FC Bayern:"Es brodelt"

Nur zwei Bundesliga-Siege, viele Experimente, hohe Erwartungen und ein noch nicht eingelöstes Versprechen: Ein Blick auf die ersten 100 Klinsmann-Tage.

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An diesem Dienstag ist es nun 100 Tage her, dass Trainer Jürgen Klinsmann, 44, beim FC Bayern das Kommando übernahm. Es wird kein Festtag sein: "Es tut weh, aber ich bin von Natur aus ein Kämpfer", erklärte Klinsmann nach dem schockierenden 3:3 gegen Bochum. Der Rekordmeister steht nur auf Platz elf der Tabelle, die Länderspielpause soll genutzt werden, die Profis auf eine Aufholjagd einzustimmen. Wie das geschehen soll, hat Projektleiter Klinsmann verraten: "Einzelne Spieler werden angesprochen, mit Fernsehbildern können wir jeden Fehler problemlos aufzeigen. Diese Kritik haben sie anzunehmen, ohne Wenn und Aber." Die folgende Auflistung soll dazu beitragen, die Krise der Münchner besser zu verstehen. Denn, so Klinsmann: "Es brodelt!"

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15:13

Die Zahlen des Grauens: 15:13 Tore nach sieben Liga-Spieltagen stehen im krassen Kontrast zur Bilanz des Vorjahres - 21:3 lautete das Torverhältnis unter Hitzfeld. Aber das war ein Wert aus der kleinen, heilen Welt der Bundesliga: Mit einem 0:4 in St.Petersburg wurde Bayern von Europas Bühne verjagt. Dorthin soll der Offensivliebhaber Klinsmann den FC Bayern zurückführen, und im Torverhältnis der Liga ist sein nach vorne gerichteter Plan sichtbar: Nur drei Mannschaften haben mehr Treffer erzielt, aber auch nur zwei haben mehr kassiert. Zur Erinnerung: Mit dem selben Trainer hat die Nationalelf das WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica nicht 1:0 gewonnen, sondern unterhaltsam 4:2. "Abwehr interessiert ihn nicht so sehr", sagt ein ehemaliger Nationalspieler. Klinsmann, 44, ist ja noch ein junger Trainer mit vielen Geheimnissen, aber eines hat man über ihn schon gelernt: Zu bestaunen gibt es viele Tore - an beiden Enden des Platzes.

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Verunsicherung

Ob die Gegentorflut durch Oliver Kahn zu verhindern gewesen wäre, weiß niemand, umso populärer lässt sich drüber streiten. Der gewachsene Hierarchie-Baum der Hitzfeld-Ära wurde rausgerissen, ein neuer ist noch nicht gepflanzt. Die Verunsicherung über den Kahlschlag lässt sich auf der Position des Kahn-Nachfolgers beobachten: Michael Rensing, 24, weiß noch nicht, was vor ihm gespielt wird und von wem, und das hilft ihm nicht, eine Orientierung zu finden. Kahn konnte in der Liga auf die immer gleichen Gesichter und Systeme vertrauen - etwa auf Mark van Bommel. In seiner Autorität geschwächt war van Bommel schon, als die Münchner sich um die positionsgleichen Gattuso (AC Milan) und Flamini (damals Arsenal) bemühten. Um die Autorität zu stärken, machte Klinsmann van Bommel zum Kapitän. Und schwächte ihn wieder, als er feststellte, dass der latent Rotgefährdete seinen Vorstellungen doch nicht ganz entsprach. Also ersetzte er ihn. Nur: Durch wen? Kürzlich beorderte Klinsmann Verteidiger Demichelis ins Mittelfeld. Was Rensings Job nicht erleichtert hat.

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Weiter vorne fehlt Klinsmann etwas, worauf Hitzfeld stets vertrauen konnte: Türöffner Luca Toni. In der Vorsaison erzielte er in der Bundesliga 24Tore, davon zehn Mal das Einzunull. An wie vielen Einzunulls Franck Ribéry beteiligt war, vermag keine Statistik angemessen auszudrücken. Klinsmann musste bisher auf beide verzichten, auf unterschiedliche Art: Dem Italiener fehlt die Form - außer nach Dienstschluss -, dem Franzosen die Gesundheit. Klinsmanns Plan, den FC Bayern etwas unabhängiger und damit unberechenbarer zu machen, ist bislang nicht aufgegangen - auch weil die Mannschaft unter Hitzfeld nichts kennengelernt hat, als die Lösungen von diesen beiden finden zu lassen. Und was macht eigentlich Miroslav Klose?

