Es gab ein paar Antworten nach diesem Spiel, aber vor allem eine ganze Menge Fragen. Eine davon, vielleicht die wichtigste, lautete: In welcher Sprache beschimpfen sich wohl der Franzose Lucas Hernández und der Markgräfler Christian Streich? Als Hernández in der 84. Minute zur Auswechslung trottete, tat er dies im Tempo eines Mannes, der auf gar keinen Fall den Bus erwischen will. Je näher die Außenlinie rückte, desto langsamer wurde Hernández, und je langsamer Hernández wurde, desto schneller fuchtelte Streich.
Streich und seine Freiburger bringen Haltung mit nach München
Was machet ihr mit uns kleine Freiburger?, hat der Trainer Streich in solchen Momenten jahrelang gerufen, aber selbst er, der sich so ausgezeichnet Sorgen machen kann, dürfte seine Standardfrage inzwischen etwas abgewandelt haben. Die Idee, dass die Freiburger "klein" sein könnten, wird selbst dem beliebten Streich keiner mehr durchgehen lassen, und wäre er nicht so ein enthusiastischer Wettkämpfer, hätte er bei Hernández' Stehversuch eigentlich jubeln müssen.
Denn das war auch eine Antwort an diesem Nachmittag in der Münchner Arena: Die Freiburger sind inzwischen so groß geworden, dass der riesenhafte FC Bayern gegen sie Zeit schinden muss. Dabei stand es schon 2:0 in dieser 84. Minute, solche Ergebnisse nutzt der FC Bayern normalerweise, um noch ein paar Schleifchen in Form eines 3:0 oder 4:0 dran zu hängen.
Aber Hernández hatte noch nicht auf der Bank Platz genommen, als Manuel Neuer mit einem spektakulären Reflex gegen Nicolas Höfler das Freiburger Anschlusstor verhinderte (85.), und drei Minute später musste Neuer erneut unter Beweis stellen, dass er "immer noch der mit Abstand beste Torwart der Welt" ist, wie sein Trainer Julian Nagelsmann später lobhudelte. Neuer lenkte Lucas Hölers Schuss zur Seite ab und sicherte sich den Ball im Nachfassen.
"Schade, dass wir das Anschlusstor nicht drei, vier Minuten früher machen", sagte Streich in der Pressekonferenz, "dann, glaube ich, hätten wir vielleicht noch die Chance zum Ausgleich gehabt." Als das Anschlusstor tatsächlich noch fiel, saß Hernández bereits bequem, es lief die 93. Spielminute. Es war zu spät, um dem FC Bayern noch zwei Punkte abzuknöpfen, aus rein ästhetischer Sicht war das auch gut so. Andernfalls hätte Streich niemals diesen Satz sagen können: "I hab selten a Freud, wenn mir verlore habbe. Ansonschde war ich heut zfriede." Leider gibt es keine T-Shirts, die riesenhaft genug sind, um sie mit diesem Satz bedrucken zu lassen.
Bayern jetzt überlegener Tabellenführer
An diesem Nachmittag in München verschränkten sich zwei Geschichten, die einerseits gut für sich allein stehen können, andererseits aber doch zusammengehören. Es gab die Geschichte vom Tabellenführer aus München, der es vor erstmals wieder ausverkauftem Haus deutlich schwerer hatte als gewohnt und trotz der Treffer von Leon Goretzka (30.) und Robert Lewandowski (75.) bis zur 96. Minute um den Sieg bangen musste.
Es gab die Geschichte des SC Freiburg, dessen Wehrhaftigkeit inzwischen so verlässlich abrufbar zu sein scheint, dass Christian Streich schon eine gewisse Genervtheit simulieren muss, um höheren Ansprüchen vorzubeugen. Er wolle nichts hören "von Champions League und so'm Zeugs", mahnte er die Reporter, "kümmert euch um Bayern und Dortmund und die anderen und lasst unsere Jungs in Ruhe."

FC Bayern in der Einzelkritik:Goretzka exponiert sich im Topspiel
Der Mittelfeldspieler wechselt sich vorbildlich mit Kimmich ab. Lucas Hernández legt sich mit Christian Streich an. Die Bayern in der Einzelkritik.
Es gab aber auch die Geschichte, die beide Mannschaften miteinander in Beziehung setzt. Die Bayern waren natürlich die überlegene Elf, sie finden sich im Dreieinhalber-Abwehrketten-System von Trainer Nagelsmann immer besser zurecht, und auch Nagelsmanns Idee, Leroy Sané zentraler zu besetzen, hat dem Spiel der Münchner eine neue Würznote verliehen. Dennoch haben die Freiburger der Liga stellvertretend vorgeführt, wie man den FC Bayern unter Stress setzen kann: mit einer Mannschaft, die sich was traut. Die Freiburger haben zwar einen Trainer, der sie lustvoll kleinredet, aber entweder ist das ein Trick, oder der Trainer muss sich ernsthafte Sorgen um seine Glaubwürdigkeit in der Kabine machen. Denn das Kleine glaubt ihm seine Mannschaft nicht.
Es war an diesem Nachmittag weniger eine Frage der konkreten Taktik (ja, das schon auch), es ging eher um die Haltung. Mit Respekt, aber ohne jede Demut gingen die Freiburger in diese Partie, und sie hatten jede Menge Körper dabei. In einer einzigen Szene checkte erst der Verteidiger Nico Schlotterbeck den weltberühmten Thomas Müller weg, ein paar Sekunden später rempelte Lucas Höler gegen Dayot Upamecano, es sprangen zwei legale Ballgewinne dabei heraus.
"Wir waren übers ganze Spiel hinweg mutig", lobte Christian Streich, dessen Team man die gemeinsame Vergangenheit immer mehr ansieht. Die Spieler kennen sich lange und vertrauen sich, die Automatismen sitzen, und das Selbstbewusstsein ist inzwischen so selbstverständlich, dass Streich in der Schlussphase offensiv wechseln kann, ohne seine Elf zu verstören. Natürlich wollen sie in zehn Minuten noch ein 0:2 in München aufholen, ja was denn sonst?
Am Ende waren die Freiburger der wohl beste Gegner, dem die Bayern in dieser Bundesliga-Saison seit dem ersten Spieltag in Mönchengladbach begegnet sind (unterstellt sei hiermit, dass es sich bei der Heimniederlage gegen Frankfurt um ein Versehen handelte). Freiburgs Pech war allerdings, dass die Bayern ihren düsteren Herbstabend schon hinter sich haben, beim 0:5 im Pokal in Gladbach war alles Böse zusammengekommen.
An einem normalen Tag aber - auch das war eine Antwort an diesem Nachmittag - reicht die individuelle Qualität der Bayern-Spieler und ihr "abartiges Tempo" (Streich) immer noch zum Sieg. Goretzkas Führungstor war eine von Upamecano aus der eigenen Abwehr heraus eingeleitete Musterkombination, bei der sich Goretzka und Müller mit je einem Kontakt vors Tor spielten; auch das 2:0 - Neuer auf Hernandez auf Tolisso auf Davies auf Sané auf Lewandowski - hatte Nagelsmann vorher aus einem Lehrbuch herauskopiert.
Ihren Vorsprung auf Borussia Dortmund haben die Bayern an diesem Wochenende auf vier Punkte vergrößert, und der Drittplatzierte, ein Verein namens SC Freiburg, ist inzwischen zwar schon sechs Punkte zurück, aber - und dann lassen wir die Jungs wieder in Ruhe - weiterhin stabil auf Champions-League-Kurs. Bitte nicht schimpfen, Herr Streich!