FC Bayern:Festakt mit Feuerlöscher

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Der Sieg der Bayern im Pokalfinale ist auch ein Triumph über ihre jüngste Pech-und-Pannen-Geschichte vom Elfmeterpunkt. Vor allem Thomas Müller betreibt Wiedergutmachung.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Es war schon ein komischer Arbeitseinsatz für Manuel Neuer. Da kommt man zur Nachtschicht, 74 322 schauen live im Stadion zu, wollen was erleben, bestaunen, beklatschen, doch man hat nix zu tun. Hier mal ein Bällchen mit den Händen abfangen, dort mal ein Bällchen mit den Füßen in den Himmel über Berlin treten - aber was ist das schon, wenn es im Kerngeschäft nahezu nichts zu erledigen gibt? Nur kleine Pflichten, keine große Kür. Keine Neuer'schen Ausflüge in die Tiefe des Raumes wie bei der WM 2014 gegen Algerien, keine Robinsonaden, bei denen man mit den Fäusten voraus in den Torwinkel hechten darf, und das Publikum erbietet dazu ein Ahhh, ein Ohhh, ein Uhhh.

Um 20 Uhr hatte seine Schicht begonnen, um 22.43 Uhr durfte/musste der Torwart Neuer dann endlich zum ersten Mal in den Dreck. Nach fast drei Stunden war aus diesem Nebendarsteller doch noch ein Hauptdarsteller geworden, endlich konnte auch er mal seinen Beruf ausüben, mit Beginn des Elfmeterschießens nach bis dahin torlosem Treiben im DFB-Pokalfinale von Berlin habe er sich "ganz auf die Torhüter-Tätigkeit konzentriert, ich war da voll im Tunnel". Schließlich "waren da einige neue Schützen dabei gewesen, das war nicht einfach". Weil aber gerade diese bislang eher unbekannten Dortmunder Schützen gegen den Münchner Tunnel-Torwart patzten (beim Versuch des zuvor bärenstarken BVB-Verteidigers Sven Bender ging Neuer in den Dreck; beim Versuch des ebenfalls bärenstarken Sokratis Papastathopoulos half ihm der Außenpfosten), entwickelte sich der nachfolgende Film zum bayerischen Folklore-Streifen. Pep Guardiola trocknete nach seinem Abschiedsspiel mit den Handflächen die Tränen, Kapitän Lahm drückte ihm bei der Siegerehrung die Trophäe wie ein Baby in den Arm, und David Alaba stürmte mit einem Feuerlöscher durchs Gelände und kühlte die rot-weißen Gemüter. Später, beim finalen Festakt der Saison, wurde Arturo Vidal (verwandelte den ersten Elfmeter) mit "Happy Birthday" zum 29. Geburtstag gratuliert, während Thomas Müller (verwandelte den vierten Elfmeter) und David Alaba (musste nicht ran bei den Elfmetern) mit der Begleitband in alpenländischer Mundart das Lied zur Cup-Sause referierten: "Letzte Nacht woa a schware Partie fia mi."

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(Foto: Christoph Stache/AFP)

Das Ende eines Endspiels: Zum 18. Mal gewinnt Bayern München den DFB-Pokal. Die Spieler zelebrieren den Sieg. Zuunterst: Siegtorschütze Douglas Costa.

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(Foto: Peter Kneffel/dpa)

74 322 Zuschauer sind ins Berliner Olympiastadion gekommen um München und Dortmund zuzuschauen, was zu erleben, zu bestaunen, zu beklatschen.

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(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Die Dortmunder Fans schwenken zu Beginn noch friedlich ihre Fahnen. Später verzögern sie mit Rauchbomben den Anstoß zur zweiten Halbzeit.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Personalien des Tages: Mario Götze kann gegen seinen alten Verein nicht ran - er erlitt bereits vor etwa zwei Wochen einen Rippenbruch.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Noch-Dortmunder Mats Hummels (2.v.r.) läuft zum letzten Mal vor seinem Wechsel zu Bayern für den BVB auf - und oft nur hinterher.

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(Foto: Odd Andersen/AFP)

Erste Halbzeit: Sokratis (r.) hält Robert Lewandowski regelwidrig im Dortmunder Strafraum. Schiedsrichter Marco Fritz lässt weiterspielen.

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(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Die zweite Halbzeit wird fußballerisch ereignisreicher: Bayern vergibt Chance um Chance. Hier kommt Lewandowski zu spät, Bürki kann die Flanke abfangen.

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(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

0:0 nach 90 Minuten. Es heißt Einschwören: Wie schon 2014 zwischen Dortmund und Bayern geht das Finale in die Verlängerung. Doch auch die zusätzliche halbe Stunde...

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(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

...bringt keinen Sieger. Und so findet das Finale seinen Höhepunkt im Elfmeterschießen: Dortmund beginnt, Kagawa trifft. Bayern legt nach - 1:1.

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(Foto: Michael Dalder/Reuters)

Danach verschießt Dortmund zweimal, Bürki (im Bild) hält gegen Kimmich: Es steht vor den letzten beiden Versuchen 3:2 für München.

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(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Dortmunds Marco Reus gelingt zwar noch mit dem letzten BVB-Elfer der 3:3-Ausgleich: Doch Douglas Costa sorgt mit seinem 4:3 für die Entscheidung.

