärt, warum Teile der Fans Kommerzialisierung verabscheuen und der Frust über die Montagsspiele zum Abbruch des Dialogs mit DFL und DFB geführt hat.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: