Martínez beim FC Bayern:Es ist nur Blut

Martínez beim FC Bayern: "Ich ziehe mir gerne in jedem Spiel einen Cut zu, wenn ich dabei ein Tor schieße", behauptet Javi Martínez.

"Ich ziehe mir gerne in jedem Spiel einen Cut zu, wenn ich dabei ein Tor schieße", behauptet Javi Martínez.

(Foto: AFP)
  • Javi Martínez überzeugt beim Champions-League-Spiel gegen Celtic Glasgow erneut als defensiver Mittelfeldspieler.
  • Am 29-jährigen Basken lässt sich am besten festhalten, wie Trainer Jupp Heynckes die Mannschaft mit sanften Eingriffen stabilisiert.

Von Benedikt Warmbrunn, Glasgow

Das Brauchtumsfest Halloween nehmen sie in Glasgow sehr ernst, die Schaufenster sind vollgestopft mit ausgehöhlten und aufgeschnitzten Kürbissen, an keinem Zapfhahn fehlt ein schmückendes Spinnwebengeflecht, und manchmal blickt einem selbst aus dem Toilettenmülleimer noch ein traurig lächelnder, in sich zusammengefallener Kürbiskopf entgegen.

Als am späten Halloween-Abend die Fußballer im Celtic Park sich auf den Weg zu ihren Fanblöcken machten, spielte die Regie gewissenhaft das Lied "Thriller" von Michael Jackson ein, in dem es um Biester geht, um Kreaturen auf der Suche nach Blut, um die bange Ungewissheit über Sein und Schein - in dem Video dazu weiß Jacksons Freundin nie, ob dieser nun ein Zombie ist oder nicht; das Video endet mit einer Schreckensfratze und einem satanischen Lachen. Zu diesem Lied also führte in der Dienstagnacht die Fußballer in ihren roten Hemden Javier Martínez an, ganz harmlos sah er aus, mit einem kleinen Pflaster über dem rechten Auge. Für einen, der als Schmerzensmann ging, war es eine enttäuschende Verkleidung.

Dass er das viel besser kann, bewies Martínez, als er später ein Foto von sich postete, der Blick todesstarr, die rechte Gesichtshälfte blutüberströmt. "Happy Halloween", schrieb er dazu. Doch war das jetzt eine Verkleidung? Oder war es echt?

Gegen Celtic ist Martínez der überragende Spieler

Der Gezeichnete ist generell eine der romantischsten Figuren des Fußballs. Dieter Hoeneß im blutgetränkten Turban als Kopfballtorschütze 1982. Bastian Schweinsteiger mit der Platzwunde unter dem rechten Auge im WM-Finale 2014. Und an Halloween 2017 eben Martínez mit der blutigen Gesichtshälfte in Glasgow. Der Schmerzensmann steht nicht für die Schönheit im Fußball, nicht für taktische Finesse. Der Schmerzensmann steht für die Überlegenheit des absoluten, unbedingten Willens.

Der FC Bayern, den Martínez am Dienstagabend mit Pflaster über dem rechten Auge zu den Fans führte, hatte gerade 2:1 (1:0) bei Celtic Glasgow gewonnen. Die Mannschaft hatte sich für das Achtelfinale der Champions League qualifiziert, aber es war kein schönes Spiel gewesen, auch kein taktisch raffiniertes. "Es war nicht unser bestes Spiel", gestand Arjen Robben, "aber manche Spiele musst du auch versuchen, zu überleben und sie zu gewinnen."

Die Szene zu dieser martialischen Aussage lieferte Martínez. Der Baske war der überragende Spieler auf dem Platz gewesen, er hatte sich den robusten Schotten am entschlossensten entgegengeworfen. Schon nach wenigen Minuten hatte er ein paar krachende Zweikämpfe hinter sich gebracht. Vor allem ihm war es zu verdanken, dass die improvisierte Abwehr, die ohne die Stammkräfte Kimmich und Hummels aufgelaufen war, nicht zerbröselte unter dem Druck des Gastgebers. Als der FC Bayern dann doch den Ausgleich durch Callum McGregor zuließ, nach einer kollektiven Zombielangsamkeit am Strafraum (74.), war es Martínez, der sich aufmachte, die Partie wieder zu drehen.

Um Martínez herum strukturiert sich in den ersten Heynckes-Wochen die Aufstellung

Der 29-Jährige, den der neue Trainer Jupp Heynckes erst vor wenigen Wochen aus der Innenverteidigung wieder dauerhaft ins defensive Mittelfeld vorgeschoben hatte, sagte später: "Ich kenne diese Position und das Gefühl, dass ich Gefahr hervorrufen kann, wenn ich vorne reingehe." Er habe David Alaba auf der linken Seite in einer aussichtsreichen Flankenposition gesehen. Alaba flankte, "und ich", erzählte Martínez, "habe versucht, den Ball mit Herz und allem, was ich hatte, zu treffen". Er traf den Ball mit Herz und Kopf und Willen und allem, was er sonst noch hatte, es war das Tor zum Endstand (77.). Er traf allerdings auch mit allem, was er hatte, seinen Gegenspieler Nir Bitton. Über dem rechte Auge platzte sofort die Haut auf, Blut strömte die Wange herunter. "Es hat weh getan, aber es war nur Blut", sagte Martínez, "ich ziehe mir gerne jedes Spiel einen Cut zu, wenn ich dabei ein Tor schieße."

Er hatte jetzt so eine Lust an seiner Rolle als Rächer gefunden, dass er betonte: "Es ist nur Blut."

Dass Martínez diesen Abend im Alleingang entschied, ist ein Abbild von Heynckes' Wirken in seinen ersten Wochen zurück in München. Martínez war 2012 der Wunschspieler des Trainers gewesen, er kam für die damalige Vereinsrekordsumme von 40 Millionen Euro. Er war der entscheidende Spieler, der eine Mannschaft der zweiten Plätze in einen stabilen, willensstarken Triple-Sieger verwandelte. Im Herbst 2017 ist es erneut Martínez, an dem sich am besten festhalten lässt, wie Heynckes die Mannschaft mit sanften Eingriffen stabilisiert.

In Glasgow wie zuvor beim 2:0 gegen Leipzig stellte der Trainer seinem Lieblingsspieler keinen Partner auf die Position vor der Abwehr - Martínez spielte dennoch weiter auf der Doppelsechs, nur eben alleine. Je mehr Platz er hat, so wirkt das, umso mehr kann er abräumen. "Javi ist brutal wichtig. Er macht viele Wege, läuft viele Räume zu", sagte Torwart Sven Ulreich, "er ist zweikampfstark, und deshalb ist er ein Hauptfaktor, warum wir weniger Chancen zulassen."

Um Martínez herum strukturiert sich in den ersten Heynckes-Wochen die gesamte Aufstellung, auch das war gegen Glasgow zu erkennen. Heynckes schonte neben Hummels und Kimmich noch Thiago; Robert Lewandowski war angeschlagen nicht mitgereist. Dieser Schongang funktionierte dank Martínez' Treffer, er zeigte aber auch, dass in wichtigen Spielen wie zuvor gegen Leipzig sich die Mannschaft eigentlich von selbst aufstellt: Boateng und Hummels in der Innenverteidigung, davor Martínez. Kimmich auf der rechten Seite, um das Flügelspiel zu beleben. Thiago für ein bisschen Finesse, dazu Lewandowski für mehr Torchancen und Tore. Es ist eine gute, willensstarke Mannschaft. Um sich zu verkleiden, fehlt es ihr jedoch an Personal.

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