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(Foto: Odd Andersen/AFP)

Dann brechen bei den Roten die Dämme, während sich Schwarz-Gelb geschlagen geben muss.

Und David Alaba erfrischt "erhitzte Zuschauer" mit Feuerlöschschaum.

Thomas Tuchel jammert, er habe die falschen Schützen ausgewählt. Die Bayern kennen diese Klage

Das Problem nach solchen Elfmeterschießen ist, nur die Engländer wüssten das besser als der FC Bayern, dass dem Sieger der Rausch, dem Verlierer aber die schmerzliche Debatte der Aufarbeitung bleibt. Und so fühlten sich die Münchner natürlich an ihre jüngere Vergangenheit erinnert, als sie vom Mea-culpa-Lamento des Dortmunder Trainers Thomas Tuchel erfuhren, gebündelt in der Aussage, er habe fürs Duell mit dem Spätschicht-Neuer die falschen Schützen ausgewählt: "Es war mein Fehler, Manni und Papa schießen zu lassen." Die Münchner kennen diese Debatte gleich in zwei Versionen. In der Chelsea-Version von 2012, als es Guardiolas Vorgänger Jupp Heynckes im Champions-League-Finale im eigenen Stadion fast unmöglich war, genügend Freiwillige für den Showdown zu finden. Und in der BVB-Version von 2015, als es im Halbfinale im nationalen Pokal zu jenen unvergesslichen Szenen kam, in denen erst Philipp Lahm, dann Xabi Alonso nahezu synchron am Punkt ausrutschten wie auf der Bananenschale.

Guardiola hat die Erinnerung an diese Pleiten-, Pech- und Pannen-Erlebnisse wohl auch dadurch verdrängen können, dass ihm in Berlin fünf völlig neue Schützen zur Verfügung standen.

Gegen Chelsea lautete die Reihefolge: Lahm (traf), Gomez (traf), Neuer (traf), Olic (verschoss), Schweinsteiger (Pfosten). Gegen Dortmund 2015 durften gar nur vier ran, dann war schon zu null verloren: Lahm (ausgerutscht), Alonso (ausgerutscht), Götze (verschoss), Neuer (Balken).

Gegen Dortmund 2016 verewigte sich jetzt das folgende Quintett: Vidal, Lewandowski, Kimmich (scheiterte), Müller; Versuch Nummer fünf zum 4:3-Sieg war dann dem in den Arbeitsstunden zuvor mit zunehmender Spieldauer immer besser werdenden Douglas Costa reserviert. Geschossen hatten halt jene, die sich von der im Olympiastadion schon lang vor der Verlängerung grassierenden Wadenkrampf- Epidemie kurzfristig wieder erholt hatten.

Es zählte ja zu den Seltsamkeiten dieses Duells, dass es lange sehr unpräzise, aber eben höchst intensiv geführt wurde, ehe sich die Bayern klar die Gestaltungshoheit sicherten. Aber auch die 74 322 schienen eigentlich nur darauf zu warten, dass einer Partei in diesem Geduldsspiel der wegweisende Fehler unterläuft, ein Querschläger, ein schlampiger Rückpass, der die Waage auch zugunsten des BVB hätte kippen können. Doch dieser Fehler kam einfach nicht, die Defensivketten erledigten lange einen viel zu guten Job.

Und so war eine der Geschichten doch wieder die des Thomas Müller, weil er zum einen in seinen naturgemäß dünnen, wadlfreien Beinen doch so etwas wie einen Krampf zu verspüren schien, was auch ihn in der Verlängerung zu ausgiebigen Dehnübungen zwang. Zum anderen, weil er im Showdown die größte Herausforderung verspüren musste. Noch zur Wochenmitte hatte er geunkt, nicht er, sondern Lewandowski werde zur Tat schreiten, falls es einen Elfmeter gebe: "Ich muss erst wieder trainieren." Den Schuh, dass die Münchner nun schon in Berlin ihre Saison beschlossen und nicht erst am kommenden Samstag in Mailand, den zieht er sich auch selber an. Denn Müllers Elfmeter im verlorenen Halbfinal-Duell in der Champions League gegen Atlético Madrid hätte das 2:0 bedeuten können, stattdessen flog der Ball halbhoch und tempoarm, worüber sich der Torwart Jan Oblak freute, wie es nun der Torwart Manuel Neuer am Ende seiner Spätschicht gegen Sven Bender tat.

Natürlich habe er seinen Fehlschuss im Hinterkopf gehabt, meinte Müller, "so ein gutes Gedächtnis habe ich noch. Aber die Kollegen haben mir zugesprochen, dass ich antreten soll". Die Kollegen sahen denn auch, dass Müller der zweit-coolste Elfmeter nach Lewandowskis Versuch gelang, nicht mehr nur halbhoch, sondern hoch ins Eck. Was auch dazu führte, dass die Schicht des famosen Neuer bald beendet war. Der hatte ja 2012 gegen Chelsea selbst getroffen, weil einige seiner Kollegen kniffen, und 2015 war er mittenmang dabei. In seiner Fußball-Jugend war er mal Stürmer, und er kickt halt immer noch gerne mit, wenn die anderen ihn lassen. In Berlin aber war dafür zu früh Schluss.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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