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Zahlenlehre

Bei Ottmar Hitzfeld war das so: Entweder er spielte 4-4-2 oder 4-4-2. Manchmal spielte er auch 4-4-2. Der Realpolitiker war schlau genug, ein Ribéry-taugliches System zu installieren: mit doppelter Sechs und zwei Rennern auf den Seitenstreifen, wovon einer immer Ribéry war. Eine Systematik, die vor allem wegen der Klasse des Franzosen funktionierte. Klinsmann versuchte, aus Ribérys Verletzungspause das Beste zu machen und die Mannschaft flexibler zu gestalteten. Immer wieder gab er auch andere Systeme in Auftrag, ein 3-5-2 etwa oder eine Mittelfeldraute, stets orientiert am internationalen Markt, der keine Spitzenmannschaft mit nur einem einzigen System kennt. Ein lobenswerter Plan, dessen Umsetzung aber durch die allgemeine Verunsicherung in der Defensive erschwert wurde - und durch die Kakophonie am Standort München, an dem im Misserfolgsfall sämtliche Gurus durch die Stadt getrieben werden. Die Abkehr vom 4-4-2 sei nicht klug gewesen, urteilte per Ferndiagnose der Franzose Lizarazu, und Stefan Effenberg sagt sowieso zu allem was. Das 3-5-2-Experiment beendete Klinsmann aber auf Anregung des Spielers Lahm, der vorsichtig anmerkte, dass man dieses System erst besser einstudieren müssen, bevor man damit wieder an die Öffentlichkeit gehe.

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Der Trainerstab

Klinsmanns Idee, die vielen Aufgaben in einer Profimannschaft auf mehrere Teilverantwortliche (sieben) zu delegieren, ist im Leistungssport längst gängig und wird sogar bei der Bundesligakonkurrenz teilweise praktiziert, wenn auch nicht ganz so öffentlich. Allerdings: Keiner der von Klinsmann geholten Trainer hat Erfahrung im Spitzenfußball. Martin Vasquez (links), Co-Trainer, war bislang bei Klubs wie C.D. Chivas oder Los Angeles Galaxy, auch Nick Theslof (Zweiter von rechts) war nur im fußballerischen Mittelklasseland USA tätig. Fitnesstrainer Marcelo Martins (Zweiter von links) trainierte unter anderem die Nationalmannschaft Katars, sein Kollege Darcy Norman vor allem Triathleten, Mountainbiker und Alpin-Skifahrer. Wobei die Fitness nicht das Problem ist: Unter der Leitung von Oliver Schmidtlein folgen Martins und Norman sportwissenschaftlich zeitgemäßen Methoden. Ob Vasquez und Theslof das auch tun, ist nicht zu beurteilen. Klar ist nur: Klinsmann hat von ihnen die größte Erfahrung auf höherer Fußball-Ebene - und Klinsmann ist als Vereinstrainer Berufsanfänger.

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Das Versprechen

Vom ersten Tag an hat Jürgen Klinsmann viel versprochen. Und er hat vorab auch viel verraten, zum Beispiel sein Beschleunigungsprogramm für Münchner Profis. 2,4 Sekunden pro Ballkontakt hatte er bei den Bayern gemessen - angeblich 1,1 Sekunden langsamer sei dies als in der Premier League (im Bild Arsenal London, gelbe Trikots), wo das Spielgerät schon nach 1,3 Sekunden weitergespielt werde. Das ist eine ehrenwerte und auch notwendige Untersuchung, ihre forsche Veröffentlichung aber hatte unabsehbare Folgen. Denn inzwischen machen sich viele im Publikum einen Spaß daraus, bei van Buyten, Demichelis oder Lell die Passgeschwindigkeit mit der Stoppuhr zu kontrollieren. Dieses eine Beispiel zeigt ein grundlegendes Kommunikationsproblem: Die öffentliche Festlegung auf einen Zielkorridor funktioniert vielleicht in einem Wirtschaftsunternehmen, das allenfalls Quartalszahlen liefern muss. In der Bundesliga wird Samstag für Samstag um 15.30 Uhr geliefert.

