Süddeutsche Zeitung

Analyse zum FC Bayern:Die Daten sagen etwas anderes

Zufall? Oder doch Krise? Keines seiner letzten vier Spiele in der Bundesliga hat der Rekordmeister gewonnen - gemessen an den relevanten statistischen Werten ein Ding der Unmöglichkeit.

Von Philipp Selldorf

"Wir müssen nicht alles umkrempeln", hat Julian Nagelsmann vor der Begegnung mit Bayer Leverkusen gesagt, und dieses Statement zur Strategie mag man nun interpretieren, wie man möchte: Der Trainer des FC Bayern ist zu stolz, um zuzugeben, dass seine Methodik der Verbesserung bedarf, und er ist zu stur, um seine Herangehensweise an die Situation anzupassen. Oder er hat Recht.

Eine schöne Eigenschaft des Fußballspiels ist, dass gegensätzliche Deutungen derselben Sache gleichermaßen wahr sein können. Nachdem der FC Bayern viermal hintereinander in der Bundesliga nicht gewonnen hat - ein Misserfolg von quasi historischem Ausmaß -, sind sich die Kommentatoren landauf landab einig, dass der Cheftrainer Nagelsmann nicht weitermachen kann wie bisher. Dieser Standpunkt ist wegen der Einwirkungen der schwachen Ergebnisse auf den Klub und sein erfolgsgewöhntes Personal plausibel, aber genauso legitim ist es offenbar, Nagelsmann aufzufordern, bloß nichts zu ändern am Fußballspiel seiner Mannschaft.

Nach den Erkenntnissen der Kölner Analysefirma Impect hat der FC Bayern ein Ding der Unmöglichkeit verwirklicht, als er es geschafft hat, aus keinem der Spiele gegen Borussia Mönchengladbach, Union Berlin, VfB Stuttgart und FC Augsburg als Sieger hervorzugehen. Auf der Grundlage der Daten, die Impect während der Spiele ermittelt hat, betrug die Wahrscheinlichkeit, dass die Münchner keines der vier Spiele gewinnen, das Verhältnis 1:333. Fußballmathematisch betrachtet, so sagt Impect-Chef Stefan Reinartz, beruhe die Münchner Ergebnismisere "zu zehn Prozent auf Leistungsabfall und zu neunzig Prozent auf Varianz". Varianz bedeutet Abweichung vom Mittelwert. Man kann auch sagen: Zufall.

Impect, 2015 von den Leverkusener Fußball-Profis Reinartz und Jens Hegeler gegründet, wurde zunächst durch eine neue Erklär-Technik bekannt, die unter dem Begriff "packing" konstruktives Passspiel in aussagekräftige Zahlen fasste. Inzwischen hat die Scoutingfirma, die mehr als 40 professionelle Klubs unter anderem in Deutschland, England, Holland, Belgien mit Daten beliefert, ihr Analyserepertoire vielseitig erweitert.

In Gladbach hatten die Bayern genug Chancen zum Sieg. Aber die Borussia hatte Yann Sommer

So wie beim Spiel gegen Borussia Mönchengladbach (1:1), dem am wenigsten strittigen Auftritt der sogenannten Sieglos-Bayern: Sämtliche von Reinartz' Mitarbeitern erhobenen Daten sprechen für einen Heimsieg des deutschen Meisters. Die Münchner gelangten bei ihren Angriffen in hoher Frequenz in die spannenden Räume am und im Gladbacher Strafraum, und sie kreierten so viele klare Torchancen, dass es für mindestens vier Treffer hätte reichen müssen. Selbst die Abschlussqualität war gemäß Datenanalyse richtig gut. Aber Yann Sommer war halt besser. Mönchengladbachs schweizerischer Torwart personifizierte den Varianz-Faktor, indem er selbst schwierigste Schüsse abwehrte. Unter den vier Spielen gab es nur eines, das gemäß Daten ein faires Resultat hervorbrachte: Beim 1:1 in Berlin stellten sich die Unioner erfolgreich quer und blockierten den Münchner Express-Fußball. Beim 0:1 in Augsburg hätte - der Laboruntersuchung zufolge - ein Unentschieden den Spielverlauf korrekt abgebildet.

Folgt man den Zahlen, dann sind die Bayern in der Bundesliga nach wie vor einsame Spitze. Wenn es darum geht, Gegner im Feld zu überspielen ("packing"), haben sie in den sieben Spielen der laufenden Saison mit einem Wert von 400 den Rest weit hinter sich gelassen. Werder Bremen folgt auf dem zweiten Platz (308), Borussia Dortmund auf dem dritten (291). Die Bayern sind auch klar vorn in der signifikant wichtigen Kategorie "überspielte Verteidiger", ebenso in der Annäherung ans gegnerische Tor und in der Produktion von erstklassigen Torchancen. Aber in der Tabelle sind sie Fünfter.

Stefan Reinartz will dennoch nicht rechthaberisch sein: Ergebnisse, so sagt er, seien kausal mit der Leistung verbunden, die Leistung reflektiere unter Umständen aber auch kausal die Ergebnisse. Wenn ein Mann wie Thomas Müller öffentlich zweifelt, dann, so Reinartz, "beginnt die traditionelle Erzählung von der Krise zu wirken".

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