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Alle besser machen

Der farbigste Satz in Klinsmanns Regierungserklärung war wieder mutig: "Die Grundphilosophie ist: Ich möchte die Spieler besser machen." Und manchmal wurde die frohe Botschaft versehen mit dem noch mutigeren Zusatz: Er wolle jeden Spieler jeden Tag besser machen. Eine Zwischenbilanz nach hundert Tagen: Schweinsteiger hat seine Konstanz erhöht und seine Torquote schon heute verdoppelt (Vorjahr eins, jetzt zwei). Lahm spielt unter Klinsmann noch besser als gut, und die Verteidiger Breno und van Buyten schöpfen ihre Möglichkeiten aus. Ursprüngliche Verbesserungskandidaten aber stagnieren bestenfalls (Podolski, Lell, Klose, Borowski), wurden verkauft (Jansen) oder sitzen wieder auf der Tribüne (Kroos, im Bild). Und der mit der beeindruckendsten Verbesserung, der Brasilianer Zé Roberto, ist 34 und schockte die um Vertragsverlängerung bemühten Münchner am Montag: "Aus meiner Sicht ist meine Zeit hier vorbei. Ich möchte noch zwei Jahre anderswo spielen."

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Mir-war'n-mal-mir

Historienpflege und Heldenverehrung waren dem zukunftsorientierten Laden-Auseinander-Nehmer Klinsmann nie nahe, für seinen Job beim FC Bayern hat er extra umgedacht. Ins neue Wohlfühl-Zentrum an der Säbener Straße ließ er die ruhmreiche Vergangenheit plakatieren: Bilder von Beckenbauer, vom Fernschützen Schwarzenbeck (im Bild dessen legendäres Tor gegen Madrid 1974) und natürlich von Oliver Kahn, wie er im Champions-League-Finale 2001 den siegbringenden Elfmeter hält. Der erklärte Wille war, den zugereisten Tonis, Ribérys und Sosas die Identität des Klubs nahe zu bringen. Doch jetzt fürchten die Plakatierten ums historische Erbe: "Jeder Verein hat eine eigene Philosophie, an der man ein bisschen drehen kann, aber die man nicht völlig über den Haufen werfen kann", krittelt Kahn. "Der Mythos, dass am Ende doch (fast) immer die Bayern gewinnen, macht Pause", schreibt Mythoserfinder Beckenbauer in Bild: "Die Liga spürt, dass wir im Moment verwundbar sind." Stimmt: "Bayern soll kommen!", sagt Massimilian Porcello, Profi beim nächsten Bayern-Gegner, dem Karlsruher SC.

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Die Zukunft

Was seine Rhetorik anbetrifft, ist Klinsmann auch bei Bayern ein Projektleiter geblieben. Was er beim DFB "Wachstum" nannte, nennt er nun "Prozess". Ein, zwei Jahre könne es dauern, bis die Elf seine dominante Spielphilosophie verinnerlicht habe, sagte er vor Saisonbeginn. Eine leicht missverständliche Formulierung, die bald auch offiziell entschärft wurde - Gegner des Klinsmann-Plans könnten daraus ja ableiten, dass es nicht um das Ergebnis des nächsten Samstags geht, sondern um irgendeine ferne Zielmarke. Dies ist der Konflikt, der Klinsmanns Arbeit nach 100 Tagen so schwer bewertbar macht: Hehre Zukunftsabsichten prallen auf banale Alltagsrealitäten. Bei Bayern wissen sie: Wer sich mit Klinsmanns Plänen verbündet, muss einkalkulieren, dass die Pläne Zeit brauchen. Einerseits. Andererseits kann niemand wissen, ob Klinsmann tatsächlich in der Lage ist, seine Theorien auch wirklich in die Praxis umzusetzen. "Wir haben die totale Geduld", sagt Rummenigge. Wieviel davon ehrliche Überzeugung ist und wieviel öffentliche Beruhigungsrhetorik? Am Saisonende, sagt Uli Hoeneß, werde Bilanz gezogen.

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